Voerde. Voerdes Bürgermeister sieht bei der Verteilung der im Zuge des Kohleausstiegs den Regionen angekündigten Bundesmittel eine Ungleichbehandlung.
Das Ende Mai vom Bundeskabinett beschlossene Eckpunktepapier zum Kohleausstieg, das auf den strukturpolitischen Empfehlungen der Kohlekommission basiert, sieht milliardenschwere Strukturhilfen auch für Steinkohlekraftwerksstandorte vor. Ursprünglich sollten die Bundesmittel nur Braunkohleregionen zugute kommen. Voerde bliebe nach der jetzigen Regelung dennoch außen vor. Für Voerdes Bürgermeister Dirk Haarmann ist dies eine Ungleichbehandlung.
Herr Haarmann, warum werden bereits stillgelegte Kraftwerksstandorte wie der in Voerde nicht berücksichtigt? Was halten Sie als Argument dagegen?
Das Eckpunktepapier nimmt allein die Standorte in den Fokus, die erst durch den aktuellen Austrittsbeschluss bis 2038 vom Netz gehen werden und sieht sowohl Entschädigungen für die Kraftwerksbetreiber als auch Infrastrukturfördermittel für die betroffenen Regionen vor. Da das Werk Voerde bereits in 2017 vom Netz gegangen ist, wirkt hier zwar erkennbar eine Stichtagsregelung, es ist aber nicht nachvollziehbar, dass kein Modell für Entschädigungen in „Altfällen“ wirken kann und Voerde als betroffene Region völlig außen vor bleiben soll. Die Schließung des Kraftwerksstandortes in Voerde ist unzweifelhaft auch ein Resultat der Kohlepolitik des Bundes der vergangenen Jahre.
Ist der Voerder Standort als einziger von dieser Regelung betroffen oder wissen Sie von Kollegen aus anderen Städten, die dieses Problem teilen?
Es gibt auch andere Kraftwerke, die bereits stillgelegt wurden, beispielsweise in Herne und im Kreis Unna. Da dort aber noch weitere Werke in Betrieb sind, erhält der Kreis insgesamt Infrastrukturfördermittel – gegebenenfalls auch aus anderen Programmen. Diese kann er auch für die bereits stillgelegten Standorte einsetzen. Und hier zeigt sich die Ungleichbehandlung der einzelnen Regionen. Hätte man Voerde mit Duisburg in einer Region zusammengefasst, sähe das Ergebnis vielleicht anders aus.
Hat es gegenüber Bund und Land einen Schulterschluss der nicht berücksichtigten Regionen gegeben oder sind solche Aktionen geplant?
Die einzelnen Regionen sind miteinander im Gespräch. Es gilt zunächst einmal, dass jeder die konkreten Auswirkungen für sich herausarbeitet und dass wir dann bei gemeinsamen Interessen diese auch gemeinsam vertreten. Neben den direkten Hilfen für eine Region sehe ich bereits jetzt eine hohe Übereinstimmung in der Erkenntnis, dass die betroffenen Kommunen eine gemeinsame Gesprächs- und Organisationsstruktur brauchen, die das Land NRW intensiv begleitet.
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Ähnlich ist man bei der Stilllegung und Entwicklung der Bergwerksflächen im Land vorgegangen – ein sehr erfolgreiches Vorgehen. Ich habe bei einem gemeinsamen Gespräch der betroffenen Bürgermeister und Landräte mit Wirtschaftsminister Prof. Dr. Pinkwart bereits für ein solches Vorgehen geworben.
Haarmann sieht durch Schwerpunktlegung der Landesregierung Ansatzpunkt für Voerde
Ende März hatten Sie mit Landrat Dr. Ansgar Müller, Dinslakens Bürgermeister Dr. Michael Heidinger und Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link in einem Brief an Kanzlerin Merkel und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet Strukturhilfen auch für Steinkohlekraftwerksstandorte – für noch stillzulegende wie auch schon vom Netz genommene – angemahnt. Hat es darauf aus Berlin und Düsseldorf eine Antwort gegeben? Wenn ja, welche?
Die Antworten sind fast zeitgleich Mitte Juni eingegangen. Das Schreiben aus Berlin verweist nur ganz allgemein auf die Kabinettsbeschlüsse vom 22. Mai und geht nicht auf unsere besondere Problematik ein. Ministerpräsident Laschet wird etwas konkreter, dass „mit der Bundesregierung eine weitestgehende Übereinkunft darüber erzielt werden konnte, dass neben dem Kriterium der wirtschaftlichen Bedeutung der Kraftwerke für die Standortkommune auch das Kriterium der Strukturschwäche als Kriterium für die Gewährung von Hilfen zur Anwendung kommen soll.“
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Daraus alleine ist noch nicht konkret ableitbar, dass Voerde doch noch bedacht wird, denn auch hiermit wird der Fokus auf die noch stillzulegenden Standorte gelenkt. Da die Landesregierung aber insgesamt einen besonderen Schwerpunkt in der Nachnutzung von Industrieflächen und dabei auch konkret von brachgefallenen Kraftwerksstandorten setzt, soll das Themenspektrum der Ruhrkonferenz mit diesem Schwerpunkt nachgeschärft werden. Hieraus könnte sich gegebenenfalls ein Ansatzpunkt für Voerde ableiten lassen.
