Lenzerheide. In Lenzerheide erlebt der TV-Kommentator seine letzte Biathlon-WM. Welche Biathletin ihn besonders beeindruckte, verrät er exklusiv.
Wilfried Hark (64) gilt als lebendes Biathlon-Lexikon. Seit 33 Jahren berichtet er für die ARD als Live-Kommentator von der Sportart; kennt die Athleten, Trainer, Regeln und Anekdoten wie kaum ein anderer. Die aktuelle WM in Lenzerheide wird seine letzte sein. Ab 1. Juni geht der Wahl-Hamburger in den Ruhestand und hofft, dass „das Loch nicht zu tief ist, in das ich fallen werde“. Bevor das passiert, blicken wir mit zehn Frage-Schüssen zurück auf sein journalistisches Leben mit dem Biathlon.
Erste Schritte:
1990 war ich zum ersten Mal im Holmenkollen, noch als kleiner Assistent für den Deutschen Fernsehfunk. Da habe ich ein bemerkenswertes Interview machen dürfen, mit der siegreichen DDR-Mannschaft; Mark Kirchner, Frank Luck und Co., die alle sehr sparsam geantwortet haben. Also mehr als anderthalb Sätze hat keiner von ihnen rausgebracht. Das war nicht ohne.
1992 bin ich dann als Live-Kommentator der ARD bei den Olympischen Spielen ins kalte Wasser geworfen worden. Der Anruf kam Mitte Dezember. Bis Anfang Februar war es nicht mehr lange. Aber ich habe Ja gesagt – und es war eine goldrichtige Entscheidung. Biathlon ist der ideale Fernsehsport, wo du alles siehst: Schnee auf den Wimpern, Gewehrbruch, Kreuzfeuer, den Kampf Frau gegen Frau oder Mann gegen Mann, Grafiken, mit denen auch die Unbeleckten zu Hause jederzeit Bescheid wissen.
Beste Biathleten:
Trotz eines Ole Einar Björndalen, eines Raphael Poiree oder Martin Fourcade muss ich sagen: Johannes Thingnes Bö war der Perfekte. Er hat es mit dosiertem Training, mit Präferenzen für die Familie in sehr viel kürzerer Zeit als Björndalen zu so vielen Siegen gebracht. Zudem ist er einer, der den Blick nach links und rechts behält. Bei den Frauen sind es die beiden Magdalenas, also Forsberg und Neuner. Forsberg war eine Institution am Schießstand, die den Wind an der Wange gespürt hat, die niemals am Diopter drehen musste. Zudem eine sehr sympathische Frau. Und Magdalena Neuner: Sie habe ich mit 18 das erste Mal interviewt, in Antholz am See sprachen wir über ihre Hausmusik und ihre Familienwanderung mit Grubenlampe. Ein Jahr später hat sie dort die Weltklasse pulverisiert. Mittlerweile verbindet uns eine enge Freundschaft.
Emotionalster Moment:
Das war 1992, als erstmals Biathletinnen bei Olympia dabei waren. Drei Rennen, in denen Antje Misersky Medaillen geholt hat. Für mich waren es die ersten Live-Kommentare überhaupt, entsprechend unsicher und aufgeregt war ich. Zu diesen Emotionen kam noch die besondere Geschichte von Antje. Sie gehörte ja zur Langlauf-Trainingsgruppe ihres Vaters in Zella-Mehlis, der sich zu DDR-Zeiten geweigert hatte, dem Nachwuchs Dopingmittel zu verabreichen. Sie wurden rausgeworfen, und Antje fing mit Biathlon an. Jetzt hatte sie es in Albertville geschafft, als saubere Athletin solche Erfolge einzufahren. Da kullerten die Tränen. Und mich hat das auch sehr berührt.
Größte Überraschung:
Wir kamen einmal zu einem Weltcup nach Fort Kent; ein kleines Örtchen in Maine. Dort waren 3000, 4000 Amerikaner komplett aus dem Häuschen und haben Uschi Disl angefeuert. Auf Plakaten stand so etwas wie: „Laufen Sie schnell, schießen Sie gerade“ und „Wir liben Sie“. Eine unfassbare Begeisterung, die uns völlig überrascht hat. Und dann gab es diesen wunderbaren Moment: Uschi ließ sich auf der Zielgeraden von den Fans feiern und ist von Liv Grete Skjellbreid noch grußlos überholt worden.
