Gelsenkirchen. Seit 1. Januar 2024 führt Matthias Tillmann Schalke 04. Zuerst war er der Sanierer, jetzt entgleitet ihm der Klub. Ein Kommentar.

Es ist rund fünf Monate her, da analysierte Schalkes Vorstandsvorsitzender Matthias Tillmann mit voller Überzeugung: „Wir sind davon überzeugt, dass wir einen Kader zusammenstellen können, der die Qualität hat, im oberen Drittel mitzuspielen – das muss der Anspruch von Schalke 04 sein und so ist auch das Budget aufgestellt.“ Nun, kurz vor dem ersten Advent 2024 Ende November, ist klar: Das Budget liegt zwar im oberen Zweitliga-Drittel, Finanzchefin Christina Rühl-Hamers betont das immer wieder, um nicht den Eindruck zu erwecken, sie wäre Schalkes Sparkommissarin. Aber sportlich? Nach dem demütigenden 0:3 gegen den 1. FC Kaiserslautern verabschiedeten sich Interims-Sportchef Youri Mulder („Abstiegskampf pur“) und Kapitän Kenan Karaman („Es geht um den Klassenerhalt, das muss in alle Köpfe rein“) vom im Sommer formulierten Ziel. Fans und Mitglieder müssen sich auf den zweiten Existenzkampf in Folge einstellen.

Matthias Tillmann - Schalke-Sanierer in den ersten Monaten

Für Tillmann ist das der nächste Niederschlag in schwierigen Zeiten. Nach Amtsantritt am 1. Januar konnte er in den ersten Monaten als Sanierer auftreten, der die schwierige sportliche Lage nur geerbt hatte. Er verschlankte das Organigramm, installierte Eurofighter Marc Wilmots als Sportdirektor, sprach via Kurzvideos, verteilt über Social Media, zu Fans und Mitgliedern. Die Botschaft, die davon ausgehen sollte: Tillmann, ein Schalker, einer, der anpackt. Zu Beginn kam das an.

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Schalkes Vorstandschef Matthias Tillmann während der Mitgliederversammlung. © Ralf Ibing /firo Sportphoto | Ralf Ibing

Doch seit Monaten häufen sich für Tillmann die negativen Nachrichten. Es begann im Moment des vollbrachten Klassenerhalts im Mai. Der Vorstand um Tillmann sowie der Aufsichtsrat um Tillmann-Kumpel Axel Hefer beschlossen die Trennung von vielen Spielern und Mitarbeitern. Empathie stellten sie aber nicht immer unter Beweis: Noch nicht alle Verhandlungen vor dem Arbeitsgericht sind abgeschlossen, die Details, die über den Umgang miteinander veröffentlicht wurden, erschrecken. Tillmann gilt seitdem bei vielen als herzlos, gestand eigene Fehler ein. Mitglieder bemängeln zudem, auf welche Art und Weise sich Tillmann von den Klublegenden Gerald Asamoah und Mike Büskens trennte.

Die Suche nach einem Hauptsponsor wurde für Tillmann zur nächsten Gratwanderung. Konnten Fans und Mitglieder noch verstehen, dass die Agentur Sportfive große Teile der Vermarktung des Klubs übernommen hat, so protestierten sie gegen den in Teilen fragwürdigen Hauptsponsor Sun Minimeal, ein immer noch sehr umstrittener Deal.

Die Verpflichtung des Kaderplaners Ben Manga sollte für Tillmann der Befreiungsschlag sein. Er gestattete Manga große Freiräume bei der Zusammenstellung des Aufgebots im Sommer. Manga durfte seinen engsten Vertrauten Raffael Tonello zum Knappenschmiede-Chef machen, etliche Scouts einstellen. Manga überstand die schwierige Saison-Startphase, gehen mussten Trainer Karel Geraerts und Wilmots. Doch Ende November ist klar: Tillmann, offiziell im Vorstand für Sport zuständig, hätte Manga etwas häufiger widersprechen müssen. Tillmann selbst gab kürzlich zu, die Kaderplanung sei etwas zu mutig gewesen. Eigentlich war Schalkes Plan, mit einer jungen Mannschaft 2024/2025 im oberen Drittel zu landen, um dann 2025/2026 mit einem eingespielten Team aufzusteigen. Ein Ziel, von dem sich Schalke fast schon wieder verabschieden muss. Der nächste Umbruch im Sommer 2025 scheint unausweichlich. Viele der Manga-Zugänge (Thorben Hoffmann, Adrian Gantenbein, Felipe Sanchez, Martin Wasinski, Mauro Zalazar, Peter Remmert, Emil Höjlund) spielen keine Rolle, weil sie zu schlecht oder zu oft verletzt sind.

