Emmerich. Der Rat stellte die Weichen für die weiteren Prüfungen beim Greensill-Skandal. Anwalt geht von langem Prozess aus. Viele Fragen wurden gestellt.
Große Leinwand, gedimmtes Licht im vorderen Bereich, alle sitzen in Reih und Glied – wenn auch in größeren Abständen wie sonst. Ein Sechs-Millionen-Euro-Thriller steht auf dem Programm. Man könnte fast meinen, es wäre ein Kino-Abend in der Hansahalle in Emmerich am Dienstagabend. Fehlt nur noch das Popcorn. Oder kommt gleich der Mann mit dem Bauchkasten voller Eis am Stil?
Natürlich handelte es sich um die Ratssondersitzung zu dem drohenden Verlust der Stadt Emmerich von sechs Millionen Euro, die sie bei der Greensill Bank kurzzeitig angelegt hat, um Negativzinsen zu verhindern. Ob es am Ende ein Drama oder vielleicht doch ein kleines Happy-End geben wird und Emmerich etwas von den Millionen zurück bekommt, ist derzeit offen, wie Dr. Volker Weinreich von der Kanzlei Aulinger aus Bochum als Fachanwalt darlegte. Mal sehen welche Quote der Insolvenzverwalter für Emmerich herausholen kann: „Bei Lehmann zum Beispiel wurden alle Insolvenzforderungen bedient. Aber das wird ein langer Prozess“, erinnerte Weinreich an die US-Bank, die 2008 in Schieflage geriet und die große Finanzkrise auslöste.
Rating besser als bei der Deutschen Bank oder der Commerzbank
Der Fachanwalt legte dar, dass Greensill zum Zeitpunkt, als Emmerich die Anlagen tätigte, ein Rating von A- erhielt: „Das ist ein sehr gutes Rating. Besser als die Deutsche Bank oder die Commerzbank.“ Das Investment galt als risikolos. Es gab sogar eine Versicherung: „Das klingt gut und sicher, aber dann kam es anders.“
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Im April 2019 startete die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) eine Prüfung der Greensill Bank, man sah ein Klumpenrisiko. Heißt: Es gab hohe Forderungen gegen einige Wenige. Folge: Sollte ein großer Darlehensnehmer in Probleme geraten, könnte sich das auf andere auswirken.
Viele juristische Optionen
Eine weitere Prüfung hatte die Bafin jüngst abgeschlossen. Die Tokio Marine hatte der Fondsfirma Greensill Capital den Versicherungsschutz gestrichen. In der Folge sprach die Bafin am 3. März 2021 das Moratorium aus: keine Gelder mehr rein oder raus. Die Staatsanwaltschaft Bremen, wo Greensill ihren Sitz in Deutschland hat, ermittelt.
Was sind die Handlungsmöglichkeiten Emmerichs? Die etwa drei Milliarden Euro der Privatanleger sind durch den Einlagensicherungsfonds gesichert. Öffentliche Forderungen, die sich hier vermutlich auf unter 500 Millionen Euro belaufen, sind laut Einlagensicherungsgesetz ausgenommen.
Rechtlich ist es kompliziert
Zu prüfen sei, ob es Ansprüche gegenüber Anlagenberater gibt. Vielleicht habe jemand seine Pflichten verletzt, so Weinreich. Hat ein Mitarbeiter der Stadt Emmerich Fehler gemacht? Wenn ja, ist man dagegen versichert? Haben der Greensill-Vorstand, die Prüfer des Abschlussprüfer oder die Bafin Fehler gemacht? Oder die Ratingagentur? Alles Fragen, deren Beantwortung Zeit kosten wird: „Rechtlich ist das kompliziert“, so Weinreich. Und dann müsse man überlegen, ob man dem schlechten Geld gutes hinterher werfen will durch Anwaltskosten.
Das Rechnungsprüfungsamt und die Kommunalaufsicht sind eingeschaltet. Die Gemeindeprüfungsanstalt lehnte es ab, ein Angebot für eine externe Prüfung durchzuführen. Es wurde empfohlen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften einzuschalten. Die Gespräche laufen, so Bürgermeister Peter Hinze.
34 Kommunen haben sich schon zusammen getan
Inzwischen 34 Kommunen, die zusammen 327 Millionen Euro bei Greensill angelegt haben, haben sich zusammen getan, um sich gemeinsam juristisch für das Insolvenzverfahren aufzustellen.
Interimskämmerin Melanie Goertz versicherte nochmal: „Die Stadt rutscht nicht in die Haushaltssicherung.“ Die Ausgleichsrücklage sei mit derzeit 29 Millionen Euro noch zu gut gefüllt dafür. Bezüglich einer freiwilligen Haushaltssperre: Die Verwaltung schlug vor, eine Arbeitsgruppe Haushalt zu gründen, die kurzfristige Maßnahmen, aber auch langfristige Ziele ins Auge nehmen könne. Ab einer Veränderung von 3,5 Millionen Euro sei ein Nachtragshaushalt einzubringen, so Goertz.