Welche Signale wurden seitens der Stadt noch seit der Stilllegung des Kraftwerks gen Bund und Land zwecks Fördermitteln gesandt?
Bereits seit zwei Jahren stehen wir, das heißt die Stadt Voerde und die Eigentümer Steag und RWE mit dem Wirtschaftsministerium und der Bezirksregierung Düsseldorf im Austausch, um geeignete Förderprogramme zur Unterstützung und Beschleunigung des Rückbaus und der Flächenentwicklung zu erreichen. Die Möglichkeiten sind im Rahmen der bestehenden Förderprogramme aber eher begrenzt und benötigen einen sehr langen zeitlichen Vorlauf. Die vom Bund nun mit dem Eckpunktepapier in Aussicht gestellten Hilfen gehen sowohl vom Volumen als auch vom Zuteilungsverfahren her einen schnelleren und einfacheren Weg.
Warum hat die Forderung nach finanzieller Unterstützung auch für bereits abgeschaltete Kohlekraftwerke bisher nicht verfangen?
Die vom Bund eingesetzte Kommission hatte den Auftrag, ein konsensfähiges Gesamtpaket für den Austritt aus der Kohleverstromung in Deutschland zu entwickeln und hat daher den Fokus auftragskonform auf die noch aktiven Werke gelegt. In Kenntnis dessen beinhaltete ja gerade unser gemeinsamer Appell aus Duisburg, Dinslaken, Voerde und dem Kreis Wesel die Forderung, den Fokus auf die bereits stillgelegten Standorte auszuweiten. Dies ist leider nicht berücksichtigt worden.
Verwaltungschef kann Vorwürfe des Voerder CDU-Sprechers nicht nachvollziehen
CDU-Sprecher und Ratsherr Bernd Altmeppen hat Ihnen und dem Landrat vorgeworfen, der Stadt mit Ihrer Ende Mai geäußerten Kritik an ausbleibenden Strukturhilfen geschadet zu haben. Damit hätten Sie „die andauernden Bemühungen“ der CDU-Landtagsabgeordneten Quik, weitere Fördergelder beziehungsweise Strukturhilfen nach Voerde zu holen, konterkariert. Auch fürchtet Altmeppen negative Folgen bei künftigen Entscheidungen der NRW-Koalition aus CDU und FDP über mögliche Hilfen für Voerde. Was erwidern Sie ihm?
Ich kann diese Aussagen aus mehreren Gründen überhaupt nicht nachvollziehen und sehe in Teilen das bisherige Handeln auch falsch interpretiert. Ich sehe es als meine zwingende Verpflichtung, Politik und Öffentlichkeit darüber zu informieren, wenn in einem für die Stadtentwicklung so wichtigen Thema auf Bundesebene Entscheidungen gegen unsere städtischen Interessen getroffen werden. Schließlich waren ja die Briefe an den Ministerpräsidenten NRW und die Kanzlerin auch in Kopie an die Fraktionen gegangen. Ich habe dabei sogar Unterstützung für dieses Vorgehen erfahren.
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Ich halte es nach wie vor für richtig, weiter auf Bundesebene für die Aufnahme Voerdes in das Programm zu werben. Ich verstehe nicht, wie man aus dieser Forderung gegen den Bund negative Folgen für die Stadt auf Landesebene ableitet. Es liegt doch letztlich auch im Landesinteresse, Forderungen zunächst gegen den Bund zu richten. Und im Besonderen kann es auch nur Landesinteresse sein, dass der brachgefallene Standort in Voerde möglichst schnell eine Revitalisierung erfährt. Nicht zuletzt hat deswegen das Land in Voerde darum geworben, den Standort als Kooperationsfläche anzumelden. Ferner verweise ich auf die Aussage von Ministerin Scharrenbach, die konkret von der Schaffung von Abrissverpflichtungen für die stillgelegten Kraftwerksstandorte spricht, um dem hohen Bedarf an Gewerbeflächen im Land NRW und in der Region gerecht zu werden.
Was plant die Stadt noch zu tun?
Wirtschaftsminister Prof. Dr. Pinkwart hat in der Besprechung mit den Standortkommunen am 20. Mai den Auftakt zu einer Dialogreihe angekündigt. Der Ministerpräsident greift dies auf und kündigt eine Unterstützung des Landes bei den notwendigen konkreten Einzelgesprächen zwischen den Kommunen und den Eigentümern an. Zurzeit werden hierzu Gespräche koordiniert.
Angenommen, der schlimmste Fall tritt ein, und für die Entwicklung des früheren Kraftwerksstandortes fließen keine Mittel: Würde Voerde damit der Verbleib einer riesigen Industrieruine drohen?
So weit will ich nicht gehen, da beide Eigentümer (Steag und RWE) bisher wiederholt bekräftigt haben, die Fläche abräumen und entwickeln zu wollen. Ich behaupte allerdings, dass eine Entwicklung ohne diese Hilfen deutlich länger dauern wird.
Die Fragen stellte Petra Keßler