Düsseldorf. Kerstin Breuer steuert Straßenbahnen. Sie liebt ihren Job, streikt aber trotzdem für bessere Bedingungen. Denn der Stress hat sie krank gemacht.
Die Sorge fährt immer mit. Sobald Kerstin Breuer auf dem gepolsterten Fahrersessel der Linie 709 Platz genommen hat, sind Augen und Ohren in Habt-Achtstellung. „Na, mein Lieber, du siehst mich ja wohl“, sagt sie und hat die rechte Hand schon am Griff mit der Klingel. Der Jugendliche mit Kopfhörern im Ohr und Smartphone vor der Nase bleibt stehen. Kerstin Breuer lässt die Straßenbahn wieder Fahrt aufnehmen. „Das ist die Generation Handy, da muss man doppelt aufpassen.“
Seit fast 20 Jahren sitzt sie bei der Rheinbahn am Steuer. Zuerst im Bus, aber nach zwei Herz-OPs fährt sie nur noch Straßenbahn. „Mein Arzt hat damals gesagt, der Stress muss aufhören.“ Der Job in der Bahn ist ruhiger. Die Fahrerkabine ist abgeschirmt, es muss nicht kassiert werden, die Schienen geben gefühlte Sicherheit und Kundenkontakt gibt es so gut wie keinen. „Die Gespräche mit den Fahrgästen vermisse ich“, sagt die 54-Jährige. Als sie noch Bus gefahren ist, hatte sie immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Ein rauer, aber herzlicher Ton. „Ich bin gut klargekommen mit den Leuten.“
Viele Fahrer bei der Rheinbahn beklagen, dass der Job nicht familienfreundlich ist
Krank ist sie trotzdem geworden. Vor Frühschichten war der Schlaf unruhig, das Fahren durch den Stadtverkehr mit der Verantwortung für die Menschen an Bord und der Zusatzbelastung des Ticketverkaufs war eine Herausforderung. „Das schlaucht auf Dauer schon sehr.“ Eine Meinung, mit der sie nicht alleine ist. Bevor sie an diesem Mittag ihre „Mittelschicht“ von 12.45 Uhr bis ca. 21 Uhr antritt, plaudert Kerstin Breuer an der Wechselstelle am Hauptbahnhof mit Kollegen.
Das Häuschen der Rheinbahn, wo sie die Trinkflaschen am Wasserspender auffüllen können, ist ihr Treffpunkt. „Ich habe meine Tochter heute Morgen zur Schule gebracht, aber wenn ich nach Hause komme, schläft sie schon“, erzählt einer. Familienfreundlich, da sind sich alle einig, ist dieser Job nicht. Das System der Schichtdienste sei zu unflexibel. Einfach mal so einen Dienst tauschen, weil man fürs Wochenende eine Einladung bekommen hat, sei nicht möglich. „Da wirst du irgendwann nicht mehr eingeladen, wenn du ständig absagst, weil du arbeiten musst.“
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Mit der Rheinbahn als Arbeitgeber und dem Job als Fahrerin oder Fahrer sind sie trotzdem zufrieden. „Ich mache meine Arbeit nach 35 Jahren immer noch gerne“, sagt Lutz Wiesemann. Aber jetzt, wo der Personalmangel auch auf ihren Schultern immer stärker lastet, gehen sie für bessere Bedingungen trotzdem auf die Straße. Auch Kerstin Breuer findet die Streiks wichtig. Sie ist Mitglied in der Gewerkschaft NahVG und aus Überzeugung dabei, wenn die Bahnen, wie zuletzt mehrfach geschehen, in den Depots bleiben.
Es gibt eine ganze Reihe von Verbesserungen, die die Gewerkschaften fordern. Dazu gehört auch, dass die Zeiten für menschliche Bedürfnisse wie der Schlaf zwischen zwei Schichten oder der Gang zur Toilette während der Arbeit zu knapp bemessen sind. In ihrem Rollkoffer mit dem Rheinbahn-Logo hat Kerstin Breuer auch diesmal wieder ihre Standardverpflegung verstaut: Brote und eine Kanne Tee. Ein Dreiviertel-Liter, den sie an manchen Tagen fast komplett wieder mit nach Hause nimmt. „Ich weiß, das ist nicht gut. Trinken ist wichtig“, sagt sie. „Aber wenn du schon mit Verspätung losfährst, dann ist klar, dass man sich das mit dem Klo abschminken kann.“ Zumindest an der Endhaltestelle in Gerresheim, wo der Aufenthalt noch kürzer als in Neuss ist.
