Paris. Das deutsche Quartett liegt bei Olympia in Paris scheinbar hoffnungslos zurück, ehe eine Aufholjagd für die Geschichtsbücher folgt.
Ein Schwarm tieffliegender Gänse brachte die Oberfläche des Wassers von Vaires-sur-Marne kurz vor dem Start noch mal zur Wallung, ehe sich die Vögel am Ufer in bester Zuschauerposition zum Finale des Doppelvierers der Frauen niederließ. Ob es sich um Graugänse handelte, war ornithologisch aus der Distanz nicht zu bestimmen. Und allen verfügbaren Informationen nach war auch Hansi Flick nicht in der Nähe, sondern mit dem FC Barcelona in Orlando.
Das könnte ein Erklärungsansatz dafür sein, weswegen der Flug der deutschen Frauen über die Ruderstrecke von Paris deutlich erfolgreicher verlief als einst die Bruchlandung der DFB-Kicker in Katar. Die andere Begründung dafür, dass es für Maren Völz, Tabea Schendekehl, Leonie Menzel und Schlagfrau Pia Greiten zu Bronze bei Olympia reichte: Sie haben reingehauen.
Olympia: Doppelvierer der Frauen holt Bronze im Rudern für Deutschland
Zunächst aufs Wasser, unmittelbar nach dem Zieleinlauf. Um zum Jubeln aus dem Ruderboot aufzustehen, fehlte jedem Mitglied des Quartetts die Kraft. Denn sie mussten ja vorher schon reinhauen – und zwar alles. Nach 500 Metern war Deutschland Letzter, nach 1000 Metern Letzter, nach 1500 Metern noch 1,95 Sekunden hinter der Ukraine auf dem Bronzerang zurück. Dann folgte ein Endspurt, wie ihn keine Graugans auf den letzten Metern Richtung Sommerquartier hinlegen könnte.
„Wir haben einfach nur noch gezogen“, sagte Greiten (27), „nur noch gezogen.“ Die Ansage zum Ziehen kam kurz nach der Kilometermarke von Völz. „Es war nicht so geplant, dass wir so weit zurückliegen, das war kein taktischer Ansatz. Ich habe gemerkt, wir müssen zulegen, nachdem ich gesehen habe, wo wir uns befinden“, sagte die 24-Jährige.
„Bronzemedaille entschädigt für alles“: Tabea Schendekehl zu Jahresbeginn noch verletzt
Wo sie sich zu Beginn des Jahres noch befunden hat, erinnert Tabea Schendekehl ziemlich gut: im Krankenhaus und danach mehr auf Physiobänken als im eigenen Bett. Noch so eine Geschichte dieses Medaillenteams. Die Dortmunderin hatte sich eine Rippenfraktur zugezogen, musste sechs Wochen pausieren, konnte weitere sechs Wochen lediglich auf dem Fahrrad trainieren.
„Die Bronzemedaille jetzt entschädigt für alles, für all die Arbeit, den Aufwand, aber auch für die schlechten Tage, die es bei uns hin und wieder gibt“, sagte die 25-Jährige. „Es hat sich alles gelohnt.“ Während Schendekehl noch sehr gut wusste, wo sie zu Jahresbeginn war, hatte sie keinen blassen Schimmer, wo sich ihre Mannschaft auf dem Wasser befand. Einfach nur ziehen. Erst im Ziel war ihr sofort bewusst: „Wir haben es geschafft.“
Deutschland zieht im Endspurt noch an der Ukraine und Schweiz vorbei
„Aber noch nicht wirklich realisiert, was wir da geschafft haben“, ergänzte Menzel (25) nach der 6:19:70-minütigen Qual am Skull. Gold ging übrigens an Großbritannien (6:16:312) vor der Niederlande (6:16:463). Während das ukrainische Boot (6:23:05) beinahe stehenblieb und auf Rang fünf vor China (6:27.08) zurückfiel, schob sich Deutschland auch noch um die Winzigkeit von vier Zehntel- und zwei Hundertstelsekunden an der Schweiz vorbei auf den dritten Platz.
Aber genug der Analyse. Die Ansage dazu machte diesmal Schendekehl, nachdem es im Boot Völz gewesen war. „Da gibt‘s nichts mehr zu analysieren. Weder den Start, noch den Endspurt. Jetzt ist erstmal Pause“, sagte sie.
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Und dann flogen sie aus, die Medaillengewinnerinnen. Ins Deutsche Haus zum Feiern.
DOSB-Präsident Thomas Weikert beim Gewinn der Ruder-Medaille live dabei
Und damit zu Thomas Weikert. Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds hatte dort bei diesen Olympischen Spielen bislang selten Grund dazu. Zweimal nur, um genau zu sein. Nun bewies er ein gutes Näschen, um live an der Strecke beim dritten Medaillengewinn seiner Equipe dabei zu sein.
„Haha“, sagte der 62-Jährige, „das wäre übertrieben, mir jetzt solch eine Expertise zu attestieren.“ Er gehe schließlich zu allen Sportarten mit deutscher Beteiligung, man schaue aber schon, wo etwas gehe. Dass bisher zu wenig ging, ärgerte Weikert, „es ist aber noch früh in den Spielen, und oftmals war es aus meiner Sicht Pech, wenn es knapp nicht gereicht hat“.
Doppelvierer der Männer nur auf Platz fünf
Deutlich nicht reichte es im Rennen vor dem des Damenvierers für den Doppelvierer der Herren. Anton Finger, Max Appel, Tim-Ole Naske und Moritz Wolff landeten beim Sieg der Niederlande vor Italien und Polen abgeschlagen auf dem fünften Platz.
„Das war trotzdem ein richtig guter Abschluss einer schwierigen Saison. Für die Weltspitze fehlt uns mindestens ein Jahr“, sagte der Hamburger Naske. Der 28-Jährige mahnte allerdings auch eine bessere Kommunikationskultur im Deutschen Ruderverband an. Die Verantwortlichen dort sind anscheinend zu oft im Tiefflug unterwegs.