Emmerich. Probleme in Leiharbeiter-Unterkünften in Emmerich gibt es seit Jahren. Stadt ist nicht untätig gewesen. Aber es gibt Grenzen, was zu leisten ist.

Bei den Reaktionen auf die Großrazzia in vier Leiharbeiter-Sammelunterkünften in Emmerich in den sozialen Medien fällt auf, dass einige mit Unverständnis reagieren. Tenor: Die Missstände waren doch lange bekannt – warum wurde man erst jetzt tätig?

Praester Ortsvorsteher wies auf Missstände hin

Einer, der sich direkt an die Redaktion wandte, ist der Praester Ortsvorsteher Markus Meyer. „Wir haben schon länger auf die Missstände hingewiesen und gebeten die Unterkünfte zu kontrollieren. Insbesondere der Müll und die baulichen Zustände sind für jeden Außenstehenden erkennbar.“

Auch an den damaligen Landrat Wolfgang Spreen hatte Meyer geschrieben. Aber sein Fazit: „Ich habe nur ein müdes Lächeln bekommen und man könnte nichts machen.“ Auch wenn er etwas zermürbt sei, dass aus seiner Sicht lange nichts passierte, so sei er doch erfreut, dass es nun eine solche Razzia gab: „Die Menschen haben es mehr als verdient eine Stimme zu bekommen!“

Corona bindet massiv Kräfte im Ordnungsamt

Dass die Stadt Emmerich untätig gewesen ist, das kann man so aber nicht stehen lassen. Die Verwaltung hat die Hebel Ordnungsbehörde und Bauaufsicht. Nur da habe man wirklich Einfluss, erklärt Stadtsprecher Tim Terhorst. Seit März 2020 wirkt sich der Ausbruch der Corona-Pandemie massiv auf die Arbeit des Ordnungsamtes aus. Etliche Aufgaben seien hinzugekommen, die einen großen Personalaufwand nach sich ziehen. Auch in den Leiharbeiterunterkünften war die Verwaltung hier gefordert.

Zugleich müssten aber Maßnahmen in Leiharbeiter-Unterkünften präzise vorbereitet werden. „Auch kleinere Maßnahmen müssen ordentlich vor- und nachbereitet werden, sonst läuft der Aufwand ins Leere. Eine Nutzungsuntersagung zum Beispiel muss ja auch vor Gericht stand halten können“, sagt Terhorst.

Großrazzia muss intensivst vorbereitet werden

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Was die Bauaufsicht angeht, erinnert Terhorst an die argen Personalprobleme im Fachbereich. Man könne schlecht wichtige Bauanträge nicht vorantreiben, um einen Fokus auf Leiharbeiter-Unterkünfte zu legen: „Da muss man genau gucken, wo setzt man Prioritäten“, so Terhorst.

Eine Großrazzia, wie sie in Emmerich jetzt erstmals durchgeführt wurde, habe mehrere Monate Vorbereitung benötigt: „Daran ist schon auszurechnen, dass das nicht zehn mal im Jahr möglich ist.“ Und nur dann erziele man wirklich ein so große Wirkung, wenn alle Behörden beteiligt sind.

Anzahl der Beschwerden ist rückläufig

Nichtsdestotrotz war die Verwaltung trotzdem tätig. Das sehe man auch an der gesunkenen Anzahl an Sammelunterkünften und der rückläufigen Anzahl an Beschwerden, so Terhorst. Seit 2019 erstattete die Verwaltung in den politischen Sitzungen viermal ausführlich Bericht, was alles getan wurde.

Massiver Schimmelbefall ist in allen Sammelunterkünften bei der Razzia in Emmerich entdeckt worden. Eine übermäßige Nutzung der Immobilien ist von der Verwaltung schon im Juni 2021 erkannt worden. Auch deshalb wurde die Großrazzia eingeleitet.
Massiver Schimmelbefall ist in allen Sammelunterkünften bei der Razzia in Emmerich entdeckt worden. Eine übermäßige Nutzung der Immobilien ist von der Verwaltung schon im Juni 2021 erkannt worden. Auch deshalb wurde die Großrazzia eingeleitet. © Stadt Emmerich

Bereits im Dezember 2018 wurde der ungenehmigte Ausbau von drei Gastzimmern im Dachgeschoss stillgelegt – also auch hier ein wiederkehrendes Problem. Im Januar 2019 wurde die ungenehmigte Nutzungsänderung von Wohnraum zu Beherbergungsraum stillgelegt. Auch die ungenehmigte Vermietung von Gastzimmern in einem Wohngebäude ist bis heute ein Thema, wiederholt zahlt der private Vermieter deshalb Zwangsgelder. Insgesamt sei die Überprüfung sehr aufwendig.

Rauch- und Lärmbelästigung: Personalien-Erfassung ist ein Knackpunkt

Schwierig sei die Handhabe bei Lärmbelästigungen, Rauchbelästigungen durchs Grillen, nächtlicher Fahrzeuglärm, weil diese kaum dauerhaft kontrolliert werden können und seltenst konkrete Verursacher genannt werden können durch die Beschwerdeführer. Die Stadt kontaktiert in diesen Fällen meist das Uitzendbureau (die jeweilige Leiharbeitsfirma), das sich dann kümmere. Nachdem im November 2019 von einer Verbesserung berichtet wurde, wurde im Juni 2021 schon empfohlen die Polizei zu rufen, um die Personalien zu erfassen. Auch Müll auf dem Gelände und die fehlende Mülltrennung waren vor allem 2019 ein Problem.

Im Juni 2021 rückte der Zustand der Immobilien mehr in den Fokus: „Die intensive Nutzung führt zur Verschlechterung des Zustandes der Immobilien. Die Eigentümer beschränken sich auf die notwendigsten Instandhaltungsinvestitionen. Dies führt dazu, dass sich das äußere und innere Erscheinungsbild der Immobilien verschlechtert und diese zu verwahrlosen drohen.“ Noch sei eine Nutzungsuntersagung aber nicht erforderlich.

>> Das System der Abhängigkeit

Gerade in einigen Facebook-Kommentaren wird auch den Leiharbeitern Schuld zugesprochen. Weil diese die Unterkünfte so verkommen ließen. Hierbei scheint das System der Abhängigkeit dieser osteuropäischen Leiharbeiter nicht klar zu sein. Die Menschen kommen aus ärmlichen Verhältnissen nach Deutschland oder in die Niederlande in der Hoffnung, für eine Zeit so viel Geld zu verdienen, dass sie sich und ihrer Familie in der Heimat ein besseres Leben finanzieren können. Das Geld wird nicht, wie manche meinen, nur versoffen, sondern zu einem beträchtlichen Teil in die Heimat geschickt. Die Leiharbeiter stehen unter Druck.

Nach NRZ-Informationen können die Leiharbeiter aber nicht einfach aus den Sammelunterkünften ausziehen und woanders privat wohnen. Über den Arbeitsvertrag haben die Uitzendbureaus Zugriff. Stimmt der Leiharbeiter dem Wohnkonzept nicht zu, verliert er den Job und steht sogar erstmal obdachlos auf der Straße. 100 Euro pro Kopf pro Woche – bei einer Sammelunterkunft mit zum Beispiel 17 Bewohnern (womöglich inoffiziell noch mehr) kommt da ein hübsches Sümmchen zusammen, dass die Leiharbeitsfirmen einstreichen. Das ist ein Geschäftsmodell.