Kamp-Lintfort. Laura Graef (29) und BVB-Leihgabe Norah Kothen (18) sind ein starkes Gespann. Sie sprechen über Ziele, Emotionen und Überraschungseier
Borussia Dortmund und TuS Lintfort, das klingt für Sportinteressierte, die nicht Kenner der Frauenhandballszene in Deutschland sind, wie Champions League und Kreisliga. Doch das scheinbar ungleiche Vereinspaar hat in den vergangenen Jahren auf Handball-Bundesliga-Ebene eine durchaus bemerkenswerte Zusammenarbeit entwickelt. Und so kommt es nicht von ungefähr, dass die erst 18-jährige Torhüterin Norah Kothen ihr Zweitspielrecht beim Zweitligisten vom Niederrhein als eine große Chance sieht und wahrlich nicht als sportlichen Rückschritt. Auch wenn Kothen beim 2021er-Bundesliga-Meister BVB noch bis 30. Juni unter Vertrag steht.
TuS Lintfort ist eine niederrheinische Handball-Oase
Dass die Jugend-Nationalspielerin individuelle Klasse besitzt, davon sind nicht nur TuS-Trainerin Bettina Grenz-Klein und Stammtorfrau Laura Graef überzeugt. Die niederrheinische Handball-Oase an der Eyller Straße gilt auch als Talentschmiede für Torhüterinnen. Yara ten Holte etwa, die in der Saison 2020/21 in Lintfort überzeugte, ist vom BVB im vergangenen Sommer zu Odense Handbold nach Dänemark gewechselt und mittlerweile niederländische Nationaltorhüterin. „Yara ist für mich ein Orientierungspunkt“, sagt Norah Kothen im Gespräch mit der Redaktion.
Die Abiturientin aus Grefrath lebt mit tatkräftiger Hilfe ihrer Eltern derzeit Handball. Morgens und abends wird trainiert, meist in Dortmund, wo Kothen einen Wohnsitz hat. Dazu gibt es auch zwei Übungseinheiten in Lintfort. Zudem spielt die Torhüterin für die gelb-schwarze Juniorinnen-Bundesliga-Mannschaft. Schon in der vergangenen Saison hatte die 18-Jährige ein Trainingsrecht beim TuS Lintfort. Nach dem Wechsel von Alexandra Humpert in die Bundesliga zum VfL Oldenburg ergriff Norah Kothen die Chance, beim TuS den freien Platz neben Stammtorfrau Laura Graef (29) einzunehmen.
So geht es weiter beim TuS Lintfort
Viel Zeit zum Ausruhen bleibt für die Handballerinnen des TuS Lintfort nicht. Schon am Samstag, 7. Januar, steht die Auswärtsfahrt in die Bundeshauptstadt zu den Füchsen Berlin an. Das nächste Heimspiel für das Team um Trainerin Bettina Grenz-Klein ist danach aber erst für den 20. Januar um 17.30 Uhr angesetzt. Dann rückt der Tabellenvorletzte TSV Nord Harrislee aus Flensburg an.
2. Bundesliga soll für Norah Kothen nicht das Ende der Fahnenstange sein
Offenbar ein guter Entschluss. „Ich bin derzeit völlig zufrieden. Die Mannschaft hat Teamspirit und Herzlichkeit, ich bekomme Spielanteile und habe in Laura eine wirklich gute Partnerin im Training und im Spiel. Wir geben uns Ratschläge und verstehen uns menschlich gut. Das ist wichtig und sicher nicht selbstverständlich“, sagt Norah Kothen über die elf Jahre ältere Laura Graef. Die gibt das Kompliment sportlich zurück: „Für Norah ist die Zweite Liga nicht das Ende der Fahnenstange. Sie will mehr, das merkt man in jedem Training.“
Der Reiz an ihrer Spielposition liegt für beide TuS-Torhüterinnen am großen Einfluss des Keepers aufs Geschehen. „Positiv wie negativ“, gibt Norah Kothen zu. Den Gegner mit Paraden zur Verzweiflung bringen, erste Angreiferin im Spiel, dazu eine emotionale Stütze und der Ruhepol zugleich sein, diese essenziellen Dinge würden eine gute Torfrau ausmachen. „Die Torhüterin ist aufgrund ihrer Position schon so etwas wie eine Einzelsportlerin – aber im Dienst der Mannschaft“, betonen Graef und Kothen unisono.
