Mülheim. Styrum in der zweiten Bundesliga? Das war Mitte der 70er mal Realität. Zwei Ehemalige erinnern sich an die goldene Zeit des 1. FC Mülheim.
Ein echtes Interview ist gar nicht notwendig. Kaum haben Herbert Stoffmehl (76) und Ernst Bachmann (77) auf der Sportanlage des 1. FC Mülheim an der Moritzstraße Platz genommen, werden sofort die besten Erinnerungen ausgetauscht über den Verein, der in der Saison 1967/68 noch gegen den Abstieg aus der Landesliga kämpfte und stadtweit noch hinter dem VfB Speldorf zurückstecken musste.
Der Aufschwung der darauffolgenden Jahre hatte vor allem mit Trainer Albert „Ala“ Becker zu tun. „Was der unheimlich konnte: Typen zusammenstellen, die zusammen kämpfen und für den Verein da sind“, sagt Stoffmehl über den ehemaligen Coach, den er in dessen zweiter Amtszeit in Styrum erlebte. „Bei ETB und in Velbert kam er ja nicht zurecht, aber hier hatte er die Leute, die er brauchte.“
Trotz Improvisation: Warum „Ala“ Becker der entscheidende Trainer war
Über die Methoden Beckers lässt sich heute trefflich streiten. „Es war alles improvisiert. Ich glaube ,Ala‘ ist nicht bei einem Training auf den Platz gegangen und hatte einen Plan“, schmunzelt Detlef Weides, der als A-Jugendlicher drauf und dran war, einen Vertrag beim 1. FC zu bekommen. Er wechselte dann aber nach Speldorf. Heute ist er seit vielen Jahren Geschäftsführer der Styrumer.
Einen Probespieler ließ Becker einmal Bälle vom Fünfmeterraum in die andere Hälfte schießen. „Der kam bis in den gegnerischen Strafraum. Da wusste er: ,Das ist ein Mittelstürmer‘. Nur weil der weit schießen konnte“, erinnert sich Herbert Stoffmehl.
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Andererseits traf der Coach auch spannende Entscheidungen. „Wir spielten unter ,Ala‘ Becker nur mit zwei Angreifern. Das gab es damals gar nicht“, sagt Ernst Bachmann, Kapitän der damaligen Mannschaft. „Wie jetzt? Gar kein Rechtsaußen“, habe sich der ein oder andere gefragt.
Dadurch bekam Rechtsverteidiger Bachmann nach vorne hin viele Freiheiten. „Für meine Begriffe war Ernst als erster in Deutschland offensiver Rechtsverteidiger und nicht Manni Kaltz in Hamburg“, sagt Stoffmehl.
„Mit dem Aufstieg in die Verbandsliga fing eigentlich alles an“
Wie wichtig Becker war, zeigt auch die Tatsache, dass mehrere andere Trainer in Styrum nicht funktionierten. So kam Karlheinz „Kalla“ Mozin einmal auf Kapitän Bachmann zu und bat um eine Abstimmung, ob er Trainer bleiben solle. „Der war sich ganz sicher“, muss sich der 77-Jährige heute das Lachen verkneifen. Das Votum ging 19:1 gegen Mozin aus.
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1971 stieg der 1. FC Mülheim in die damals drittklassige Verbandsliga auf. „Damit fing eigentlich alles an, da hatten wir auch richtig gute Zuschauerzahlen“, erinnert sich Bachmann. Durch punktuelle Verstärkungen wie Heiner Pottgießer oder Klaus-Dieter Mackowiak eilten die „Löwen“ von Sieg zu Sieg. „Dann war diese Euphorie da, plötzlich standest du oben und wolltest da auch nicht mehr weg“, erinnert sich Bachmann.
„Wenn Styrum aufsteigt, dann fresse ich einen Besen“
In der Aufstiegsrunde zur Regionalliga galten die Mülheimer als Außenseiter. „Wenn die Styrumer aufsteigen, fresse ich einen Besen“, meinte „Tito“ Elting, Trainer von Horst-Emscher. Zum Rückspiel bekam er von „Ala“ Becker einen Besenstiel hingestellt. Eltings Sprüche über die „Altherrentruppe“ der Mülheimer vergrößerte Becker und hing sie in der Kabine auf. Mit einem 3:1 über Horst-Emscher machte der 1. FC den Aufstieg perfekt.
Die Euphorie nahmen die „Löwen“ auch mit in die Regionalliga und wurden auf Anhieb Achter. Da war auch Herbert Stoffmehl erstmals dabei, der über einen Job bei Siemens nach Styrum kam. „Wir hatten eine Truppe, in der wir uns untereinander unheimlich gut verstanden haben“, berichtet er.
