Lenzerheide. Während die deutschen Frauen am Staffel-Tag der Biathlon-WM in Lenzerheide enttäuschen, weinen die Männer Freudentränen.
„Lenzi“ hatte alle Hände voll zu tun. Schon Stunden vor dem Startschuss in den vorletzten Biathlon-Wettkampftag strömte eine bunte Menschenschlange in die „Roland Arena“. Vorbei an dem proppenvollen Fan-Chalet, dem offiziellen WM-Shop mit bereits reduzierten Souvenirs und den Laserschießanlagen für den Selbstversuch. Die junge Frau, die als WM-Maskottchen unter dem Auerhahn-Kostüm steckte, kam mächtig ins Schwitzen. Fast pausenlos klatschten die Zuschauerinnen und Zuschauer mit „Lenzi“ ab; auch viele Deutsche machten ein Erinnerungsfoto.
Rekord: Lenzerheide freut sich über 17.000 Zuschauer
Zum großen Staffel-Tag waren so viele wie noch nie während der bisherigen Titelkämpfe nach Lenzerheide gepilgert. Die rührigen Schweizer Organisatoren freuten sich über die Rekordkulisse von 17.000 Besuchern. Und diese sahen ein dramatisches 4 x 7,5-km-Staffelrennen der Männer. Nicht an der Spitze, wo Norwegens Mannschaft mit dem überragenden Johannes Thingnes Bö in 1:18.18,1 Stunden (vier Nachladepatronen) einen souveränen Start-Ziel-Sieg vor Frankreich (41,9 Sekunden zurück/sieben Nachlader) feierte.
Justus Strelow fehlt überraschend in der Aufstellung
Spannung herrschte vor allem beim Kampf um Bronze. Die deutsche Staffel, die überraschend ohne den zweifachen WM-Bronzemedaillen-Gewinner Justus Strelow angetreten war, mischte munter mit. Startläufer Philipp Nawrath überzeugte in der Loipe und vermied im Stehendanschlag die Strafrunde. Danilo Riethmüller wehrte sich in einem Pulk von zeitweise sechs Athleten nach Kräften. Und Johannes Kühn blieb bei beiden Schießeinlagen fehlerfrei. So kam es auf Schlussläufer Philipp Horn an, der liegend drei Extrapatronen benötigte und danach stehend über sich hinauswuchs.
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Philipp Horn mit einer Stehendserie aus dem Lehrbuch
Im Duell mit dem schwedischen Olympiasieger Sebastian Samuelsson räumte der Oberhofer die fünf Scheiben in 20,6 Sekunden ab, während sein Gegner einmal nachladen musste. Auf der letzten Schleife verteidigte er seinen Vorsprung und hatte im Ziel zunächst kaum noch Kraft zum Jubeln. Er stürzte völlig erschöpft in den Schnee und wurden von seinen heranstürmenden Teamkollegen geherzt. Später gestand Horn: „Das war die härteste Runde, die ich je hatte. Ich dachte, es gehen gleich die Lichter aus.“ Sie taten es nicht. Am Ende rettete der 30-Jährige 18,1 Sekunden Vorsprung vor Schweden und weinte bei der Siegerehrung dicke Tränen der Freude. „Das letzte Mal war es, glaube ich, bei meiner Hochzeit, dass ich vor Glück geweint habe“, verriet er.
Sportdirektor Felix Bitterling verspürt Genugtuung
Auch Kühn, für den es wie für Debütant Riethmüller die erste WM-Medaille überhaupt war, ließ seinen Emotionen freien Lauf. Und Sportdirektor Felix Bitterling meinte erleichtert: „Platz drei war das Optimum. Ich freue mich wahnsinnig für die Jungs, dass sie es geschafft haben.“ Ein Extralob zollte er dem überglücklichen Horn: „Was er da beim Stehendschießen abgeliefert hat, war richtig, richtig gut. Bei dem Druck, bei einer WM, beim größten Rennen, das er diese Saison hat. Wahnsinn! Chapeau!“ Es sei umso mehr Genugtuung gewesen, nachdem die Frauen zuvor das Treppchen verpasst hatten.
Machtdemonstration von Frankreichs Frauen-Staffel
Im 4 x 6-km-Staffelrennen der Damen gab es die nächste Machtdemonstration von Frankreich. Mit einem nie gefährdeten Erfolg gewann die neue Top-Nation im Biathlon in 1:07.26,5 Stunden (vier Nachladepatronen) ihre sechste Goldmedaille. Schlussläuferin Julia Simon drehte sich nach der letzten Schießprüfung um und streckte beide Arme triumphierend in die Höhe, ehe sie sich vor dem applaudierendem Publikum verbeugte. Von der Konkurrenz war zu diesem Zeitpunkt weit und breit noch nichts zu sehen.

Deutsche Staffel erstmals seit 2019 ohne Medaille
Frühzeitig ging es nur noch um Plätze hinter den überragenden Französinnen. Am Ende sicherten sich die mitfavorisierten Teams aus Norwegen (1:04,2 Minuten zurück) und Schweden (1:44,5) trotz jeweils einer Strafrunde und acht Extraschüssen Silber und Bronze. Noch hinter Österreich belegte das deutsche Quartett mit einem Rückstand von 1:58,4 Minuten einen enttäuschenden fünften Platz. Nach zwei Weltcup-Siegen in diesem Winter war die Frauen-Staffel mit großen Hoffnungen ins Rennen gegangen. Am Ende stand sie erstmals seit der WM 2019 in Östersund beim Saison-Höhepunkt mit leeren Händen da.
Startläuferin Sophia Schneider muss in die Strafrunde
Tief enttäuscht stand Sophia Schneider im Zielbereich und musste getröstet werden. Beim Stehendschießen reichten der deutschen Startläuferin drei Zusatzpatronen nicht aus, um die fünf Scheiben abzuräumen. Sie musste in die Strafrunde abbiegen und übergab mit einem Rückstand von 1:35,1 Minuten auf Frankreich als 16. an Selina Grotian. Die 20-Jährige und auch Julia Tannheimer holten auf; und unverhofft ging für Franziska Preuß noch einmal die Tür zu Bronze auf. Doch zwei Nachlader beim finalen Stehendanschlag waren zu viel. „Das ärgert mich“, sagte die vierfache Medaillengewinnerin von Lenzerheide. „Doch es war hier und da ein Fehler zu viel in der ganzen Mannschaft.“ Gegenseitige Vorwürfe gab es nicht. „Wir gewinnen und leiden zusammen“, betonte Tannheimer.

Massenstarts als krönender WM-Abschluss am Sonntag
Am Sonntag geht die WM mit den beiden Massenstart-Rennen zu Ende. Bei den Frauen (13.45 Uhr) ruhen die Hoffnungen über die 12,5 Kilometer einmal mehr auf Preuß. Auch Grotian, Tannheimer und Schneider gehören zum Feld der besten 30 Biathletinnen. Im Männer-Feld (16.05 Uhr/jeweils ARD und Eurosport live) sind mit Nawrath und Horn nur zwei Deutsche über 15 Kilometer am Start.