Duisburg. Vor 30 Jahren stand der OSC Rheinhausen im Final Four des DHB-Handballpokals. Torwart Bülent Aksen erinnert sich auch an den charismatischen Trainer Petre Ivanescu.
Einmal diesen silbern glänzenden DHB-Pokal küssen. Nur einmal, wenn man ihn sportlich schon direkt vor der Nase weggeschnappt bekommt. Für diesen Herzenswunsch leistete sich Bülent Aksen eine tollkühne Aktion. Vor genau 30 Jahren kletterte der damalige Handballtorwart des OSC Rheinhausen vor der Alsterdorfer Sporthalle in Hamburg unerkannt in den Mannschaftsbus der siegreichen SG Wallau-Massenheim. Das Schmuckstück stand gleich auf dem ersten Sitz hinter dem Fahrer. Aksen griff beherzt zu, kletterte aus dem Bus des frisch gebackenen Handball-Pokalsiegers und drückte die Lippen aufs Blech. Rückraumwerfer Olaf Hansen humpelte, weil knieverletzt, auf Krücken herbei und tat es Aksen gleich. Bevor die Wallauer etwas spitz bekamen, stand der Pokal auch schon wieder auf dem Polstersitz. Eine Randnotiz. Natürlich. Aber auch eine, an die sich Bülent Aksen sehr gern erinnert. „Das Pokalfinale mit dem OSC gehört zu den Höhepunkten meiner Karriere“, sagt Aksen mit Blick auf den 11. und 12. Mai 1994, also vor fast genau 30 Jahren.
Ex-Manager Wolfgang Trepper: Wir sind damals beschissen worden
Die Niederlage im Halbfinale am 11. Mai 1994, ein 17:19 in der Verlängerung gegen den damaligen Tabellenvierten SG Flensburg-Handewitt, schmerzt bis heute. „Die Schiedsrichter haben uns damals beschissen“, erklärte Ex-OSC-Manager Wolfgang Trepper, heute Kabarettist am Hamburger Schmidt-Theater, unlängst im Interview mit dieser Redaktion. Ein strittiger Siebenmeter hatte Flensburg gegen den krassen Außenseiter aus Duisburg, der gerade aus der Bundesliga abgestiegen war, erst in die Verlängerung gebracht.
Das war der Weg des OSC im Handballpokal 1994
1. Runde, 29. September 1993: OSC - SV Versmold (2. Bundesliga) 21:14 (10:8).
2. Runde, 10. Oktober 1993: OSC - Bayer 04 Leverkusen (2. Bundesliga) 23:17 (12:9).
3. Runde, 29. Dezember 1993: MTV Celle (Regionalliga) - OSC 16:23 (8:11).
Achtelfinale, 12. Januar 1994: OSC - TV Niederwürzbach (Bundesliga) 23:21 (9:6).
Viertelfinale, 23. Februar 1994 in Aschaffenburg: TV Großwallstadt (Bundesliga) - OSC 14:19 (10:8).
Final Four, Halbfinale, 11. Mai 1994 in Hamburg: SG Flensburg -Handewitt (Bundesliga) - OSC 19:17 (14:14, 11:7) nach Verlängerung.
Bülent Aksen sieht das Thema mit dem Abstand von drei Jahrzehnten anders. „Uns fehlte damals als Underdog der Bonus. Gremmel/Gremmel als starke, von allen anerkannte Referees hatten keinen Videobeweis zur Hand und deshalb auch nicht die visuelle Sicherheit. Der Siebenmeterpfiff kurz vor Spielende kam vermutlich auch aus dem Unterbewusstsein, dass es in dieser Szene zugunsten des Favoriten einfach so sein müsse“, betont Aksen.
Trainer Petre Ivanescu entzieht den Schiedsrichtern auf dem Spielfeld das „Du“
Dass Cheftrainer Petre Ivanescu den Unparteiischen noch auf dem Spielfeld das „Du“ entzog, gehört zur Alsterdorfer Pokal-Legende vom 11. Mai 1994 dazu. „Ivanescu war damals eine absolute Handball-Lichtgestalt und wirkte in seiner charismatischen Art nachhaltig“, erinnert sich Bülent Aksen: „Er war ein unglaublicher Pusher und hat uns in seiner bisweilen brachialen Sprache erklärt, was nichts bringt. Immer klar auf den Punkt. Von ihm habe ich Professionalität gelernt“, sagt der Keeper.
