Madrid. Borussia Dortmund schnuppert an der Überraschung bei Real Madrid. Nach der Pause geht viel schief. Trainer Sahin steht in der Kritik.
Die erste Frage, gestellt in englischer Sprache, beantwortete Nuri Sahin noch diplomatisch. Vinicius junior, das sei einer der besten Spieler der Welt, aber Sahin selbst werde in seiner Funktion als Trainer von Borussia Dortmund nicht darüber entscheiden, ob der Brasilianer bei der bald anstehenden Wahl den Ballon d‘Or gewinnen werden. Kurz darauf probierte es ein anderer Reporter auf Spanisch. Sahin lächelte, verwies leicht genervt darauf, dass eine ähnliche Frage schon gerade eben gestellt worden sei, und meinte: „Versetzen Sie sich in meine Situation.“
Diese war keine leichte für Sahin, der gekleidet im schicken schwarz-dunkelgrauen Champions-League-Anzug seines Arbeitgebers, am späten Dienstagabend im Estadio Santiago Bernabeu angeschlagen wirkte. Das hatte insbesondere mit dem Geschehen ab der 55. Minute beim Wiedersehen der beiden Königsklassen-Finalisten der vergangenen Saison zu tun.
Beim BVB herrscht eine Menge Frust
Sahin, 36, traf da eine folgenschwere Entscheidung. Er wies seine Mannschaft an, von nun an in der Dreier- beziehungsweise Fünferkette zu verteidigen. Dafür nahm er Offensivwirbelwind Jamie Gittens vom Feld und wechselte in Person von Waldemar Anton einen weiteren Innenverteidiger ein. Der Plan dahinter: Die schnellen Außenspieler Real Madrids besser, im Zweifelsfall im Duo, verteidigen zu können. „Ist natürlich nicht aufgegangen, wenn du dann fünf Tore kassierst. Dann herrscht Kritik, der müssen wir uns stellen“, sagte Sahin nach der 2:5-Niederlage, die für Schwarz und Gelb so frustrierend anfühlte, weil man ja zur Pause dank Toren von Donyell Malen (30.) und Jamie Gittens (34.) mit 2:0 geführt hatte. „Heute tut es weh, weil mehr drin war. Weil extrem viel drin war“, befand Sahin. Am Mittwochmittag trat der BVB dennoch die Heimreise ins Ruhrgebiet mit leeren Händen an.
Auch, weil sich der frühere Real-Profi mit einer taktischen Anpassung in der zweiten Halbzeit mächtig verzockt hatte. „Ich hatte als Trainer das Gefühl, dass sie sehr schnell ins Eins-gegen-Eins kommen. Das wollten wir lösen, das ist nicht aufgegangen und natürlich ist das dann auch mein Fehler, dem ich mich stellen muss“, so Sahin. Die ersten Zweifel an der Tauglichkeit des jungen und unerfahrenen Sahin für den Job beim großen BVB sind an diesem Abend nicht weniger geworden, hatte er doch ein funktionierendes System ohne Not aufgebrochen.
Seiner Mannschaft fehlte im Anschluss Entlastung über den schnellen Gittens, kurz danach auch durch die Auswechslung des anderen Torschützen Malen, der Pascal Groß weichen musste. Und in der Schlussphase, da musste Emre Can als Aushilfs-Rechtsverteidiger ein ums andere Mal in hoffnungslose Laufduelle mit dem dreimaligen Torschützen Vinicius junior (62., 86., 90.+4), der gemeinsam mit Antonio Rüdiger (60.) und Lucas Vazquez (83.) die Partie drehte.
BVB fällt am Ende ineinander wie ein Kartenhaus
Der These, dass die Mannschaft nach der Umstellung den Faden verloren habe, widersprach Sportdirektor Sebastian Kehl vehement. „Wir stellen nicht um oder wechseln nicht aus, wenn der Trainer nicht eine klare Idee dahinter hat“, sagte Kehl. „Wir haben das diskutiert.“ Über Wechsel und taktische Dinge zu reden, mache nach dem Spiel keinen Sinn, „weil wir uns grundsätzlich nicht mehr so verhalten haben.“ Sahin meinte: „Da kommt beides zusammen. Wir haben sehr schlecht verteidigt, sehr schlecht. Aber auch die individuelle Klasse von Real.“ Der BVB fiel in der Schlussphase ineinander wie ein Kartenhaus, wobei Vinicius junior für die kräftigsten Windstöße sorgte. Es war dann doch noch eine Machtdemonstration.
Wie so häufig in der jüngeren Vergangenheit endete damit eine Partie der Dortmunder nur mit vagen Erkenntnissen über das wahre Leistungsvermögen dieser Mannschaft, die eine nahezu perfekte erste Halbzeit spielte und so Real im eigenen Stadion kaum zur Entfaltung kommen ließ. Daran hatte auch der Trainer großen Anteil. Sahin stellte Innenverteidiger Niklas Süle in die Startelf, der gemeinsam mit Nico Schlotterbeck kompakt stand. Das neu formierte zentrale Mittelfeld mit dem auffälligen Felix Nmecha und Marcel Sabitzer gab die nötige Struktur, Serhou Guirassy setzte in den richtigen Momenten seine Mitspieler in Szene – Sahin hatte einen optimalen Plan ausgetüftelt, den er in der zweiten Halbzeit unnötigerweise selbst eingerissen hat.
„Heute bleibt nicht viel hängen, aber ab morgen muss es weitergehen“, sagte Sahin. Und Kehl forderte: „Wir konzentieren uns ab jetzt auf Augsburg.“ Dort steht am kommenden Samstag (15.30 Uhr/Sky) die nächste unangenehme Auswärtsaufgabe an.
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