Google zeigte vor dem 3. März weniger Greensill-Berichte oben
Blockweise nach Parteien wurden dann unheimlich viele Fragen gestellt, die längst nicht alle hier dargestellt werden können. Ob es nicht Fragen aufgeworfen habe, dass keine der drei großen Ratingagenturen ein Rating für Greensill abgegeben hatte, fragte Tim Krebber, CDU. Nein, erklärte die Interimskämmerin, die Vorgabe sei lediglich, es müsse eine unabhängige Agentur sein. Außerdem hätten andere Finanzvermittler durchaus auch Moodys als Quelle genannt.
Sigmar Peters (CDU) zählte Berichte auf, die die Stadt Emmerich hätten skeptisch machen müssen. Dies hätte man nur googeln müssen, wurde ein Finanzjournalist zitiert. Hinze verwies auf unterschiedlichste Aussagen, aber welche sei verlässlich? Herbert Kaiser (Die Grünen) sprang ihm zur Seite: „All diese Untersuchungen sind bei Google erst nach dem 3. März hoch gekommen.“ Vorher seien die Berichte nicht vorne bei den Suchergebnissen zu finden gewesen. Erst der Skandal habe das Interesse geweckt und der Algorithmus der Suchmaschine reagierte entsprechend.
„Wir sind keine Wirtschaftsexperten und Bilanzanalysten“
Sigmar Peters verwies auch darauf, dass Greensill seine Bilanzsumme in zwei Jahren verelffacht habe: Ob man dieses „offenkundig fragwürdige Megawachstum“ denn nicht hinterfragt habe? „Wir sind keine Wirtschaftsexperten und Bilanzanalysten. Wir haben uns den Wirtschaftsprüfungsbericht von Ebner und Stolz angesehen. Und der war positiv. Darauf haben wir vertraut. Sonst müsste der Fachbereich Finanzen aus wesentlich mehr Mitarbeitern bestehen“, sagte Melanie Goertz.
Peters fragte zudem, ob denn der Runderlass von 2012 nicht bekannt sei, in dem eine Anlagenrichtlinie empfohlen wird. „Der Runderlass bezieht sich auf langfristige Anlagen. Die hat die Stadt nicht und deshalb gibt es bisher keine Anlagenrichtlinie“, erklärte Hinze.
„Negativzinsen hätten uns auch abgeschreckt“
Jan Ludwig (SPD) wollte wissen, von welchem Finanzvermittler der Vorschlag kam. Dies, so Hinze, sei Thema der nichtöffentlichen Sitzung, die im Anschluss anstand. Jedenfalls hatte man bei der Agentur auch in der Vergangenheit erfolgreich Ausschreibungen platziert.
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„Wäre das Geld bei der Sparkasse geblieben, dann hätten wir jetzt nicht diesen Verlust“, sagte Irmgard Kulka (CDU). Allerdings sind seit 2019 Verwahrentgelte aufgetreten. Emmerich hätte dies teils fünfstellige Beträge gekostet. „Wenn wir das als Vorlage in den Rat bekommen hätten, dann weiß ich nicht, wie hier die Mehrheitsverhältnisse gewesen wären. Jetzt im nach hinein alles vorzulegen, was es irgendwo gibt, ist einfach“, kritisierte Sabine Siebers, Grünen-Fraktionschefin, einige Ratskollegen: „Negativzinsen hätten uns auch abgeschreckt.“
Sigmund: „Das ist grob fahrlässig“
Auch was den Stil anging, wurde Siebers deutlich: „Den Bürgermeister und die Kämmerin wie Verbrecher vorab zu verurteilen, das ist absolut das Mieseste.“ Dezenter Applaus in der Hansahalle, in der sich etwa 60 Besucher eingefunden hatten, von denen aber auch einige von der Verwaltung oder von den Parteien waren.
Joachim Sigmund, BGE-Fraktionschef, wunderte sich: „Eine Anlage ohne Sicherung soll kein Fehler sein? Das ist grob fahrlässig.“ Dazu Peter Hinze: „Das gilt es zu klären. Aus meiner Sicht ist es nicht so. Wir sind auch daran interessiert, dass der Fall aufgeklärt wird.“
Begleitausschuss ohne Verwaltung kommt
Schlussendlich beschloss der Rat einstimmig, dass die Verwaltung die Prüfungsergebnisse (auch extern) dem Rat vorlegen soll, eine Anlagenrichtlinie zu erarbeiten und dem Rat vorzulegen, einmal im Jahr einen Bericht über die Kapitalanlagen vorzulegen und die zuvor genannte Arbeitsgruppe Haushalt. Ferner wurde auf Antrag der CDU beschlossen, einen Begleitausschuss zum Rechnungsprüfungsausschuss zu gründen, der sich nur um den Greensill-Fall kümmert. Hier werden Politiker, das Rechnungsprüfungsamt und externe Gutachter zusammen kommen. Die Verwaltung nur auf Anfrage hingegen.