Dinslaken. So schlug das Ensemble Sanstierce die Brücke zwischen den mittelalterlichen Kompositionen von Hildegard von Bingen und modernen von Bassem Hawar.

Der Bordunbass summt und brummt, die mystisch endlos fließende Melodie, die Hildegard von Bingen vor über 850 Jahren komponierte, weckt in der Herz-Jesu-Kirche Oberlohberg eine Ahnung von Ewigkeit. Begleitet wird die klare Sopranstimme von Maria Jonas von Instrumenten, die Assoziationen an biblische Zeiten wecken: silbrig klingende Psalter, die Schwingungen der Saite unterm Bogenstrich, das der Stimme so verwandte, atmende Flötenspiel.

Das Instrumentarium, was an diesem Sonntagnachmittag in der Kirche erklang, entsprach klanglich durchaus unseren heutigen mittelalterlichen Vorstellungen. Jedoch handelte es sich um moderne Instrumente - eines sogar vom Interpreten selbst gebaut. Was vielen Menschen hierzulande nicht bewusst ist, ist der Ursprung der westlichen Musikinstrumente im Orient. Und dort haben sich die alten Formen mehr erhalten, ebenso wie der Verzicht auf Mehrstimmigkeit. Was liegt also näher, über die Musik des westlichen Mittelalters Orient und Okziden musikalisch zu vereinen?

Bereicherndes Konzert

Maria Jonas wurde am Sonntag von Rageed Williman auf der Ney, - einer Längsflöte - und dem Doppelrohrblattinstrument Duduk, von Rimonda Naana auf dem Kanun, einer Kastenzither, und Bassem Hawar auf der Djoze begleitet. „Von Bingen nach Bagdad“ und wieder zurück ging die musikalische Reise des Ensembles Sanstierce. „Eines der bereicherndsten Konzerten in Herz Jesu überhaupt“, wie Käthi Klein vom veranstaltenden Förderverein zum Schluss meinte.

Der Bordun, der durchklingende Basston unter den Melodien von Hildegard von Bingen erzeugte Maria Jonas mit einer Shrutibox, deren Prinzip man in Indien vom Harmonium abguckte. Musik ist Austausch, zwischen Menschen und damit auch zwischen Kulturen. Und so verbindet Sanstierce die Musik der katholischen Nonne und Kirchengelehrten Hildegard von Bingen mit Eigenkompositionen des aus dem Irak stammenden Bassem Hawar, darunter auch Vertonungen von Gedichten des in Deutschland lebenden Palästinensers Khaled Shomali.

Musikalische Paare

Mittelalter oder Orient? Es reicht ein Versetzen des Vorzeichens, eine modale Kirchentonart in einen modalen Maqam zu verwandeln. Und die geistlichen Kompositionen von Hildegard und die weltlichen von Bassem Hawar unterscheiden sich vor allem durch die tänzerischen Rhythmen des Letztgenannten. Sanstierce spielen die Stücke bevorzugt als musikalische Paare; eines geht in das andere über, die Grenzen sind bewusst fließend.

Dann endete das Set mit einem Lied der libanesischen Sängerin Fairuz, in dem sie die „Blume aller Städte“, Jerusalem mit ihren Tempeln, Kirchen und Moscheen besingt: „Das Kind in der Höhle, seine Mutter Maria, ihre weinenden Gesichter... und ich bete“, heißt es zum Schluss

Das Publikum verfolgte die musikalischen Begegnungen ruhig. Doch als der letzte Ton der Shrutibox ausgeklungen ist, erhoben sich alle für stehende Ovationen.

Kokosnuss und Fischhaut

Die Begegnung und Verschmelzung der Musikstile über Raum und Zeit ist insgesamt faszinierend. Aber es lohnt sich auch, auf ein bestimmtes Detail zu achten: die Djoze von Bassem Hawar. Der Musiker hat sich seine persische Kniegeige selbst gebaut. Als Resonanzkörper dient eine Kokosnuss - Djoze im Aabischen -, deren drei Löcher zu Schalllöchern wurden. Bespannt ist sie mit Fischhaut. Die Saiten werden auf dem Griffbrett gespielt - ganz wie bei einer Geige. Die Stimmung ist aber G- d -g -d’. Die auf den Knien auf einem Spieß stehende und beim Saitenwechsel leicht mitgedrehte Djoze spielt Hawar mit einem modernen Dreiviertel-Violinbogen. Der Ursprung des Instruments reicht aber 5000 Jahre zurück ins sumerische Ur.