Lenzerheide. Ricco Groß hat als Sportler Biathlon-Geschichte geschrieben. Wie es ihn als Trainer nach Lenzerheide verschlagen hat, verrät er uns exklusiv.
Auf solch eine Wette wie seine deutschen Trainerkollegen hätte er sich nicht eingelassen. „Ich habe zwar nur noch graue Haare, aber die sollen noch ein bisschen drauf bleiben“, sagt Ricco Groß und lacht. Kristian Mehringer und Sverre Olsbu Röiseland mussten sich von Franziska Preuß den Kopf rasieren lassen, nachdem die Bayerin am vergangenen Sonntag WM-Gold in der Verfolgung gewonnen hatte.
Trainer für die zweite Reihe der Schweizer Biathleten
Diese „Gefahr“ besteht für Groß nicht. Der viermalige Olympiasieger und neunfache Weltmeister steht nach vielen Jahren derzeit nicht mehr auf der großen Biathlon-Bühne. Stattdessen betreut er seit dieser Saison die zweite Reihe der Schweizer Biathleten. Sieben Talente, die keinen Kaderstatus bei „Swiss-Ski“ besitzen und dennoch international, wie dem IBU-Cup, mitmischen.

Als seine Cheftrainer-Tätigkeit in Slowenien aufgrund finanzieller Probleme des dortigen Verbandes im Frühjahr 2024 überraschend endete, lotsten ihn Carola und Michael Hartweg an den Stützpunkt in Lenzerheide. Das deutsche Ehepaar steht hinter dem Aufschwung der Sportart in der Schweiz und setzt auf die Expertise des 54-Jährigen. Dieser feierte nicht nur als Aktiver große Erfolge zwischen 1991 und 2007, stand fast einhundertmal auf dem Podium. Er sammelte anschließend auch als Trainer beim Deutschen Ski-Verband (DSV), in Russland, Österreich und eben Slowenien zahlreiche Erfahrungen.
Seit mehr als 30 Jahren ist Ruhpolding seine Heimat
Der Schritt zurück, vom Chefposten in die Talentförderung, hätte auch seinen Reiz, sagt Groß: „Es ist eine schöne Aufgabe, den Aufschwung des Schweizer Biathlons mitzugestalten.“ Zudem sei der Job stressfreier als jener im Weltcup, weil eine Menge Organisatorisches und Administratives wegfallen würde. „Man kann sich auf die reine Trainerarbeit konzentrieren“, erklärt der gebürtige Sachse, der seit 30 Jahren in Ruhpolding lebt und in vier Autostunden an seinem neuen Arbeitsort ist.

Die Weltmeisterschaften verfolgt er derzeit von Pontresina aus. An diesem Mittwoch ist Groß mit seiner Trainingsgruppe auf die Anlage im Engadin, kurz hinter St. Moritz, ausgewichen. Natürlich drückt er aus der Ferne Lena Häcki am kräftigsten die Daumen. Seit knapp drei Jahren und der Hochzeit mit seinem Sohn Marco gehört die Schweizerin zur Familie. Ihr Ziel ist klar: Das erste WM-Edelmetall für ihr Heimatland soll endlich her. Dreimal war Häcki-Groß schon nah dran: Sechste mit der Mixed-Staffel, Vierte im Sprint, Fünfte in der Verfolgung. Eine Medaille wäre auch aus Sicht von Groß die Krönung einer „Entwicklung im Schnelldurchgang“. Lenzerheide hätte einen rasanten Aufstieg hingelegt und besitze das Potenzial, sich dauerhaft im Biathlon-Zirkus zu etablieren.
Seit November liegt in Lenzerheide durchgehend Schnee
„Ein harmonisches Streckenprofil, knackige Anstiege, schneidige Abfahrten, ein schöner Schießstand-Anlauf durch das gesamte Stadion, seit November durchgehend Schnee. Es gibt hier nichts zu meckern“, findet die Biathlon-Ikone. Außerdem seien die Organisatoren mit ihren Aufgaben sehr gut gewachsen und hätten mittlerweile eine spürbare Begeisterung für den Winter-Zweikampf entfacht. „Zwar ist der alpine Skirennsport die absolute Nummer eins. Wenn jedoch jetzt die Erfolge im Biathlon kommen, wird das noch größer. Das haben wir ja in Deutschland erlebt.“

Eine Rückkehr zum DSV schließt der einstige Co-Trainer von Gerald Hönig nicht aus. Am liebsten würde er aber seine Arbeit in Lenzerheide fortsetzen: „Ich bin zufrieden, wie es momentan ist, und würde gern weitermachen“, sagt Groß. Bislang ist sein Engagement auf ein Jahr begrenzt; am Saisonende werde er mit den Hartwegs über den weiteren Weg entscheiden. Fakt ist: Im Schweizer Biathlon steckt noch jede Menge Potenzial.