Dabei hat Ivanescu immer zwischen der Sache und dem Menschen unterschieden. In der Halle ging es um Handball, um Erfolg und um den Weg zum Erfolg. Da war der gebürtige Rumäne aus Bukarest knallhart. Aber nicht nachtragend. Vor der Halle kam dann nicht selten die Frage und auch die schnelle Antwort an jenen Spieler, dem er vor wenigen Minuten noch die Meinung gesagt hatte: „Bist Du jetzt sauer? Nein? Ich sehe aber, dass Du sauer bist. Hey, wir sind aus der Halle raus, das Training ist vorbei. Also gibt es keinen Grund mehr, sauer zu sein.“
Welthandballer Daniel Stephan: Wir hatten viel zu lachen und viel zu laufen
Welthandballer Daniel Stephan, den Ivanescu in seiner OSC-Zeit sehr schätzte, erinnerte sich kürzlich gegenüber dem Magazin „Handball inside“ ähnlich an seinen Ex-Trainer: „Er war ein harter Hund, wir hatten gewaltigen Respekt vor ihm. Ich bin mit seinem trocken, schwarzen Humor meist gut klargekommen. Wir hatten damals viel zu lachen, aber auch viel zu laufen.“ Auch Ex-OSC-Manager Wolfgang Trepper kam mit Petre Ivanescu gut aus. „Man musste ihn schon zu nehmen wissen. Und es wurde nie langweilig. Nach Siegen hat er oft härter trainieren lassen und rumgemault, nach Niederlagen aber auch oft laufen gelassen ohne Schelte. Das war antizyklisch, verfehlte aber nie seine Wirkung. Nach Siegen dran bleiben, nach Niederlagen inne halten und überlegen, wie es besser geht“, erinnert sich Trepper. Bis zum Schluss meldete sich Ivanescu einmal im Jahr zum Geburtstagsgruß rhetorisch per Telefon: „Spreche ich da mit dem schlechtesten Manager der Handball-Bundesliga?“ Obwohl Kabarettist Trepper da längst auf der Bühne mit seinen Programmen etabliert war.
Bülent Aksen wiederum konnte sein Showtalent auch an Petre Ivanescu ausprobieren. Der Sozialarbeiter, zertifizierte Mentaltrainer und Firmenberater imitierte die überlegten, aber mit Schimpfworten und Wutausbrüchen durchsetzten Statements seines Ex-Trainers wie kein Zweiter. Und dies schon 1994 im Alter von 28 Jahren. Für Aksen selber, der beim OSC-Rivalen VfL Rheinhausen und durch Trainer Volker Bovenschen einst seine erstaunlichen Torwartreflexe im Kindesalter entwickelte, war dies ein kleiner Baustein auch im beruflichen Leben.
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Bülent Aksen: Über Österreich und den MSV zurück nach Duisburg
Nach seiner vom einstigen Geschäftsführer Hans Witschel maßgeblich gelenkten OSC-Zeit wechselte der in Rheinhausen gebürtige Türke 1996 nach Bregenz. Dort wurde er in der obersten Liga Österreichs Torwart des Jahres und baute neben Trainer-Manager Roland Frühstück seine Zukunft auf. „Damals war ich Jugendkoordinator und habe gemerkt, dass mir eine solch vielfältige Arbeit liegt“, so Aksen. Wenig später rief Rainer Frütel an. Der damalige Vorstand des MSV Duisburg, der Aksen aus der gemeinsamen OSC-Handballvergangenheit kannte, suchte für die Zebras einen Fanbeauftragten, Marketingleiter und Teammanager in einer Person. „Das war vielleicht der wichtigste Anruf meines Lebens damals. Ich habe meine aufgebaute Selbstständigkeit von Österreich ins heimatliche Duisburg übertragen“, betont Bülent Aksen.
