Vrasselt. In der Interview-Serie spricht Ortsvorsteher Arno Rudolph über sein Dorf: Vrasselt. Er erklärt, was er unter Dorfentwicklungskonzept versteht.
„Der wahre Einheimische ist der Zugezogene, weil der ist freiwillig hier“, zitiert Arno Rudolph gerne den Uniformverleiher Hintzen aus Korschenbroich. Und dann ist der Zugezogene im Frühjahr auch noch neuer Ortsvorsteher von Vrasselt geworden. Ihm liegt das Dorf am Herzen, er bringt sich ein, geht voran, sucht das Gespräch. Diesmal stellt er sich den Fragen in der Interview-Serie „Die Ortsversteher“.
Warum haben Sie sich als Ortsvorsteher aufstellen lassen?
Der Impuls in Vrasselt Ortsvorsteher zu werden, kam nicht von mir selbst, sondern man hat mich gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte. Ich habe lange, lange Zeit gesagt: ‘Nein, ich mache es nicht’. Aus dem einfachen Grund, weil zwei Türen weiter der Frisörsalon meiner Frau ist. Sie hat immer zu mir gesagt: ‘Wenn Du selber keine Präsenz zeigst hier im Ort und Ortsvorsteher bist, dann kommen die alle zu mir.“ Und deshalb war die klare Aussage: Wenn ich hier Ortsvorsteher werde, muss ich ein eigenes Büro haben.
Jetzt hat sich in den Jahren ergeben, hier mit meiner Firma einen Standort zu finden. Dann kam direkt die Aussage von meinem Vorgänger Jörg Labod: ‘Du hast doch immer gesagt, wenn Du in Vrasselt ein eigenes Büro hast...“ So ist es dann eben gekommen. Es läuft eigentlich ganz gut. Auch in Zeiten von Corona.
Sie sind noch recht frisch im Amt: Haben Sie sich an ihre Rolle schon gewöhnt?
Eigentlich wohl. Ich hatte mich im Vorfeld intensiv damit beschäftigt, wohne seit vielen Jahren in Emmerich. Als wir hier hin gekommen sind, gab es zwei Möglichkeiten: Entweder spielst Du hier mit, beteiligst dich am Dorfleben, wie Fußball, Schützenfest, Kirche und so weiter. Oder Du lebst hier nur.
Demzufolge waren die Gegebenheiten ja vorher schon da. Es sind täglich Leute hier, die kurz den Kopf rein halten und sagen: ‘Arno, ich habe hier was. Tue mal was.’ Ich bin im regen Austausch mit Helmut Schaffeld vom Bauhof, der war auch schon hier, wir haben dann darüber gesprochen, welche Möglichkeiten wir haben, wie wir eine Kommunikationsebene finden können, ohne gleich für jede Kleinigkeit einen Antrag über den Rat zu stellen. Ein unkomplizierter Austausch, damit man nach vorne kommt.
Glauben Sie, Vrasselt bräuchte ein Dorfentwicklungskonzept, wie es die SPD fordert? Wenn ja, warum?
Auf jeden Fall. Man muss unterscheiden: Was heißt Dorfentwicklungskonzept? Wie intensiv muss ein Dorfentwicklungskonzept aufgebaut werden? Ich bin ein schlichter Feind davon, Geld einfach nur zu verteilen, weil wir ein Konzept vom Konzept haben wollen. Und womöglich noch ein Projektentwickler, der von ganz ganz weit her kommt, der gar nicht weiß, was möglich wäre.
Mein Gedanke bei diesem Dorfentwicklungskonzept ist die Bürgernähe. In meinen Augen ist die Erstellung dieses Konzeptes nicht unbedingt mit erheblichen Kosten verbunden. Die Umsetzung natürlich schon. In der Presse gab es ein Hin und Her: Unnützes Geld auszugeben sehe ich überhaupt nicht. Aber, dass man hier mal ein paar Punkte sauber untereinander schreibt und sich Gedanken macht, welche Möglichkeiten haben wir, um eine Lösung zu finden, die nicht exorbitant teuer ist, aber trotzdem den Bedürfnissen von Vrasselt gerecht wird.
Ich bin vor Ort, ich gehe hier zu Fuß durchs Dorf. Wenn man zu Fuß durchs Dorf geht, hat man eine ganz andere Perspektive. Wenn man bei Regen mit den Gummistiefeln ins Büro kommen muss, weil der Marktplatz unter Wasser steht, dann hat das eine andere Betrachtungsweise.
Also geht es mehr um die Erfassung der Ist-Situation, überlegen, wie die die Soll-Situation sein könnte, und dann gucken, was sich realisieren lässt?