Norah Kothen hat auch Talent als Tennisspielerin
In jungen Jahren hatte die Grefratherin auch andere Sportarten probiert. Schwimmen etwa. Oder Fußball. Auch Tennis, wo ihr Talent für weitere Ambitionen vorhanden schien. „Am Ende hat dann doch Handball gewonnen“, betont Kothen. Die gibt auch zu, eine Menge Emotionen in die Spiele zu legen. „Solch eine Niederlage in letzter Sekunde wie gegen Leipzig kurz vor Weihnachten kratzt schon am Ego“, hebt die Torhüterin hervor, „ich saß hinterher noch im Dunkeln im Auto und wusste nichts mit mir anzufangen.“
Der Ehrgeiz eint Norah Kothen und Laura Graef. Auch wenn für Letztere die Bundesliga kein Thema (mehr) ist. „Ich bin ja nicht mehr die Jüngste und war ohnehin auch eine Spätstarterin“, betont Graef, die in Vollzeit bei der Techniker Krankenkasse in Duisburg beschäftigt ist, in Xanten wohnt und dort in jungen Jahren für den TuS gespielt hat. Mit 18 Jahren ging es für sie zum TV Issum, gepaart mit einem Zweitspielrecht nebst Training unter Bettina Grenz-Klein für den TuS Lintfort. Nach zwei Spielzeiten beim TV Walsum/Aldenrade wechselte Graef zurück zum TuS. Eine glückliche Entscheidung.
Laura Graef ist eine der erfahrensten Spielerinnen beim TuS Lintfort
„Die Mannschaft war 2018 grad in die Zweite Liga aufgestiegen. Und mir hat es in den Fingern gekribbelt, es auf dieser Leistungsebene zu versuchen und es über gutes Training zu packen“, schildert Laura Graef. Die fühlt sich an der Eyller Straße bestens aufgehoben und gilt neben Rückraumspielerin Prudence Kinlend als erfahrenste Leistungsträgerin des Teams. „Wir sind ein Dorfverein, der das Glück hat, ziemlich gut zu spielen und auch gut unterstützt zu werden“, umschreibt die Torhüterin.
Die hat übrigens als Jugendliche sieben Jahre im Pferdesattel eine gute Figur abgeben, bevor der Teamsport Handball die emotionale Überhand gewann. Vielleicht stammt auch aus dieser Zeit ein ausgeprägter Hang zu kleinen persönlichen Ritualen, um den bestmöglichen Einfluss aufs Geschehen zu nehmen.
Der TuS Lintfort und das Ritual um das schokoladige Überraschungs-Ei
Und Laura Graef nimmt dabei gern auch ihre Mannschaft mit. In der vergangenen Saison etwa gab es auf Graefs Initiative hin stets vor dem Spiel für jede Protagonistin ein schokoladiges Überraschungs-Ei. „Das hat ein wenig abgelenkt und in der Kabine für gute Laune gesorgt, ging aber auch ins Geld“, erinnert sich die Torhüterin. Die gönnt sich jetzt vor Spielen mit ihrer Torwartkollegin allein die kleine Portion Milchschokolade. Bei 16:10 Punkten und Platz fünf in der Zweitliga-Tabelle hat sich das Ritual bislang ganz gut ausgezahlt. Trotz der Leipzig-Pleite kurz vor Weihnachten.
Wo geht es im neuen Jahr hin? „Am liebsten schnell noch ein paar weitere Siege einfahren und der Abstiegszone nicht näher kommen“, sagt Laura Graef mit Blick auf die sportliche Situation in Lintfort. Für Nora Kothen steht mehr auf dem Spiel. Ihr Vertrag in Dortmund endet am 30. Juni. Dazu denkt die 18-Jährige über den Start eines Fernstudiums in Hagen oder Dortmund nach. „Mit weiteren Einsätzen in Lintfort will ich mich sicherer für die Bundesliga machen“, betont Nora Kothen. Wo immer der erste Einsatz in der höchsten Handballspielklasse für die Grefratherin dann auch sein wird.