Voerde. . Steag-Geschäftsführung legte in Voerde die Geschäftsbilanz 2016 vor und erklärte Grund für die Stilllegung eines „hochfunktionalen“ Standorts.

  • Steag-Geschäftsführung erklärte in Voerde Grund für die Stilllegung eines „hochfunktionalen“ Standorts
  • Der Rückbau des Voerder Kraftwerkstandortes soll nach jetzigem Stand zwei bis drei Jahre dauern
  • Steag ist mit RWE als Miteigentümerin und der Stadt Voerde über die Folgenutzung im Gesprach

Endzeitstimmung auf der Industriefläche an der Frankfurter Straße 430. Wenige Tage nach dem offiziellen Stilllegungstermin sind auf dem weitläufigen Kraftwerksgelände der Steag in Voerde nur noch vereinzelt Mitarbeiter zu sehen. Um die 50 Beschäftigte der ehedem fast 300-köpfigen Belegschaft sollen geblieben sein, um die Anlage nunmehr „trocken zu legen“, sprich, sämtliche Flüssigkeiten, die für den Betrieb benötigt wurden, abzulassen, aufzufangen und zu entsorgen. An diesem vierten Tag nach der offiziell letzten Schicht (die NRZ berichtete) ist die Konzern-Spitze aus Essen an den Niederrhein gereist, um die Presse über das abgelaufene Geschäftsjahr 2016 und das Aus der Stromproduktion in Voerde nach 47 Jahren zu informieren – und am Ende die Schließung mit einem symbolträchtigen Foto zunächst im Leitstand der Blöcke A und B des Kraftwerks „Voerde“ und später an einer geschlossenen Schranke zu dokumentieren.

Belastende Marktveränderungen

Doch zuerst geht es in die Maschinenhalle von Block A. Dort, im Schatten der gigantischen Dampfturbine hebt der Vorsitzende der Steag-Geschäftsführung, Joachim Rumstadt, den „hohen“ Effizienzgrad und den

In Voerde wird kein Strom mehr produziert.
In Voerde wird kein Strom mehr produziert. © Lars Fröhlich

vergleichsweise „geringen“ Schadstoffausstoß des Voerder Steinkohlekraftwerkes hervor, spricht von Europas Referenzkraftwerk mit „bester“ Technologie, um dann zu erklären, warum die Steag und ihr Partner RWE dennoch die Schließung dieses „hochfunktionalen“ Standortes beschlossen haben, dessen Wiederbeschaffungswert bei rund drei Milliarden Euro liege. Die Energiewende lasse einen wirtschaftlichen Betrieb nicht mehr zu. Die „politisch beeinflussten Marktveränderungen“ durch die Energiewende „belasten die Steag“. Folge: ein 2016 erneut „dramatischer Verfall“ des Strompreises.

Vorruhe- und Altersabgangsregelungen für ein Drittel der Beschäftigten

Für die zuletzt knapp 300 Beschäftigten am Voerder Standort habe man mit dem Betriebsrat als „erstem Ansprechpartner für die Sorgen, Nöte und Ängste unserer Mitarbeiter“ im engen Schulterschluss „für jeden Einzelnen zumutbare Lösungen gesucht und gefunden“, ist von Seiten der Steag-Geschäftsführung weiter zu vernehmen.

Mehr als die Hälfte der Belegschaft habe man an Arbeitsplätze an anderen Standorten vermitteln können. Dabei seien auch längere Fahrtzeiten zum neuen Arbeitsplatz und andere Tätigkeiten „in Kauf genommen worden“. Dies trifft auch die Führungsebene: So tritt der bisherige Kraftwerksleiter Thomas Wagener die Altersnachfolge für den ausgeschiedenen Leiter des Raffineriekraftwerks des Essener Konzerns im sächsisch-anhaltinischen Leuna an. Für jeden dritten in Voerde beschäftigten Mitarbeiter seien „mit Vorruhestands- und anderen Altersabgangsregelungen“ ebenfalls „sozialverträgliche“ Lösungen ermöglicht worden. Weitere zehn Prozent der Beschäftigten verlassen nach Steag-Angaben das mit Unternehmen mit „finanzieller“ Unterstützung „für die Vermittlung auf externe Arbeitsplätze“.

Die anstehende Trockenlegungsphase auf dem Kraftwerksgelände, wofür nach derzeitigen Planungen eine Dauer von rund sechs Monaten angenommen wird, geschieht nach Aussage der Steag „in enger“ Begleitung durch die zuständigen Behörden. Der Prozess erfolge unter behördlicher Überwachung, das Areal werde den „Umweltstandards entsprechend für den Rückbau vorbereitet“, so Konzern-Chef Rumstadt.

Teile der Anlage werden recycelt

Auf die Frage nach möglichen Bodenbelastungen auf dem Gelände aus der Zeit, als das Kraftwerk noch in Betrieb war, verwies Volker Veelmann auf „beschichtete Auffang-Wannen“ dort, wo mit „wassergefährdenden Stoffen“ gearbeitet wurde. Auch erklärte der Leiter des Steag-Kraftwerkes in Bergkamen, der die Trockenlegung in Voerde begleitet, dass die Auffang-Wannen immer durch einen Gutachter zu prüfen waren. Es habe kein Ereignis gegeben, wonach es zu „Undichtigkeiten“ gekommen sei.

