Düsseldorf. Am Montag stellt Sahra Wagenknecht offiziell ihre neue Partei vor. Düsseldorfs Ex-OB Thomas Geisel wird überraschend Kandidat für die Europawahl.

Der ehemalige Düsseldorfer Oberbürgermeister und langjährige Sozialdemokrat Thomas Geisel will für die neue Partei von Sahra Wagenknecht bei der Europawahl am 9. Juni antreten. Die Personalie wurde am Donnerstag bekannt durch eine Termin-Ankündigung der Bundespressekonferenz. Dort will Wagenknecht am Montag in Berlin offiziell die Gründung der Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht - Vernunft und Gerechtigkeit“ (BSW) bekannt geben und ihren Vorschlag für die Europa-Spitzenkandidaturen vorstellen.

In einem Schreiben an Weggefährten und politische Mitstreiter, das dieser Redaktion vorliegt, kündigt der Ex-OB der Stadt Düsseldorf an, dass er gemeinsam mit Fabio de Masi die BSW-Liste für die Europawahl am 9. Juni 2024 anführen werde.

Zuletzt stand eine erneute Oberbürgermeister-Kandidatur im Raum

Mehr als 40 Jahre lang war Thomas Geisel Mitglied der SPD. Nun dürfte sich seine Zeit bei den Sozialdemokraten mit dieser Ankündigung jedoch dem Ende neigen. Für seine (Noch-)Parteigenossen kommt die Nachricht überraschend, sagt Zanda Martens (SPD), Düsseldorfer Vorsitzende sowie Bundestagsabgeordnete ihrer Partei. „Eine erstaunliche Kehrtwende“, meint Martens, weil Geisel sich im Juli in einem exklusiven NRZ-Interview offen hielt, im Jahr 2025 erneut für das Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Düsseldorf zu kandidieren. „Schade um einen Genossen“, äußert Martens und betont, dass seine Jahre als OB für Düsseldorf positiv gewesen seien. Geisel war 2014 als OB der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt gewählt worden und 2020 der CDU unterlegen.

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Doch die Bundestagsabgeordnete äußert sich auch kritisch. Eine Parallele zwischen Geisel und Wagenknecht sieht sie in Äußerungen Geisels zu Kriegsverbrechen Russlands in der Ukraine. Sie verweist auf einen 2022 veröffentlichten, mittlerweile gelöschten, Blogeintrag Geisels zum Thema des Massakers von Butscha (Ukraine). Darin hieß es unter anderem: „410 Zivilisten sind – nach ukrainischen Angaben – den Gräueltaten von Butscha zum Opfer gefallen. Selbstverständlich ist jedes zivile Opfer eines Krieges eine Tragödie und eines zu viel. Aber werden durch die ukrainische Genozid-Rhetorik nicht letztlich die Kriegsverbrechen von Srebrenica, My Lai und Babiyar (Babyn Jar), um nur einige zu nennen, und vielleicht auch die Bombennacht von Dresden, der angeblich 30.000 Menschen zum Opfer fielen, bagatellisiert?“ Dies sei eine klassische Relativierung, findet die Düsseldorfer Bundestagsabgeordnete. „Eine unerträgliche Rhetorik. Die passt auch ganz gut zu der von Frau Wagenknecht“, so die Sozialdemokratin.

Harte Kritik: SPD Düsseldorf prangert Geisels politischen Seitenwechsel an

„Ein Austrittsantrag Geisels aus der Partei lag nach Aussage der Düsseldorfer SPD-Vorsitzenden bis Donnerstagnachmittag nicht vor. Auch dem Landesverband nicht, wie ein Sprecher der NRW-SPD der Deutschen Presse-Agentur (dpa) erklärte. Die SPD Düsseldorf geht davon aus, dass er am kommenden Montag eine Kandidatur für das „BSW“ ankündigen wird – und machte bezüglich Geisels Parteimitgliedschaft am Donnerstag eine deutliche Ansage: „Seine Kandidatur ist weder formal noch inhaltlich mit seiner bisherigen Mitgliedschaft in der SPD vereinbar“, heißt es in einem Statement des Vorstandes, das auf der Webseite der Düsseldorfer Sozialdemokraten veröffentlicht wurde. „Sahra Wagenknecht und ihr Bündnis stehen an der Seite des verbrecherischen Putin-Regimes.“ Darüber hinaus relativiere sie die Dringlichkeit des Klimaschutzes und diskreditiere Migranten. Die bisherige Arbeit von Geisel und seine „unumstrittenen Verdienste“ blieben dennoch geschätzt.

