Paris. Das Flaggschiff galt zeitweise als unschlagbar, in Paris wird aber bereits das Halbfinale zur Herausforderung. Wie die Chancen stehen.

Dieser Artikel dürfte eigentlich nicht geschrieben werden. Einerseits journalistisch, weil das Interesse an einem Halbfinale Olympischer Spiele doch eher von vergleichsweise geringer ausgeprägter Natur sein sollte. Vor allem aber aus dem Selbstverständnis des Achters heraus, dem Flaggschiff des Deutschen Ruderverbands und – inklusive DDR – sechsmaligen Olympiasiegers.

Doch der Nimbus der Unbesiegbarkeit ist dem Boot abhandengekommen. So sehr, dass bereits der Hoffnungslauf im Wassersportstadion Vaires-sur-Marne von Paris an diesem Donnerstag (10.20 Uhr) zur Herausforderung wird. Es ist der „D-Day“ des Achters, sagt Mark Schreyer.

Olympia: Hoffnungslauf von Paris wird zur Prüfung für den deutschen Ruder-Achter

Sein Vater Dirk Schreyer (80) hätte für solch einen Lauf am Renntag vermutlich mit dem falschen Fuß aufstehen können, es hätte nichts ausgemacht. 1968 war er Teil der Goldmannschaft von Mexiko-Stadt, als die glorreichen Zeiten gerade erst begonnen hatten. „Aber inzwischen haben wir den Anschluss an anderen Nationen verloren“, sagt Mark Schreyer, Vorsitzender des Ruder-Club Favorite Hammonia aus Hamburg, aus dem Torben Johannesen und Benedict Eggeling im Boot sitzen.

Die Konstellation macht die neue Stellung des Achters besonders frappierend. Fünf Boote stehen im Halbfinale, vier kommen ins Finale, in dem die USA und Großbritannien bereits stehen, nur der Letzte scheidet aus. Trotzdem muss Deutschland an sein Leistungsniveau herankommen, um den Endlauf zu erreichen.

Deutschland liegt 23 Sekunden über der eigenen Bestzeit

„Die Jungs sind alle super fit, aber physisch haben die meisten anderen Boote mehr zu bieten“, sagt Mark Schreyer. Im Vorlauf am Montag benötigten die Deutschen 5:41:63 für die 2000 Meter lange Strecke ganz im Osten von Paris. Die USA waren nach 5:29:94 Minuten fertig, die Weltbestzeit steht bei 5:18:68 – aufgestellt 2017 im polnischen Posen von Deutschland.

Dirk Schreyer (80), 1968 Olympiasieger mit dem Deutschland-Achter, und sein Sohn Mark Schreyer (56), der den Ruder-Club Favorite Hammonia in Hamburg führt.
Dirk Schreyer (80), 1968 Olympiasieger mit dem Deutschland-Achter, und sein Sohn Mark Schreyer (56), der den Ruder-Club Favorite Hammonia in Hamburg führt. © Witters | Valeria Witters

2021 gab es in Tokio Silber, seitdem ist je nach Perspektive viel beziehungsweise zu wenig passiert. „Ein Puzzleteil ist die Generation, die vielleicht nicht ganz so stark ist wie vorherige“, sagt Mark Schreyer. In Johannesen, Laurits Follert und Olaf Roggensack sind drei Silbermedaillengewinner von Tokio noch im Boot. „Die wissen, wie es geht, merken aber, dass es nicht mehr für ganz oben reicht. Das muss frustrierend sein“, sagt Mark Schreyer.

Fünf Boote treten im Olympia-Halbfinale an, nur eines scheidet aus

Auch die Historie belastet die Athleten, die am Bundesstützpunkt in Dortmund trainieren. Externe und realistische Erwartung klaffen auseinander. Aus Sicht Mark Schreyers könne der Hoffnungslauf aber gerade deshalb dazu dienen, sich den Kopf freizurudern, „damit der Knoten platzt“. Entscheidend sei laut des 56-Jährigen dafür, vom Start weg im Rennen zu bleiben: „Zuletzt war unser Boot zu häufig nach 1000 Metern schon zu weit in Rückstand, das holst du mit einem so schnellen Boot wie dem Achter mit dem besten Schlussspurt kaum noch auf.“

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Immerhin: Italien gilt auf dem Papier als schwächer besetzt, die Vorlaufzeit (5:52:52) bestätigte diesen Eindruck. Auch das rumänische Boot (5:55:82) sollte zu schlagen sein, da einige Ruderer in anderen Rennen dabei sind und sich nicht exklusiv auf den Achter fokussieren. „Ich glaube fest daran, dass unsere Jungs das schaffen“, sagt Mark Schreyer. Dem Achter wäre es recht, wenn anschließend nicht zu viel darüber geschrieben wird, weil der D-Day nicht zum Desaster-Day geworden ist.