30 Millionen kostet der Rückbau zweier Kraftwerke

Wenn die Betriebsmittel im Zuge der Trockenlegung entsorgt und die Lager freigemacht sind, soll mit den wesentlichen Vorplanungen für den Rückbau begonnen werden. Man sei dazu mit RWE und der Stadt Voerde im Gespräch, erklärt Steag-Konzernchef Rumstadt. Die Kosten für den Rückbau des Voerder Standortes tragen Steag und RWE als Eigentümer. Zahlen nannte Steag-Finanzchef Michael Baumgärtner für die beiden Kraftwerke in Möllen und in Lünen zusammen: 30 Mio. Euro soll deren Rückbau insgesamt kosten.

In dieser Phase werde auch zu entscheiden sein, welche Teile der Anlage sich zum Recyceln eignen und welche entsorgt werden müssen, heißt es weiter. Ziel des Rückbaus, dessen Dauer Steag-Vorstand Dr. Wolfgang Cieslik mit zwei bis drei Jahren angibt, ist es, den „Endzustand“ herzustellen. Die Steag hält es für vorstellbar, dass sie die Folgeentwicklung des Industriegeländes mit begleitet, wie im Fall des Industrieparks Dorsten-Marl geschehen. Man habe dies der Stadt Voerde angeboten, erklärt Steag-Finanzchef Baumgärtner auf NRZ-Nachfrage. Gesucht werde eine Lösung für das Areal, bei der jeder sagen könne, damit zufrieden zu sein.

>>HINTERGUND

In der Hochphase der 1980er und 1990er-Jahre beschäftigte die Steag am Voerder Kraftwerkstandort rund 550 Mitarbeiter. Zu den großen regelmäßigen Revisionen hätten noch einmal bis zu 600 Kräfte externer Dienstleister auf dem Gelände gearbeitet. Auch sie hätten zur Wirtschaftskraft Voerdes beigetragen, denn sie wohnten dort und kauften während der häufig wochenlangen Revisionszeiten ihre Dinge des täglichen Bedarfs in den Geschäften in der Region rund um das Kraftwerk ein, erinnert die Steag.

I n den vergangenen Jahren hätten zuletzt rund 280 Kraftwerksmitarbeiter mit ihren Familien sowie zahlreiche Gewerbebetriebe, die zum Großteil vom Niederrhein kommen, vom Kraftwerk profitieren können, ebenso die Stadt Voerde mit ihren rund 37400 Einwohnern und die Stadt Dinslaken

Facebook-Stimmen: So könnte es weitergehen 

Das Kraftwerk in Voerde ist geschlossen. Was könnte nach der Trockenlegung mit dem Gelände geschehen? Wir haben die Leser unserer Facebookseite nach ihren Ideen gefragt. Hier einige Antworten.

„Ich würde mich freuen wenn daraus ein Steag-Museum entsteht.“ Justin Bruno

„Ich würde der Natur ‘was zurückgeben. Vielleicht ein Park oder in botanischer Garten mit Ausflugsbiergärten. Vielleicht noch ‘ne Strandbar mit Sandstrand dazu. Und einen Fahrradweg über den Rotbach als Lückenschluss.“ Klaus Dzudzek

„Also ich wäre dafür, dass daraus was für Familien entsteht. Am Besten für jedes Alter. Aber kein zweites Kernwasserwunderland.“ Britta Gangfuß

„Da der Rhein wieder sauber ist, könnte man dort einen Campingplatz für Wohnwagen einrichten.“ Kuno von Wedelstedt

Eine Industriekulisse nach dem Vorbild des Landschaftsparks Duisburg – eine Idee unserer Facebook-Leser.
Eine Industriekulisse nach dem Vorbild des Landschaftsparks Duisburg – eine Idee unserer Facebook-Leser. © Fabian Strauch

„Museum oder so wie in Duisburg der Landschaftspark. Geil wäre auch eine Aktion für KSL, also eine Ausstellung.“ Jan Wolf

„Logport IX.“ Frederik Friese

„Den dicken Tower mit Wasser füllen und als Tauchlandschaft umbauen.“ Florian Heilmann

„Ein Ort für Ausstellungen, wie das Gasometer in Oberhausen.“ Fili Göcer

„Ein Kunstprojekt in Zusammenarbeit mit internationalen Künstlern. Die Schornsteine und alles würden perfekte Flächen bieten. Das Ganze könnte als riesige Galerie mit besonderem Flair aufgezogen werden und im Anschluss könnte aus dem ganzen Gelände etwas ähnliches wie der Landschaftspark in Duisburg werden. Ein Platz für Veranstaltungen, Park mit Gastronomie, Museum Kulturstätte, etc.“ J ulian Schimanski

„Abreißen und großes Einkaufszentrum bauen.“ Dardan Dalloshi

„Ein Skigelände wie in Bottrop.“ Gülay Gariban

„Wie wäre es mit einem Technologiestandort NRW? Silicon Valley NRW. Kraftwerke eignen sich gut, um zu einem Rechenzentrum umgebaut zu werden.“ Patrick Grochowski

„Bezahlbare Wohnungen, Spielplätze, oder sogar eine schöne Parkanlage.“ Dominik Darko

„Abreißen und als Bioackerfläche für den Scholtenhof ausweisen. Dazu den Beckedahlshof in Möllen und den Uferhof in Emmelsum, die für die Steag/Kaiser Aluminium Industrieansiedlung am Niederrhein abgerissen wurden, wiederaufbauen - wie das Stadtschloss in Berlin!“ Johannes Hansen

„Für den Übergang könnte man dort sicherlich geführte „Lost-Place“-Foto-Touren anbieten. Mit einem Foto-Fachmann und einem Werkskundigen, der noch was zur Anlage erzählen kann.“ Steffen Schwarzkamp