Aus den Niederlanden. Die Niederlande gelten als sehr liberales Land. Dennoch wird vor allem konservativ oder rechts gewählt. Und das schon länger als oft angenommen.
Was ist nur aus den vermeintlich so liberalen Niederlanden geworden? Das mag sich fragen, wer auf die aktuellen Wahlprognosen bei unseren Nachbarn schaut: Bei der anstehenden Parlamentswahl am 17. März wird sich Premier Mark Ruttes rechtsliberale Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) nach bisherigem Stand über fast 40 von 150 Sitzen im Parlament freuen können. Dahinter folgen die Partei des bekannten Rechtspopulisten Geert Wilders und die niederländischen Christdemokraten der CDA mit jeweils fast 20 Sitzen.
Überraschend rechtskonservative Aussichten für ein Land mit einem solch liberalen Ruf? Ein genauer Blick auf Politik und Parteienlandschaft zeigt: Das aus deutscher Sicht gezeichnete Bild von den liberalen Nachbarn zerfällt nicht nur schon seit Jahrzehnten, es ist in seinem Kern auch nie wahr gewesen. Die Niederlande wählt traditionell ziemlich konservativ, sagt Carla van Baalen von der Universität Nimwegen.
Niederlande: Linkes Parteienspektrum schrumpft seit Jahren
So hat es das linke Parteienspektrum in den Niederlanden seit jeher schwerer als in Deutschland. „Es gab noch nie eine linke Mehrheit in der Regierung“, sagt van Baalen. Und die wird es in absehbarer Zeit wohl auch nicht geben, wie in anderen europäischen Ländern, schwächeln auch die niederländischen Sozialdemokraten.
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„Insgesamt ist das linke Lager in den vergangenen Jahrzehnten kleiner geworden. Es hat zusammen nicht mehr als 30 Prozent im Parlament“, sagt auch Friso Wielenga, Leiter des Zentrums für Niederlande-Studien in Münster.
Stattdessen haben die rechtspopulistischen Parteien Partij voor de Vrijheid von Geert Wilders und Forum voor Democratie von Thierry Baudet in den vergangenen zehn Jahren dazugewonnen - während die politische Mitte weiter schrumpft. „Wir reden seit gut 20 Jahren über Rechtspopulismus in den Niederlanden“, sagt Friso Wielenga. Ein Rechtsruck sei das nicht gewesen, vielmehr habe sich diese Entwicklung langsam vollzogen.
Rechtspopulist Wilders könnte wieder zweitstärkste Kraft werden
Geert Wilders großer Erfolg bei den niederländischen Parlamentswahlen 2017 kam für viele Menschen in Deutschland zwar überraschend. Wilders ist in den Niederlanden aber bereits seit 2006 einer breiten Öffentlichkeit bekannt.
„Seit 2010 liegt Wilders Partei konstant zwischen 10 und 15 Prozent“, sagt Friso Wielenga. Auch bei der anstehenden Parlamentswahl werde Wilders Partei wahrscheinlich wieder zweitstärkste Kraft, auch wenn die Christdemokraten ihn noch überholen könnten.
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Der Rechtspopulismus in den Niederlanden ist also gekommen, um auf unbestimmte Zeit zu bleiben. Das haben die vergangenen Wahlen gezeigt, das legen die aktuellen Prognosen nahe. Wilders kann auf eine feste Wählerschaft zählen. Vor allem in seiner Herkunftsregion, dem grenznahen Limburg (Wilders stammt aus Venlo), sowie in Teilen von Brabant gilt der Rückhalt als besonders groß.
Rechte Themen ziehen bei einem Teil der Niederlande
Warum? „Es hat in den vergangenen beiden Jahrzehnten viele Unsicherheiten in Bezug auf Migration und EU-Fragen gegeben“, so Wielenga. „Teile der Bevölkerung haben das Gefühl, dass eine konservativere bis rechte Politik mehr Halt gibt in Bezug auf Wirtschaft und nationale Identität.“
Dass auch jüngere Wählerinnen und Wähler den Rechtspopulisten ihre Stimme geben, habe auch mit politischer Mode zu tun, sagt van Baalen. „In den 70er Jahren waren linke Parteien unter Jüngeren im Trend. Das ist umgeschlagen. Jetzt ist es das rechte Spektrum.“
Niederlande: kein Glück für Links
Für grün-linke Wählerinnen und Wähler, die auf einen politischen Umschwung hoffen, wird auch die anstehende Parlamentswahl wohl wieder eine Enttäuschung. Doch warum hat „Rot-Grün“ sich in den Niederlanden nie so wie in Deutschland etablieren können? Das hat laut Wielenga mit der zersplitterten Parteienlandschaft in den Niederlanden zu tun, in der es schwierig ist, eine gemeinsame linke Mehrheit zu finden. Anders als in Deutschland reichen in den Niederlanden bereits 0,67 Prozent aus, um ins Parlament zu kommen.
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Dahinter steht ein bestimmtes niederländisches Selbstverständnis, erklärt van Baalen: „Jede Stimme wird gehört.“ Was zur Folge hat, dass viele Klein- oder Splitterparteien ins Parlament einziehen. Dort sitzen derzeit 15 Fraktionen. „Momentan hat die Fraktion der Regierungspartei VVD mit über 30 der 150 Sitze die meisten Plätze im Parlament“, so van Baalen. „Die anderen Parteien haben etwa 15 Sitze oder weniger.“
Und mit einer derartigen Vielfalt im Parlament lässt sich eben nur schwer eine - auch in Deutschland so vielbeschworene - „linke Mehrheit“ finden. Doch, so sagt Historiker Wielenga: „Die Begriffe rechts, links oder progressiv lassen sich aktuell nicht mehr eins zu eins auf die niederländischen Parteien übertragen.“ Während beispielsweise Geert Wilders PVV beim Thema Migration rechte Positionen vertritt, sei sie in sozialwirtschaftlichen Fragen eher auf der linken Seite einzuordnen.
Mehr Sozialstaat in Niederlanden gefordert
Insgesamt, so beobachtet Wielenga, seien die Parteien aktuell alle etwas nach links gerückt: Statt nach mehr Neoliberalismus gehe die Tendenz hin zu einem stärkeren Sozialstaat.
Das hat verschiedene Gründe: Soziale Probleme wie der Mangel an bezahlbarem Wohnraum, aber auch die Coronapandemie und die Affäre um unrechtmäßig eingezogene Kinderbetreuungszuschläge hätten die niederländische Politik nun eingeholt, so Wielenga. „Es gibt inzwischen die breite Meinung in den Niederlanden: Der Staat muss sich stärker in die Wirtschaft und das öffentliche Leben einmischen. Er hat zu lange weggeschaut.“