Duisburg. In Duisburg wurden 1014 Kinder Opfer einer Straftat, gestiegen sind auch die Fälle von Kinderpornografie. Was Ermittlern helfen soll.
Die Zahl misshandelter Kinder steigt weiter. Der Duisburger Polizeipräsident stellte beim Fachtag Kinderschutz die aktuellen Zahlen vor. Angesichts der Brutalität in manchen Fällen musste selbst Kinderarzt Dr. Peter Seiffert vom Verein Riskid schlucken.
Alexander Dierselhuis versuchte nicht mal, gute Zahlen zu verkünden: Zwar starb 2022 kein einziges Kind in Duisburg, „da gehörte aber eine Menge Glück dazu, es gab drei Versuche.“ Es sei das Schlimmste, wenn Kinder aufgrund von Straftaten sterben. In NRW starben elf, in ganz Deutschland 95.
2023 starb eines in der Zuständigkeit des Duisburger Polizeipräsidiums in Dinslaken. Der Fall hatte hohe Wellen geschlagen: Die Leiche eines dreijährigen Kindes wurde nach einem Martyrium vom Vater mit Gewichten im Rhein-Herne-Kanal versenkt.
Kindeswohl: 1014 Kinder wurden in Duisburg 2022 Opfer einer Straftat
Dierselhuis berichtet, dass die Ermittlungen der Polizei darauf hindeuten, dass der Vater als Tatverdächtiger das Mädchen in einem Holzverschlag im Keller an einen Stuhl gebunden habe und gelegentlich zum Füttern heruntergekommen sei. Der Dreijährigen sei nur dafür der verklebte Mund freigemacht worden. Schließlich erstickte sie am Brei. „Für mich ist unbegreiflich, wozu Menschen fähig sind“, sagte Duisburgs oberster Polizeichef.
Es sind offenbar viele fähig: 1014 Kinder wurden 2022 in Duisburg Opfer einer Straftat. Jugendliche hat Dierselhuis aus diesen Zahlen extra herausgerechnet. Die aktuelle Statistik für 2023 wird erst in den nächsten Wochen veröffentlicht. Die Tendenz über zehn Jahre hinweg sei kontinuierlich steigend, schon im Vergleich zum Vorjahr sei es eine Erhöhung um über 30 Prozent. Abgesehen davon seien „die echten Zahlen noch höher, es gibt ein großes Dunkelfeld“.
Das sei kein Duisburger Problem, betont der Polizeipräsident, in NRW liege die Steigerungsrate bei 26 Prozent, auf Bundesebene bei 22 Prozent. 82.648 Kinder seien 2022 deutschlandweit Opfer einer Straftat geworden. „Ist es in Duisburg also noch schlimmer als anderswo oder gucken wir nur genauer hin?“, fragte Dierselhuis mehr rhetorisch: Die Möglichkeiten, etwas zu verbessern, seien andere Bundesländer nicht mitgegangen. Vor 400 Kinderschützern bei der Fachtagung sagte er, dass es im Kampf gegen Kindesmisshandlung auf alle ankomme: Lehrer, Ärzte, die Polizei, das Jugendamt, Sozialverbände, „Vernetzung ist das Nonplusultra!“
In NRW „sitzen wir zusammen, tauschen uns aus, wollen und müssen den Trend umkehren“, sagt er, „wir müssen verhindern, dass so viele Kinder Opfer einer Straftat werden.“ Solche Erfahrungen würden sie ein Leben lang begleiten, manche Leben zerstören, manche selbst zu Tätern machen.
Kinderpornografie: 355 Fälle in Duisburg, Tendenz steigend
Gestiegen ist laut Dierselhuis auch die Zahl der Fälle von Kinderpornografie. Allein 2022 wurden in Duisburg 355 Fälle verfolgt. „Und hinter jedem Bild, hinter jedem Video steckt unendlich viel Leid, liegt immer ein Missbrauch.“
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Der Jurist betont: „Es ist schockierend, wie viele Menschen diese Neigung haben.“ Bei den Ermittlungen profitiere Deutschland von den rechtlichen Möglichkeiten anderer Länder. Vor allem aus den USA würden Meldungen kommen „mit gigantischen Folgen, es entstehen tausende Verfahren daraus“. Die Duisburger Polizei habe das Kommissariat von zwei auf 15 Ermittler erhöht, „trotzdem kommen wir kaum nach, die Berge zu bearbeiten. Früher ging es um eine handvoll Bilder, heute geht es in jedem Fall um tausende Stunden Videos“. In Duisburg wurden 137 Fälle sexuellen Missbrauchs verfolgt, die überwiegend durch Kinderpornografie bekannt wurden. Das sei eine Steigerung um 42 Prozent. Bundesweit waren es 15.520 Fälle.
Fallzahlen mit einem neuen Gesetz senken
Hilfe aus diesem Dilemma soll auf zwei Wegen kommen. So soll ein Gesetzentwurf die Fallzahlen senken und das Aussortieren von Bagatelldelikten möglich machen. Gemeint sind damit Vorgänge wie dieser: Ein Lehrer findet einschlägiges Material auf einem Computer, schickt ein Bild davon per Whatsapp an einen Kollegen mit der Frage: Siehst du das auch kritisch? Und schon sei er der Verbreitung von Kinderpornografie schuldig, beschreibt Dierselhuis. Damit sollen sich die Ermittler künftig möglichst nicht mehr beschäftigen.
Für alle anderen Fälle sei „Künstliche Intelligenz der einzige Silberstreif: Wir werden es nicht schaffen, händisch das ganze Material zu sichten“, ganz abgesehen von der psychischen Belastung der Kolleginnen und Kollegen. Duisburg sei seit Anfang des Jahres eine von drei Pilot-Kommunen in NRW, die bei der Ermittlung auf KI setzen darf. In einem ersten Schritt soll die Technik die Asservate durchforsten, langfristig sei aber mehr möglich.