Schalke-Trainer Kees van Wonderen: nur ein Sieg aus sieben Pflichtspielen

Um den schwachen Start zu reparieren, durfte Tillmann gemeinsam mit Manga nach Geraerts‘ Rauswurf die finalen Gespräche der Trainersuche führen. Er ließ sich von Kees van Wonderen überzeugen. Doch nach nur sieben Pflichtspielen gibt es erhebliche Zweifel am 55-Jährigen. Mit seiner ruhigen, langweiligen Art ohne große Emotionen konnte er ab dem ersten Tag keinen Schalker mitreißen oder begeistern. Die Mannschaft spielt teilweise schlechter als unter Geraerts, gewann von sieben Pflichtspielen nur eins (zwei Unentschieden, vier Niederlagen). Es gab zwischenzeitlich zwar kleine Schritte nach vorn, die Lautern-Klatsche war ein gewaltiger zurück. Viele Fans hat Schalke verloren, beim 0:3 gegen den FCK gingen viele schon eine Viertelstunde vor Schluss nach Hause. So sieht Resignation aus.

Für seine zahlreichen Fehler wurde Tillmann während der Mitgliederversammlung hart attackiert, nicht nur einmal viel zu scharf und unangebracht. Er sei der „teuerste Auszubildende der Bundesrepublik Deutschland“, musste er sich dort anhören. Als sein großes Projekt durfte er die Fördergenossenschaft präsentieren, die bis zu 50 Millionen Euro bringen soll. Auch am Erfolg der Genossenschaft hängt die Bewertung von Tillmanns Amtszeit. Das Problem nur: Aufsichtsrats-Vize Sven Kirstein gab an, schon seit eineinhalb Jahren an der Idee zu arbeiten. Da war Tillmann aber noch gar nicht da. Im Interview mit dieser Zeitung hatte Marketing-Experte Raphael Brinkert schon im Mai 2021 für eine Genossenschaft geworben: „Ich sehe die ureigenen Werte des Vereinslebens am besten im e.V. oder in einer e.G. präsentiert. Unser Scheich sind 160.000 Mitglieder und Millionen Fans.“

Schalke ist sportlich in den elf Tillmann-Monaten keinen Zentimeter vorwärts gekommen. Das gilt auch für die Darstellung nach innen und außen. Die Stimmung in der Geschäftsstelle ist nach wie vor schlecht. Visibler als sein Vorgänger Bernd Schröder wollte er sein - seine öffentlichen Auftritte werden aber immer seltener. Mit einer offiziellen Mitteilung zum Umgang mit Ex-Torwart Ralf Fährmann wurde Schalkes Vorstand, und damit Tillmann, zum Gespött der Fußball-Landschaft. Und auch Kapitän Kenan Karaman beschwerte sich, bezeichnete den Zeitpunkt am Vorabend des Kaiserslautern-Spiels als „nicht clever“.

Warum Schalke einen Sportvorstand benötigt

Tillmann benötigt dringend notwendige Entlastung - auf höchster Klubebene. Und zwar Schalke unbedingt einen starken, erfahrenen Sportvorstand, der den Verein glaubwürdig nach außen vertreten kann, der bestens vernetzt ist, der frischen Wind in den Klub bringt, der Manga - zweifelsohne ein begabter Scout und Kaderplaner - auch mal von einem Transfer-Irrweg abbringen könnte und selbst gute Kontakte hat.

Einfach nur einen Sportdirektor als Sidekick von Manga auf derselben Hierarchieebene einzustellen würde bedeuten, dass alles so bleibt wie es ist. Und eins haben die Ereignisse der vergangenen Tage bewiesen: Weiter so - das darf nicht die Schalker Taktik sein.

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