Wattenscheid? Leverkusen? Stoffmehl entscheidet sich für Mülheim
Vor dem eigentlichen Abschlusstraining am Samstag sei gerne vier gegen vier auf einem Kleinfeld gespielt worden. „Da musste man aber eineinhalb Stunden vorher da sein, damit man da mitspielen durfte – und es durften nur Kopfballtore gemacht werden.“
Statt zu Karl-Heinz Feldkamp nach Wattenscheid oder zu Bayer Leverkusen zu wechseln, blieb Stoffmehl in Mülheim. „Hier waren meine Kumpels und eine unheimlich tolle Gemeinschaft.“
War der 1. FC Mülheim gut genug für die erste Bundesliga?
Als beste Rückrundenmannschaft wurde der FC noch Vierter. „Wären noch zehn Spiele mehr gewesen, hättet ihr die Quali zur Bundesliga geschafft, ihr wart damals besser als zum Beispiel Wattenscheid“, findet Detlef Weides.
Weil Tennis Borussia Berlin in die Bundesliga aufstieg und Nachrücker Blau-Weiß 90 Berlin verzichtete, waren die Mülheimer plötzlich in der neu geschaffenen zweiten Liga. „Wir waren auf Sylt, als wir davon erfahren haben“, erinnert sich Stoffmehl.
Ex-Spieler Herbert Stoffmehl: „Das Mittelfeld war schon unglaublich gut“
Vom damaligen Team hat der langjährige Trainer immer noch eine hohe Meinung: „Wenn die Truppe zusammengeblieben wäre, da wäre wirklich was draus entstanden. Das Mittelfeld mit Greifendorf, Mertes oder Eilenfeldt war schon unglaublich gut.“
Doch mit dem Sprung in Liga zwei taten sich allmählich Gräben auf. „Da wusste schon die Hälfte, wo es hingeht. Wer hinter die Kulissen geguckt hat, der konnte schon merken, dass da ein Bruch drin ist“, seufzt Bachmann. „Sobald richtige Kohle im Spiel ist ...“
Was dem Verein für eine längere Zukunft im höheren Fußball fehlte
„Wenn der Verein mitgewachsen wäre, dann hätte es was werden können“, sagt Stoffmehl. „Aber unter dem Präsidenten Kurt Rosorius waren es immer die gleichen, die im Prinzip nicht die Ahnung hatten vom bezahlten Fußball, das war ja ein Dschungel, in den wir da reingekommen sind.“
Doch es kamen die falschen Leute. „Mit dem neuen Präsidenten Haunstein waren wir essen im Stadthallen-Restaurant. Da wurden erstmal zehn Flaschen Pommery-Champagner bestellt und die Karte fing bei 28 Mark an. Da wusste man schon, was los war“, schüttelt Bachmann mit dem Kopf.
„Wenn wir gewonnen haben, kam der mit einem Packen Scheine in die Kabine“
„Wenn wir gewonnen hatten“, ergänzt Stoffmehl, „kam der immer mit einem Packen Scheine in die Kabine und dann wurden die Prämien bezahlt. Da hab’ ich schon zu den Jungs gesagt: Daran werden wir uns noch erinnern, das ist wie im Paradies hier.“
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Das Paradies hielt aber nur im ersten Jahr. 1976 stiegen die „Löwen“ ab, „Das letzte Jahr war ganz schlimm“, sagt Stoffmehl – er beendete danach seine Karriere. Dem Verein drohte bei 1,6 Millionen Mark Schulden das Aus. Er stieg direkt in die Landesliga ab. Unter – wieder einmal – Trainer „Ala“ Becker kehrte er noch einmal in die mittlerweile viertklassige Verbandsliga zurück, stürzte aber immer weiter ab, 2001 erstmals in die Kreisliga A. Aktuell muss er trotz Aufstieg darum kämpfen, ein schlagkräftiges Team für die Bezirksliga zu stellen.
Highlight: Pokalspiel gegen Eintracht Frankfurt mit zwei Weltmeistern
Was bleibt also? Etwa die Erinnerung an das DFB-Pokalspiel gegen Titelverteidiger Eintracht Frankfurt mit den Weltmeistern Grabowski und Hölzenbein. „Das haben wir erst in den letzten zehn Minuten verloren“, so Stoffmehl. „Da hätten wir auch in Führung gehen können, weil Wilfried Schlimm zweimal frei vor dem Tor stand.“
Ungern erinnern sich die Mülheimer an das Regionalliga-Spiel bei Rot-Weiss Essen. „Wir führten 1:0“, sagt Bachmann sofort, „und das 2:0 hätten wir auch machen müssen.“ Am Ende stand es 10:1 für RWE. Dieter Bast traf viermal. „Die konnten das am Ende gar nicht mehr anzeigen“, kann Bachmann heute drüber lachen.
Es war eine kurze Mülheimer Zeit im bezahlten Fußball. Viele Erinnerungen bleiben aber für immer.