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Skurrilste Begebenheit:
Da fallen mir zwei ein. Im März 1999 gab es einen Weltcup in Valcartier, in Kanada, auf einem ehemaligen Militärgelände. Da wurde eine Holz-Bude zur Kommentatoren-Kabine umfunktioniert, mit Seilen auf einen Hügel gezogen und dort festgezurrt, damit sie nicht wieder runterrutschen konnte. Und praktisch noch während ich kommentierte, wurden die letzten Bretter angeschlagen, weil der Wind durch pfiff.
Ein paar Wochen zuvor war die WM in Kontiolahti. Da fanden tagelang keine Rennen statt, weil es minus 30 Grad und kälter war. Erst versuchten die Veranstalter, mit Helikoptern die Luft zu erwärmen. Dann wurden Lagerfeuer an der Strecke entzündet. Und schließlich haben sie Heißluftgebläse aufgestellt, die dafür sorgten, dass in allen Haushalten des Nachbarortes die Elektrizität ausfiel. Unvergessliche Tage in Finnland – auch ohne Wettkämpfe.
Schönster Ort:
Ohne Zweifel – Antholz. Er bildet eine wunderbare Kombination aus toller Stimmung, traumhafter Umgebung mit dem Antholzer See und dem Staller Sattel, sehr netten Gastgebern und dem unfassbar guten Essen.
Engste Verbindung:
Die habe ich zu Uschi Disl und Magdalena Neuner. Mit Uschi bin ich 1992 praktisch zusammen gestartet. Wir hatten von Anfang an ein sehr herzliches Verhältnis. Nach ihrer Karriere war sie Expertin – genauso wie Magdalena. Sie hat im Januar zum Weltcup in Ruhpolding, meinem letzten Heim-Weltcup sozusagen, vor großer Kulisse auch ein paar sehr schöne, berührende Worte gesagt.
Geheimes Rezept:
Da gibt es eigentlich keines. Die Liebe und das Interesse für das Biathlon haben mich immer inspiriert. Eine akribische Vorbereitung gehört dazu. Ich habe mich regelmäßig mit den Sportlern und Trainern getroffen. Von etwa 150 Männern und 100 Frauen habe ich Statistiken geführt – und mich genauso für spannende technische und regeltechnische Details interessiert. Wie ist eine Waffe aufgebaut? Wie viele Munitionssorten gibt es? Was ist ein Unterlader-System? Es gibt einfach so viele Facetten in diesem Sport, die es niemals langweilig werden lassen. Und mein alter Chef hat immer gesagt: Je mehr Pfeile du im Köcher hast, desto mehr kannst zu verschießen.
Unterhaltsamster Interviewpartner:
Da gab es zwangsläufig viele. Doch ich möchte Lena Häcki-Groß herausheben. Nicht, weil wir hier in Lenzerheide sind, sondern weil ich sie in der letzten Saison in zwei tollen Interviews vor dem Mikro hatte: in Hochfilzen, als sie das erste Mal in ihrem Leben aufs Treppchen gesprungen ist; und in Antholz, als sie zum ersten Mal gewonnen hat. Solche strahlenden und glücklichen Augen habe ich noch nie zuvor gesehen. Die Worte sind bei ihr gesprudelt wie ein Wasserfall. Nach ihrer jahrelangen Leidenszeit, geplagt von einer Essstörung, fiel offenbar der gesamte Druck von ihr ab und sie wirkte wie befreit.
Schwierigste Aufgabe:
Oh ja, das war 1994, beim Weltcup-Finale in Canmore. Zwischen Sven Fischer und Patrice Bailly-Salins ging es um den Gesamtsieg. Erst zwei Tage vor dem Abflug kriegte ich die Order: Flieg doch mal hin! Vor Ort traf ich auf vier kanadische Kamerateams; die kannten Eishockey, hatten aber noch nie etwas von Biathlon gehört. Aus einer Unmenge an Kassetten musste ich in einem zum Schneideraum umfunktionierten Klassenzimmer einen langen Beitrag fertigen. Bei der Vertonung habe ich auf einem sehr kleinen Monitor nur Schemen erkannt. Das hat bis weit nach Mitternacht gedauert, und ich habe mächtig geschwitzt. Nachts wurde der Beitrag dann nach Deutschland überspielt, damit er morgens gesendet werden konnte. Das war eine Erfahrung, die hart war, im Nachhinein aber unvergesslich ist.