Voerde. Nach dem Angst schürenden Brief an den Bürgermeister bezog der Leiter des Seniorenzentrums „Altes Rathaus“ beim Infoabend sehr deutlich Position.
Bevor die Stadt am Donnerstagabend über ihre Pläne zur Unterbringung von Flüchtlingen im Awo-Seniorenzentrum „Altes Rathaus“ informierte, bezog Einrichtungsleiter Benedikt Werner zu Aussagen einer Gruppe, die sich selbst „Die Alten“ nennt, deutlich Position. Der Hausherr wandte sich an die Zuhörerinnen und Zuhörer, die in den historischen Sitzungssaal gekommen waren, und erklärte, dass es ihm ein dringendes Anliegen sei, sie „ins rechte Bild“ zu setzen: „Wir im ,Alten Rathaus‘ sind bunt, vielfältig und weltoffen.“ Man werde für die „Grundwerte der Arbeiterwohlfahrt eintreten: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Toleranz“. Von den 80 Bewohnerinnen und Bewohnern habe jeder achte eine „Zuwanderungsgeschichte“, fast jeder zweite der aktuell 96 Beschäftigten dort habe einen Migrationshintergrund.
Vor drei Wochen bereits hatte die Stadt zunächst Bewohnern und Angehörigen des Awo-Seniorenzentrums an der Frankfurter Straße die Absicht dargelegt, die Räume der stationären Pflegeeinrichtung für die Unterbringung von Schutz suchenden Menschen zu nutzen, wenn diese leerstehen. Das Gebäude wird frei, wenn die Altenheim-Bewohner in den gerade entstehenden Neubau umziehen. Jene Infoveranstaltung am 1. März mündete, wie berichtet, in einen Brief an den Bürgermeister, der es in sich hat. Das Schreiben, unterzeichnet mit „Die Alten“, schürt Angst vor Flüchtlingen. Den Senioren werde ein „Zusammenleben mit diesen Menschen“ aufgebürdet. Sie seien wütend darüber, dass man „ihnen ein Zusammenleben mit Asylbewerbern zumuten möchte“, heißt es in dem Brief auch unter anderem.
Bürgermeister widersprach Vorwurf der „Profitgier“
Bürgermeister Dirk Haarmann ging am Donnerstagabend erneut auf die Unterstellung ein, die Awo handele aus „Profitgier“ und verwahrte sich dagegen. Die Stadt sei auf die Arbeiterwohlfahrt zugegangen, als klar war, dass die nach dem Einzug in den Neubau leerstehenden Räume im Altgebäude der stationären Einrichtung nicht sofort einer Nachnutzung zugeführt würden. Die Bedingungen, die das Gebäude der Pflegeeinrichtung „Altes Rathaus“ bietet, nannte Haarmann „ideal“. Die 70 Zimmer verfügten über ein eigenes Badezimmer und eine Toilette.
Etwa 140 Flüchtlinge möchte die Stadt dort temporär unterbringen. „Wir reden über einen Zeitraum von drei Jahren“, sagte Haarmann, dann soll neu entschieden werden. Der Verwaltungschef machte aber ebenfalls deutlich, dass auch eine kürzere Dauer möglich sei, sollte die Arbeiterwohlfahrt ihre Pläne etwa schon vorher realisieren wollen. Die Stadt werde die langfristig angestrebte Nutzung der Awo nicht behindern, versicherte Haarmann, der zudem auf die Vorteile verwies, Flüchtlinge in ein bereits bestehendes Gebäudes mit passender Raumstruktur ziehen zu lassen: „Wir wollen vermeiden, teure Unterkünfte zu bauen, die nachher leerstehen.“
Als Einzugstermin in das alte Gebäude ist Februar 2025 anvisiert
Die andere Säule, auf die Voerde setzt, sind Wohncontainer, wie sie zeitlich befristet etwa im Außenbereich von Spellen errichtet werden sollen. Für deren Betrieb muss die entsprechende Infrastruktur auf dem Grundstück geschaffen werden. Mit dem Bezug des Awo-Seniorenzentrums erzeuge die Stadt „keine Wegwerfleistung“. Es „wäre fast sträflich, wenn wir die Möglichkeit nicht nutzen würden. Das ist hoch vernünftig“, betonte Haarmann. Als Einzugstermin ist – Stand jetzt – Februar 2025 anvisiert. Ursprünglich sollte das „Alte Rathaus“ bereits in diesem Jahr mit Flüchtlingen belegt werden, doch wegen Verzögerungen beim Neubau verschiebt sich dies. Die Senioren sollen im November 2024 umziehen.
Haarmann ging auch auf die Diskussionen in den sozialen Netzwerken über die Pläne der Stadt zur Unterbringung von Flüchtlingen ein. Dort seien „viel Unwissen und viele Unwahrheiten“ im Umlauf. „Wir haben statistisch keine Auffälligkeiten in Voerde“, sagte Haarmann. Sicherlich könne er nicht garantieren, dass es zu keiner Straftat komme, aber das könne er auch nicht bei der einheimischen Bevölkerung.
Mit der Caritas hat die Stadt einen erfahrenen Partner an ihrer Seite, der sich um die Betreuung der Menschen in Voerde kümmert. Insgesamt hat der auch in anderen Kommunen tätige Verband 3000 Zuflucht-Suchende in seiner Obhut. Auch Caritasdirektor Michael van Meerbeck erklärte, es gebe „keine Auffälligkeiten“ in den Unterkünften, „Streitigkeiten untereinander“ ja, wenn diese zu eng belegt sind.
Auf Nachfragen stieß im Diskussionsteil der Infoveranstaltung der Betreuungsschlüssel: Ein Caritas-Mitarbeiter ist für 130 Flüchtlinge zuständig. „Wir kommen bisher damit aus“, sagte van Meerbeck und stellte in Aussicht, bei Bedarf aufzustocken. Wie es die Caritas in Zeiten von Fachkräftemangel schaffen will, Personal zu beschaffen, wollte eine Zuhörerin wissen. Van Meerbeck gab sich optimistisch: Wohlfahrtsverbände, die tarifgebunden sind, hätten weniger Probleme, Menschen zu finden – zumal, wenn sie wie die Caritas hier verwurzelt, wenn sie Ausbildungsträger seien.
Auch trat van Meerbeck der Sorge entgegen, dass der Betreuungsschlüssel 1:130 nicht ausreichend sein könnte: Die Flüchtlinge, die hierher kämen, seien mündig, sie müssten nicht erzogen oder bekocht werden. Vielmehr gehe es darum, ihnen Wege aufzuzeigen, in dieser Gesellschaft zurechtzukommen. „Wenn wir sehen, dass es nicht reicht, wird der Schlüssel angepasst“, versicherte zudem Bürgermeister Haarmann. Kritik daran, dass eine Flüchtlingsunterkunft ausgerechnet in einem Altenheim geplant ist, wurde auch geäußert – im gemäßigten Ton. Ein Anwohner mahnte angesichts der Traumata, die Geflüchtete erlebt haben können, die Dinge „nicht kleinzureden“.