Essen. Fünf Experten zum Thema Naturheilkunde waren bei der NRZ zu Gast. Wir fassen für Sie die wichtigsten Fragen und Antworten zusammen.

Was tun bei Long-Covid? Was bietet Naturheilkunde bei chronischen Schmerzen für Möglichkeiten? Was kann ich gegen die Folgen meiner Sportverletzung tun? Und zahlt die Kasse die Therapie? Es gab viele Anruferinnen und Anrufer – mehr als unsere Expertin und die vier Experten in unserer Telefonaktion beantworten konnte. Etwa jeder dritte Anruf immerhin wurde entgegengenommen. Und für alle, die nicht das Glück einer telefonischen Beratung hatten, fassen Lucas Gangluff, Tobias Kaluza und Stephan Hermsen die wichtigsten Fragen und Antworten für Sie zusammen.

Dr. Alain Huneke, niedergelassener Orthopäde und Unfallchirurg mit dem Spezialgebiet Fuß- und Sprunggelenkschirurg aus Düsseldorf.
Dr. Alain Huneke, niedergelassener Orthopäde und Unfallchirurg mit dem Spezialgebiet Fuß- und Sprunggelenkschirurg aus Düsseldorf. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Bei einem Kletterunfall habe ich mir das Sprungbein im Fuß gebrochen. Der Bruch wurde umgehend operiert. Seitdem habe ich zwei Schrauben in meinem Fuß. Ich bin 34 Jahre alt und habe nun immer wieder diffusen Schmerzen im Sprunggelenk, besonders an den Außenbändern. Kortisonspritzen und Physiotherapie haben immer nur kurzfristig geholfen. Was hilft mir denn auf Dauer?

Dr. Alain Huneke: Das klingt für mich nach einem Fall, bei dem die Neuraltherapie helfen kann. Hierbei handelt es sich um ein nebenwirkungsarmes Verfahren, welches durch die Gabe von Procain körpereigene Selbstheilungsprozesse aktiviert, durchblutungsfördernd und entzündungshemmend wirkt. Das ist in ihrem Fall sehr wichtig, da immer dort, wo sich Narbengewebe befindet, ein schlecht durchblutetes Störfeld existieren kann. Hinzu kommt, dass das Sprungbein per se ein wenig durchbluteter Knochen ist. Dies kann häufig zu Nekrosen führen. Nach den ersten Behandlungen sieht man oft schon eine Besserung. Aber Wunder können wir natürlich auch nicht versprechen.

Ich bin 55 und rufe aus Dinslaken an, ich habe an beiden Füßen einen Fersensporn. Ich habe schon vieles ausprobiert, unter anderem eine Röntgenreizbestrahlung. Der Arzt hat jedoch Bedenken wegen der hohen Strahlenbelastung. Gibt es da eine Alternative mit weniger Nebenwirkungen?

Dr. Alain Huneke: Aus meiner Sicht als Fuß- und Sprunggelenkchirurg ist der Fersensporn eine Reaktion auf eine chronische Überlastung der Sehnenplatte der Fußsohle. Hier sollte man sich ebenfalls die angrenzenden Muskelketten anschauen. Häufig befinden sich dort schmerzhafte Triggerpunkte. Das Ganze lässt sich neuraltherapeutisch hervorragend behandeln, auch wenn dies am Fuß aufgrund der vielen Nerven unangenehm sein kann. Aber meist ist die langfristige Verbesserung das wert. Ergänzend sind spezielle Dehnungsübungen wichtig, um diese ganzen Ketten aus Muskulatur und Sehnen vom Fußgewölbe bis in die Wade mit in den Heilungsprozess zu integrieren.

Ich habe Arthrose im Sprunggelenk und wurde schon mehrfach operiert, dabei wurde auch das Grundgelenk des großen Zehs entfernt. Schmerzen habe ich immer noch, ich würde aber gern, trotz meines Alters, weiter Sport machen. Was tun?

Dr. Alain Huneke: Der erste Schritt ist, den Fuß richtig zu vermessen und auch die Druckverteilung zu ermitteln. Der Fuß besteht aus 26 verschiedenen Knochen, welche über 33 Gelenke miteinander verbunden sind. Hinzu kommen zahlreiche Sehnen und Bänder sowie eine Vielzahl von Nerven und Muskeln, die diesen Körperteil zu einem komplexen Organ machen. Jede dieser Strukturen kann Schmerzen und Leid verursachen. Wenn ein Gelenk in diesem System im Fuß fehlt, müssen die anderen Gelenke den Druck abfangen. Das kann dann zu einer Anschlussarthrose führen. Helfen könnte sicherlich ebenfalls die von meinem Großvater entwickelte Neuraltherapie nach Huneke. Das bedeutet Injektionen in die betroffenen Gelenke, Muskelregionen, aber auch Sehnen oder Nerven.

Dr,. Thomas Rampp, Leiter des Instituts für Naturheilkunde an den Ev. Kliniken Essen-Mitte, Spezialgebiete u.a. Long-Covid, Akupunktur.
Dr,. Thomas Rampp, Leiter des Instituts für Naturheilkunde an den Ev. Kliniken Essen-Mitte, Spezialgebiete u.a. Long-Covid, Akupunktur. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Bis zu meiner Corona-Infektion war ich eigentlich recht fit. Aber seitdem sind irgendwie nur noch 20 Prozent Energie übrig. Ich bin 81 Jahre alt und immer müde. Was kann ich tun?