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Heute ist ein guter Tag. Als die Schicht für die 54-Jährige am Konrad-Adenauer-Platz beginnt, ist ihre Linie in Richtung Neuss nur eine gute Minute über der Zeit. In der Fahrerkabine ist es muckelig warm. Der Kollege vor ihr hat die Heizung angemacht. „So liebe ich das“, sagt Kerstin Breuer und zieht bei der Ausfahrt von der Haltestelle die Bimmel am Handgriff: „Das hier ist mein wichtigstes Instrument“.
Rheinbahn-Fahrerin in Düsseldorf: Erinnerung an einen schrecklichen Unfall
Als sie die Bahn Richtung Graf-Adolf-Platz steuert, fängt es an zu regnen. „Ich fahre gerne im Regen. Da sind die Fahrgäste schneller drin und die Schienen schön sauber.“ Das Lieblingsstück ihrer heutigen Route ist die Fahrt über den Südring, wo die Bahn ihre eigene Trasse hat und 60 km/h fahren kann. „Hier sind die Autos schön weit weg.“ Als wir über die Rheinbrücke fahren, kommt die Sonne heraus. „Diesen Ausblick mag ich.“ Kerstin Breuer schaut auf den Fluss. „Ich fahre einfach gerne. Das war immer schon so.“ Hoch konzentriert sein muss sie trotzdem. „Sie glauben gar nicht, wie viele Unfälle ich vermeide, weil ich für Autofahrer mitdenke.“
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Einmal hat das nicht funktioniert und sie krachte mit der Straßenbahn in einen Wagen, dessen Fahrer die Vorfahrt missachtet hatte. „Das war schlimm.“ Ein Schwerverletzter musste aus dem Fahrzeug geschnitten werden. Kerstin Breuer wurde von Seelsorgern betreut. Als sie danach zum ersten Mal wieder am Steuer saß, war ein zweiter Fahrer an ihrer Seite. „Die Rheinbahn kümmert sich um uns.“ Nicht nur in Fällen wie diesen. Auch nach ihren Herzproblemen habe das Unternehmen geschaut, wie man die Bedingungen für sie verbessern kann. „So etwas macht nicht jede Firma!“
Fahrerin bei der Rheinbahn: Zwischen Gerresheim und Neuss hin und her
Wir sind an der Endhaltestelle in Neuss angekommen. So pünktlich, dass die Zeit nicht nur fürs Toilettenhäuschen, sondern auch noch für das Salamibrot reicht. Aus der Bahn ist ein Signal zu hören. „Huch, wir müssen weiter.“ Das Cockpit meldet, dass die Abfahrtzeit erreicht ist. Dreimal wird Kerstin Breuer an diesem Tag noch bis Gerresheim und zurück nach Neuss fahren. Wenn alles gut läuft, dann endet der Abend mit einem Gefühl der Erleichterung: „Wenn ich in der Garage ankomme und es ist nichts passiert, mache ich immer drei Kreuze.“
Rheinbahn Düsseldorf: Schlichtung oder Streik?
Die Tarifverhandlungen über bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im ÖPNV waren Mitte April gescheitert. Die Gewerkschaften Verdi und NahVG fordern auch für die Beschäftigten der Düsseldorfer Rheinbahn Verbesserungen wie Entlastungstage, längere Ruhezeiten zwischen den Diensten und flexiblere Schichtdienste.
Personalmangel, viele Beschäftigte kurz vor dem Rentenalter und die Verkehrswende sind zum Problem im ÖPNV geworden. Für die Zeit der Schlichtungsgespräche hat die Gewerkschaft Verdi die Streiks ausgesetzt. Heiko Goebel, Vorsitzender der NahVG in der Region West: „Die NahVG verhandelt weiter.“