„Letztendlich ist es eine persönliche Entscheidung Thomas Geisels“, kommentiert Sabrina Proschmann, Co-Vorsitzende der Düsseldorfer SPD-Ratsfraktion die Ankündigung. Auch sie sei davon überrascht gewesen. Trotz der positiven Bilanz seiner Jahre im OB-Amt habe sie es aber für sehr unwahrscheinlich gehalten, dass Geisel noch mal Oberbürgermeisterkandidat für ihre Partei wird. In den letzten Jahren sei deutlich geworden, dass sich Geisel und die Düsseldorfer SPD inhaltlich voneinander entfernt hätten. Parallelen zwischen dem Ex-OB und der früheren Linken-Politikerin Wagenknecht sehe sie nicht nur in der Haltung bezüglich des Ukrainekrieges, sondern auch in dem „Duktus“, in dem Geisel Kritik an existierenden Parteien äußere.

Geisels langjähriger Sprecher zeigt sich „überrascht“

Dieter Schneider hat sieben Jahre lang eng mit Thomas Geisel zusammengearbeitet – als dessen Sprecher. Im vergangenen Jahr habe er Geisel mit Rat zur Seite gestanden, als dieser nach seinem weiteren Weg in der Politik gesucht hat, berichtet Schneider. Dabei sei er auch in einige Gespräche einbezogen gewesen: „Wir haben in lockerer Reihenfolge mit verschiedenen Leuten Gespräche geführt.“

Dabei habe Geisel mit Politikern der kommunalen, Landes- und Bundesebene gesprochen, verrät Schneider. „Es hat von einigen Seiten den Rat gegeben, überregional anzutreten. Mit seinem Hintergrund – er kommt aus der Wirtschaft und kennt sich da aus – kann er da für eine Wirtschaftspolitik stehen, die sich abgrenzt von der Subventionspolitik der Grünen.“

Mit der konkreten Entscheidung Geisels für das BSW anzutreten, habe er jedoch nichts zu tun, sagt Schneider. Die Ankündigung habe ihn „in diesem Moment ehrlich gesagt ein bisschen überrascht.“

Erst vor knapp einem Monat für die 40-jährige SPD-Mitgliedschaft geehrt

In seinem Schreiben erklärte Thomas Geisel unterdessen, dass ihm die Entscheidung nicht leichtgefallen sei. „Erst vor knapp einem Monat wurde ich für meine 40-jährige Mitgliedschaft in der SPD geehrt. Ich habe damals gesagt, dass sich jeder darauf verlassen könne, dass ich mein Leben lang Sozialdemokrat bleiben würde“, so der 60-Jährige.

Aber Sozialdemokraten in der Tradition von Willy Brandt und Helmut Schmidt seien in der heutigen SPD heimatlos geworden. „In der Asyl- und Einwanderungspolitik betreibt die SPD nunmehr seit bald 30 Jahren eine ideologisch getriebene Politik der Realitätsverweigerung“, lautet eines seiner Argumente. Soziale Wohltaten würden „auf Pump“ ausgeschüttet. Für eine Steuerreform fehlten Mut und Fantasie. „Meine Entscheidung ist gefallen und ich würde mich freuen, wenn mir viele von Euch dabei folgen würden“, schließt er sein Schreiben.

Zu Wagenknechts weiteren Personalvorschlägen zählt neben anderen auch der ehemalige Bundestags- und Europa-Abgeordnete Fabio de Masi, der früher der Partei Die Linke angehört hatte.

Geisel selbst bestätigte auf NRZ-Anfrage, dass er an der Pressekonferenz in Berlin teilnehmen werde. Zu den Gerüchten um seine Person wollte sich der ehemalige Düsseldorfer Oberbürgermeister im Vorfeld aber nicht äußern. (mit dpa)

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