Genau. Und da ist die Ausrichtung auch klar: Die Schwerpunkte sind der Marktplatz, die Kirche mit dem Kriegsgräberdenkmal, dem Pfarrheim, und die Achsen von der L7 bis zum Marktplatz/Dreikönige, vom Deich bis zur Pionierstraße und die Hauptstraße – wenn man sich diese Punkte mal mit Vernunft anguckt, mehrmals zu Fuß durchgeht, dann sieht man das mit ganz anderen Augen. Mit dem charmanten Vorteil: Dadurch, dass ich zu Fuß gehe, unterhalte ich mich mit den Leuten und ich höre auch zu, was die erzählen.
Wir haben die Problematik, die Ortsteile haben sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Viele leben hier und beteiligen sich nicht am Dorfleben. Wenn man die Leute über diese Art und Weise an den Tisch holt, entdeckt man Fähigkeiten, von denen keiner wusste. Vielleicht haben wir hier einen Stararchitekten, der von der Großstadt schon lange die Schnauze voll hat und sagt: ‘Ich mache euch hier was, ich habe ganz tolle Ideen’. Weiß man’s? Nur sprechenden Leuten kann geholfen werden.
Durch die L7 getrennt und durch die Bahn im Norden begrenzt: Wie beurteilen Sie die verkehrliche Situation im Ort?
Die L7 ist vom Verkehrsaufkommen her schon eine große Herausforderungen. Praest ist noch härter geteilt. Da wären wir nochmal beim Dorfentwicklungskonzept: Welche Möglichkeiten haben wir? Aber diese Probleme mit der L7 und der Bahnlinie hat ganz Emmerich. Die Aussage, die Dorfentwicklungskonzepte kämen nach und nach, war für mich nicht befriedigend. Wie lange sind wir mit der Betuwe schon dran. Je eher man auf diesen fahrenden Zug aufspringen kann, desto leichter ist es doch mit den Möglichkeiten, die ich vor Ort habe.
Es gibt immer mal wieder Sorgen um den Erhalt des Saales Slütter: Welche Bedeutung hat der Saal für das Dorf und auch für Emmerich?
Fürs Dorf ist der Saal Dreh- und Angelpunkt. Die Schützenbruderschaft hat sich vor drei, vier Jahren dazu entschlossen, den Saal zu übernehmen. Wenn man unseren Dorfplatz sieht, dann ist es noch der klassische Dorfplatz mit der Kneipe, mit der Kirche, mit dem Kindergarten, leider Gottes hat die Bank, die vor Ort war, uns verlassen, aber es ist noch Dorf. Von der Kindtaufe bis zum Beerdigungskaffee spielt sich alles in dem Saal ab. Letztendlich sollte es das Ziel sein, dass die Räumlichkeiten diesen Service bieten können. Der Saal gehört als Herzstück dazu.
Als Ortsvorsteher hatte ich über einen politischen Stammtisch nachgedacht. Leider hat Corona uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der größte Teil der Vrasselter kommt von weiter her, die muss man erstmal holen, um dann mal festzustellen, was ist denn mein Nachbar überhaupt von Beruf. Die Alteingesessenen, da weiß jeder, was der andere macht. Aber in so vielen neu Zugezogenen schlummert Potenzial ohne Ende.
Realistisch betrachtet wäre es ohne das Ehrenamt der Schützen im Saal Slütter nicht zum machen: Man findet doch keinen Pächter mehr oder?
Es wäre natürlich optimal, jemanden zu finden. Ich bin ja vor Ort: Wie viele Leute gerade in der Mittagszeit hierher kommen und fragen: ‘Kann man hier irgendwo essen?’ Wenn ich das hochrechne, wie viele allein in der kurzen Zeit, seitdem ich hier bin, bei Slütter Mittag gegessen hätten, das sind schon einige. Hier ist ja weit und breit nichts.
Aber man ist schon bestrebt. Mit wieviel Eigenengagement von den Leuten, die den Saal tagtäglich am Leben halten, dabei ist, das ist schon gigantisch. Es wäre fatal, wenn wir das verlieren. Aber der Schützenverein wird älter, die Jugend fehlt.
Stehen sie nach der Kommunalwahl nochmal zur Verfügung als Ortsvorsteher?
Ja, sogar noch mehr als jetzt. Ich bin der felsenfesten Überzeugung, als Ortsvorsteher sollte man Mitglied des Rates sein. Um auch dort Rede und Antwort stehen zu können. Deshalb will ich Ratsmitglied werden.
Arno Rudolph (SPD) ist 48 Jahre alt, selbstständiger Kaufmann.