Dinslaken. Mit 19 Jahren flüchtete Nana Avdalova nach Dinslaken und sprach kein Wort Deutsch. Heute ist sie ein Musterbeispiel für gelungene Integration.

Die 28-jährige Nana Avdalova ist für viele keine Unbekannte mehr – seit Jahren schon gilt sie als Paradebeispiel für gelungene Integration. Viel Eigeninitiative aber auch viele Zufälle verhalfen der jungen sprachbegabten Frau dazu. Doch auch ihr wurde der Erfolg nicht in die Wiege gelegt, sie brachte einen langen Weg hinter sich, der die Jesidin aus Georgien von ihrer Geburtsstadt Moskau nach Dinslaken führte.

Heute arbeitet sie in der Leistungsabteilung der Agentur für Arbeit in Wesel. „Da habe ich das Gefühl, etwas für die Menschen tun zu können“, sagt sie. Sie strahlt, sie gerät ins Schwärmen, wenn sie über ihren Arbeitgeber spricht. Dabei hätte sie als Fremdsprachenkorrespondentin sicherlich Großes erreichen können – immerhin spricht die junge Frau acht Sprachen: ihre Muttersprache Jesidisch, Kurdisch, Georgisch, Spanisch, Russisch, Serbisch, Englisch und Deutsch. Nun ja, Latein gehört auch noch dazu und derzeit lernt sie gerade die französische Sprache. „Wer Latein kann, erhält einen schnelleren Zugang zu anderen Sprachen“, meint sie. Viele würden ihr da sicherlich widersprechen.

Nana kam in Kontakt mit den Frauen der Herz-Jesu-Gemeinde in Hiesfeld

„Ich habe mich aufgrund meiner jesidischen Herkunft immer gefragt, wer bin ich“, erinnert sie sich an ihre erste Zeit in Deutschland. Hier habe man oft gefragt, woher sie stamme. Das gab ihr zu denken. „Meine neunjährige Schwester ist in Deutschland geboren und verkündet das auf solche Fragen stolz. So habe auch ich eine Antwort gefunden – ich bin ein Mensch.“ Wenn alles gut geht, wird sie vielleicht Ende des Jahres sagen können: „Ich bin eine Deutsche“, denn Nana Avdalova hat die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt.

Doch wie kam es zu ihrer Karriere? 2014 war sie mit den Eltern und dem Bruder aus Georgien geflohen und nach Deutschland und schließlich nach Dinslaken gekommen. Sie habe Glück gehabt, dass so viele Menschen an sie glaubten, erzählt sie. Vor allem den Frauen aus der Herz-Jesu-Gemeinde in Hiesfeld habe sie es zu verdanken. „Die haben trotz meiner Sprachdefizite, ich sprach ja kein Deutsch, in mir ein intelligentes Mädchen gesehen und mich gefördert und gefordert“, berichtet sie. So habe sie schließlich die deutsche Sprache sehr schnell gelernt.

14 Geflüchtete durften Ausbildung bei der Arbeitsagentur machen

Den Ausschlag aber machte ihre damals schwangere Mutter. „Ich hatte Panik, fragte mich, wie wir hier überleben sollen ohne Sprachkenntnisse“, sagt sie. Und wieder hat sie Glück. Nana Avdalova gehörte 2016 zu den 14 jungen Menschen mit Fluchthintergrund, die eine Ausbildung bei den Arbeitsagenturen in NRW beginnen konnten. Dieser Weg in die Ausbildung wurde durch eine sechsmonatige betriebliche Einstiegsqualifizierung (EQ) möglich.

Zu jener Zeit hatte sie schon die ersten Deutschsprachkurse an der VHS absolviert, den B2-Deutschkurs hinter sich gebracht und sich am Berufskolleg für den Lehrgang als Fremdsprachenkorrespondentin eingeschrieben. Nach sechs Monaten dort stand ein Praktikum an, dabei geriet Nana Avdalova an eben jene EQ bei der Arbeitsagentur. „Dabei wusste ich nicht einmal, was das bedeutet“, sagt sie und lacht. „Ich bin damals zu meinem Lehrer und habe nachgefragt. Der war sofort begeistert und sagte mir, dass dies eine einmalige Chance für mich sei.“

Nana hat berufliche Ziele bei der Agentur für Arbeit

Er hatte recht. Bereits während ihrer EQ-Zeit merkte die junge Frau, dass ihr der Job zusagte, dass sie ihre berufliche Heimat gefunden hatte. Nach erfolgreichem Abschluss der Einführungsqualifikation bewarb sie sich und konnte die Ausbildung beginnen und schloss diese ebenfalls erfolgreich ab. Heute ist sie in der Leistungsabteilung angekommen, bewilligt Anträge für Essen, Gelsenkirchen, Bottrop, Oberhausen und den Kreis Wesel.

Jeder Antrag, den sie ablehnen muss, bricht ihr fast das Herz, weil sie die Menschen dahinter sieht. „Ich rufe sie dann an und erkläre, warum wir ablehnen müssen“, sagt sie. Damit allerdings nicht genug, sie will sich weiterbilden, will die Karriereleiter in der Agentur höher klettern. „Nein, neue Leiterin der Agentur für Arbeit will ich nicht werden, eher eines Tages als Vermittlerin arbeiten oder in der Berufsberatung für junge Menschen. Viele von ihnen haben Schwierigkeiten, ihren beruflichen Weg zu finden, dabei möchte ich helfen.“

28-Jährige möchte anderen Geflüchteten in Dinslaken helfen

Helfen, das macht sie schon jetzt in der Herz-Jesu-Gemeinde. Da gibt es die geflohenen Frauen aus der Ukraine, aus Afghanistan, aus Syrien, aus dem Iran – ihnen allen versucht sie auf ihre Weise zu helfen, versucht zu motivieren. „Was ich geschafft habe, schaffen auch andere, wenn sie nur die Sprache beherrschen“, ist sich Nana Avdalova sicher.

Und dann klappt es auch mit der deutschen Staatsangehörigkeit sofern man das will. Und Nana Avdalova will. „Ich habe keinen Bezug mehr zu Georgien, ich fühle mich hier angenommen.“ Ihren Ehemann, einen Jesiden aus England hat sie im britischen Königreich geheiratet, er ist ihr aus Liebe nach Deutschland gefolgt. „Er will aber Brite bleiben“, sagt sie. Sie aber freut sich schon auf die Einbürgerung. „Ich fühle ich schon zu 99 Prozent voll integriert“, sagt sie.

Ein Prozent allerdings bleibt Georgien in ihr – das sei das Essen – das sei wesentlich leckerer, vor allem wenn die Mama es koche. „Jesiden sind ein Volk ohne Land, aber sie lieben jedes Land“, sinniert die junge Frau. „Wenn ich zu keinem Land gehöre, dann finde ich ein Land in mir.“ Bald wird sie zu Deutschland gehören.

NRZ Serie: Angekommen in Dinslaken

Sie müssen ihre verlassen, weil dort Krieg herrscht, weil sie verfolgt werden. Bei uns finden sie Aufnahme. Aktuell befinden sich wieder viele Menschen auf der Flucht. Wie geht es Geflüchteten, die schon einige Jahre bei uns sind? Die NRZ hat vor einigen Wochen über zwei Familien berichtet, die in Dinslaken eine neue Heimat gefunden haben. Das hat dazu geführt, dass wir weitere Menschen gesucht haben, die uns ihre Geschichte erzählen wollen, von ihrem Leben in der neuen Heimat.