Die Verbundenheit zur Stadt ging über den OSC-Handball hinaus. „Beim Pokalfinale 1994 haben wir auch für die Stadt gespielt. Wir wollten zeigen, dass wir was können, dass wir ein starkes Stück Duisburg sind trotz großer Not bei Krupp in der Stahlkrise. Gegen Flensburg hatten wir zwar knapp verloren, aber auch viel Anerkennung gewonnen“, hebt Bülent Aksen hervor. Die Moral von der Pokalgeschichte teilt der Torhüter, der auch für den EV Duisburg in der Deutschen Eishockey-Liga und für den DFB als Fanbeauftrager der Fußball-Nationalmannschaft jahrelang im Einsatz war und mit Ex-Zebra Peter Közle sowie Dagmar Albert Horn das Duisburg-Lied verbreitet hat, im Übrigen mit seinem ehemaligen Trainer Petre Ivanescu: „Gewinnen ist schön. Man lernt aber in erster Linie aus der Niederlage - das gilt selbst für einen Messi oder eine Basketball-Lichtgestalt wie Michael Jordan.“
OSC Rheinhausen: Olaf Köppe hat es an den Bodensee verschlagen
Und was machen die ehemaligen OSC-Pokalhelden heute? Der in Homberg wohnende Olaf Hansen, den alle wegen seiner friesischen Heimat Schortens nahe Jever nur „Schorti“ nannten, ist als Selbstständiger in der Musikplattenbranche tätig. Kreisläufer Andreas Kottwitz arbeitet für Hark Kamine in Duisburg. Rückraumass Olaf Köppe ist als Facility Manager bei der Stadt Lindau am Bodensee beschäftigt. Michael Beck, Spitzname „Air Beck“ wegen seiner Körpergröße, wohnt wieder im heimatlichen Hessenland. „Ob er sich dort seinen Wunsch nach einer eigenen Ranch verwirklicht hat, weiß ich nicht genau“, sagt Bülent Aksen. Abwehrspezialist Andreas Tam ist für den ADAC in Erlangen unterwegs.
Achim Schürmann: Vertriebsleiter eines großen Sportartikelherstellers
Linksaußen Jörg Siegert, wegen seines Laufstils „Schnecke“ genannt, hat es in den staatlichen Dienst geschafft. Ex-Nationalspieler Achim Schürmann, der in Homberg zu Hause ist, ist Vertriebsleiter des Sportartikelsherstellers Hummel in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Rechtsaußen Ulrich Dick arbeitet für eine Münchener Firma in der Baubranche. Der heute 64-jährige Weltmeister und Olympiasieger von Seoul 1988, Aleksander Rymanov, der 1989 rund um die Zeitenwende von ZSKA Moskau zum OSC gewechselt war, wohnt immer noch in Rheinhausen und ist mittlerweile im Ruhestand. Der enorm trickreiche Kreisläufer hatte nach seiner OSC-Zeit als Trainer ab 1998 noch für TuSEM Essen, GWD Minden, die TSG Friesenheim, HSG Gensungen/Felsburg und die Limburg Lions in den Niederlanden gearbeitet. Von 2012 bis 2015 war er Co-Trainer der russischen Nationalmannschaft.
Ex-Trainer Hans-Joachim Goßow: Chef des Stadtsportbundes in Duisburg
Spielmacher Daniel Stephan ist nach seinem Wechsel vom OSC zum TBV Lemgo nach dem Pokalfinale von 1994 in Ostwestfalen geblieben. Der heute 50-Jährige blieb nach der aktiven Karriere als Sportdirektor beim TBV und später bei der HSG Düsseldorf dem Handball treu und ist als Welthandballer von 1998 ein gefragter Experte. Zum Kader des OSC-Teams von 1993/94 zählten auch noch Torhüter Arne Eppers, Spitzname Red Hot Chilli Eppers in Anlehnung an die bekannte Alternativ-Rockband aus Los Angeles, sowie die Münchener Christian Kofler und Andreas Greulich. Die letzteren Beiden hatten das Team allerdings schon im November 1993 wieder verlassen.
Bundesliga-Aufstiegstrainer Hans-Joachim Goßow musste im Januar 1994 nach einer sportlichen Krise den Hut nehmen, coachte später noch Bayer Dormagen. Der Handballexperte ist Vorsitzender des Stadtsportbundes in Duisburg und auch Vorstand der Internationalen World Games Vereinigung, bei der bekanntlich die nicht-olympischen Sportarten zur Geltung kommen.
Petre Ivanescu: Nicht ich, sondern der Leistungssport ist brutal und hart
Goßows 94-er OSC-Nachfolger Petre Ivanescu verstarb am 1. April 2022 im Alter von 85 Jahren nach schwerer Krankheit. „Nicht ich, sondern der Leistungssport ist brutal und hart“, hatte der dreimalige Meistertrainer und vierfache Pokalsieger des VfL Gummersbach und von TuSEM Essen einmal gesagt. Das anderthalbjährige Wirken des gebürtigen Rumänen an der Krefelder Straße in Rheinhausen wird immer mit dem Final Four in Hamburg verknüpft bleiben. Und mit dem zweiten und bis heute letzten Bundesliga-Aufstieg des OSC ein Jahr später.