Paris/Lille. Trotz Bürgerkrieg und Armut nimmt der jüngste Staat der Erde, Südsudan, bei Olympia 2024 am Basketball-Turnier teil. Die Geschichte dahinter.

Es war einmal. So beginnt jedes gute Märchen. Aber das des Südsudan hätte so nicht beginnen dürfen. Es war nämlich einmal der Sudan, geteilt – ganz grob formuliert – in einen tief verfeindeten Norden und Süden. Seit 2011 muss es heißen: Es ist einmal. Der Südsudan nämlich. Doch zum Auftakt ins Basketball-Turnier der Olympischen Spiele in Paris hallte die Hymne des Sudan durch das Pierre-Mauroy-Stadion in Lille.

Ein Fehler, den die Organisatoren schnell bemerkten und korrigierten, nachdem verärgerte Zuschauer ihrer Frustration lautstark Ausdruck verliehen hatten. Einer, der sinnbildlich steht für die Hürden, die die Basketballer des jüngsten Staates der Erde noch immer zu überwinden haben. Ebenso symbolisch: Sie ließen sich davon nicht aufhalten, besiegten Puerto Rico im Anschluss mit 90:79. An diesem Mittwoch (21 Uhr) steht das größte sportliche Ereignis der bisherigen Landesgeschichte bevor: ein Rendezvous mit dem Dreamteam der USA um Superstar LeBron James.

Olympia: Das Märchen der Basketballer aus dem Südsudan

Ein wahr gewordenes Märchen ist die Olympia-Teilnahme der 14-köpfigen südsudanesischen Delegation (zwölf Basketballer, zwei Leichtathleten) aber nur bedingt. Im Märchen gewinnen die Guten und verlieren die Bösen. Im Südsudan haben dafür aber alle zu viel verloren.

20 Jahre Bürgerkrieg mit dem Sudan haben den ostafrikanischen Staat aufgerieben. Der Index der menschlichen Entwicklung weist den Südsudan vor Somalia auf Platz 193 von 194 aufgeführten Ländern aus. Durchschnittlich verdient ein Erwachsener 359 Dollar pro Jahr. Es gibt keine freien Wahlen, dafür ständig Putschversuche. Die knapp elf Millionen Einwohner verteilen sich auf 67 Ethnien mit unterschiedlichen Sprachen und Kulturen. Ein Nationalgefühl zu schaffen, ist kompliziert, doch alle eint in diesem Moment der Stolz auf die Basketballer.

Im Südsudan leben die größten Menschen der Welt

Dass die Qualifikation für Paris als 17. der WM 2023, und damit bester afrikanischer Teilnehmer, gelang, ist daher umso bemerkenswerter. Doch es gibt auch Erklärungsansätze dafür. Einer davon ist in den Genen der Sportler zu finden.

Stolze Fans feiern die Olympia-Teilnahme der Südsudanesen.
Stolze Fans feiern die Olympia-Teilnahme der Südsudanesen. © Getty Images | Gregory Shamus

Die Nomadenvölker im Südsudan gelten als die größten Menschen weltweit. Männer von mehr als zwei Metern sind keine Seltenheit. Häufig verfügen sie über eine rohe, teils noch etwas unkoordinierte Athletik, die sich vor allem im Basketball als hilfreich erweist.

Im Südsudan steht nur ein einziges Basketball-Stadion

Hinzukommt ein Ethos, der oft in US-amerikanischen Sporterzählungen auftaucht, in denen spätere Spitzenathleten in Kindertagen besonders hart arbeiteten, weil es ihre einzige Chance sei, den Gesetzen der Straße zu entrinnen. Zumeist mehr Ammenmärchen als Realität, gute finanzielle Voraussetzungen sind wesentlich entscheidender. Nicht so im Südsudan, wo kaum jemand Geld besitzt.

Um zum einzigen Basketball-Stadion, einem unter freiem Himmel, in der gefährlichen Hauptstadt Juba und den wenigen Trainingsplätzen zu gelangen, joggen die Jugendlichen mitunter zwei Stunden in Flipflops. Sogar Vierjährige dribbeln stundenlang in der prallen Sonne.

Luol Deng, der Mann hinter dem Erfolg der afrikanischen Basketballer

„Wir haben nicht den Luxus einer Halle. Unser Trainingscamp mussten wir in Ruanda abhalten, saßen sieben Stunden am Flughafen im Tschad und mussten die Plätze am Notausgang im Flugzeug unter unseren 2,10-Meter-Leuten auslosen, weil wir uns keine Privatflieger leisten können“, sagt Nationaltrainer Royal Ivey, ein US-Amerikaner.

Luol Deng (39/l.), hier mit Regisseur Spike Lee (67), spielte 15 Jahre in der NBA.
Luol Deng (39/l.), hier mit Regisseur Spike Lee (67), spielte 15 Jahre in der NBA. © AFP | Denis Charlet

Hinter den Erfolgen steht aber vor allem ein Mann: Luol Deng. Der langjährige NBA-Profi, ein zweifacher Allstar, kehrte nach dem Karriereende in seine Heimat zurück, übernahm den Posten des Verbandspräsidenten und fördert den Sport aus seinem Privatvermögen. Der 39-Jährige verdiente in der NBA insgesamt 168 Millionen Dollar.

Die NBA investiert in Afrika, um die besten Talente zu sichern

„Er zahlt seit Jahren aus eigener Tasche für Trainingsmöglichkeiten, Hotels, Flüge, einfach alles. Ohne ihn wären wir nicht in der Lage, dieses Team zusammenzustellen“, sagt Ivey. Deng ist auch intensiv um die Förderung des Basketballs in Afrika bemüht. Der Kontinent gilt als schlafender Sportriese, in den die NBA längst investiert, um die besten Talente abzugreifen. In Deutschland wird in der anstehenden Saison der 2,08 Meter große Kur Kuath beim Bundesligisten Veolia Towers Hamburg spielen.

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Deng wird nicht müde, jungen Menschen Perspektiven schenken zu wollen, will ein Trainingszentrum bauen. Die Voraussetzungen, im Sport zu reüssieren, sind gut. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt bei 16 Jahren. Olympia in Paris muss nicht das Ende des Märchens sein. Aus „es war einmal“ soll „es wird einmal“ werden.