Dr. Thomas Rampp: Zunächst sollten Sie einen Facharzt aufsuchen, um zu klären, ob es organische Ursachen gibt. Oft ist allerdings bei Post Covid die Darmflora nicht mehr in Ordnung. Da können Präbiotika helfen, die stecken in Lebensmitteln wie Sauerkraut, Naturjoghurt, frischem Obst und Gemüse. Das kann helfen, die Darmflora wieder in Ordnung zu bringen. Auch eine ballaststoffreiche Ernährung hilft da. Lassen Sie zusätzlich Ihren Vitamin-D-Spiegel messen. Wenn der zu niedrig ist, gibt es dafür Ergänzungsmittel.

Ich bin erst 26 und habe seit der Covid-Infektion keine Kraft mehr für mein Masterstudium. Ich habe schon viel Zeit und Geld investiert, um mir helfen zu lassen, aber angeschlagen hat noch nichts. Was tun?

Dr. Thomas Rampp: Auch bei Ihnen würde ich ein Augenmerk auf die Verbesserung der Darmflora legen im Sinne einer pflanzenbasierten, ballaststoffreichen Ernährung legen. Was zusätzlich helfen kann, ist eine Kombination von drei Präparaten. Dieser Therapieansatz zeigt in den USA ganz gute Erfolge. Das ist einmal das Enzym Nattokinase, das bei der Fermentierung von Sojabohnen entsteht. Dann Kurkumin, das aus der Kurkuma-Wurzelgewonnen wird und schließlich Bromelain, das aus der Ananas gewonnen wird. Diese Kombination hilft auch dabei, dass der Körper besser mit den Spikeproteinen umgehen kann, die sowohl bei der Corona-Infektion als auch bei der Impfung gegen das Virus eine bedeutende Rolle spielen.

Dr. Linda Tan, niedergelassene Fachärztin für Allgemeinmedizin und Spezialistin für Schmerztherapie mit besonderem Schwerpunkt in der Traditionellen chinesischen Medizin.
Dr. Linda Tan, niedergelassene Fachärztin für Allgemeinmedizin und Spezialistin für Schmerztherapie mit besonderem Schwerpunkt in der Traditionellen chinesischen Medizin. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Nach einer Hüftoperation bin ich in der Rehaklinik schwer gestürzt. Seitdem habe ich schlimme Schmerzen, die brennend sind. Ich bin 78 Jahre alt und nehme ein morphiumhaltiges Schmerzmittel, aber auch das hilft kaum. Massagen in diesem Bereich lindern meine Schmerzen etwas. Die Ärzte sagen, ich hätte direkt nach dem Sturz operiert werden müssen. Jetzt könne man nichts mehr machen.

Dr. Linda Tan: Ich bin sicher, dass man da was machen kann. So, wie Sie mir Ihren Schmerz beschreiben, scheint es sich um einen Nervenschmerz zu handeln, der auch von den Weichteilen ausgeht, da Ihnen Massagen guttun. In vielen Fällen ist da eine Behandlung mit Akupunktur wirkungsvoll. Durch die Nadeln werden die Nervenbahnen und Blutgefäße dort stimuliert, wo die Muskeln versorgt werden. Da werden dann Glückshormone, Endorphine, ausgeschüttet, die oft wirksam für mehrere Wochen den Schmerz zumindest deutlich lindern. Eine weitere Option ist die Faszien-Osteopathie, bei der Ärzte oder Heilpraktiker gezielt verhärtetes und verklebtes Bindegewebe lösen. Das ist keine Wellnessmassage, die greifen da schon richtig in die Gewebe, das kann durchaus weh tun, aber es kann langfristig Besserung bringen. Oft wird diese Behandlung zumindest teilweise von den Kassen mitgetragen.

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Mein Mann hatte vor sieben Jahren einen schweren Unfall mit Beckenbruch und sitzt seitdem im Rollstuhl. Er nimmt ganz viele Medikamente, unter anderem , früher Propofol und die kleinste Dosis Gabapentin, aber er hat dennoch immer Schmerzen. Was kann man da tun?

Dr. Linda Tan: Wie beschreibt Ihr Mann denn seinen Schmerz? Wenn es sich wie ein glühendes Schwert anfühlt, deutet hier vieles auf einen Nervenschmerz hin. Gabapentin ist ein Nervenschmerzpräparat. Die Dosis bei dem Gabapentin scheint mir „in der kleinsten Dosis“ zu gering. Wenn er schon Chemie nimmt, dann wenigstens in der richtigen Dosierung. Ansonsten würde ich auch hier zu einer Akupunkturbehandlung oder zur Faszien-Osteopathie raten. Möglicherweise helfen auch Injektionen mit Procain, einem örtlichen Betäubungsmittel, direkt an der Schmerzstelle. Wenn die Schmerzstelle nicht so großflächig wäre, könnte man auch an ein Chilipflaster denken. Die sind mit den herkömmlichen Wärmepflastern nicht vergleichbar, sondern so kräftig, dass sie nur von geschulten Kräften mit Spezialhandschuhen und Maske aufgeklebt werden in der Arztpraxis. Sie sorgen dafür, dass die Schmerzrezeptoren im betroffenen Bereich quasi ihre gesamte Munition verfeuern und danach eine Weile Ruhe einkehrt.

Ich bin 90 Jahre alt und habe seit drei Jahren nachts brennende Schmerzen in den Beinen. Ich bin schon bei vielen Ärzten gewesen, die mir aber nicht helfen konnten. Ist es vielleicht der Rücken?

Dr. Linda Tan: So wie Sie mir das schildern, mit Schmerzen im Fußbereich bis zu den Waden, würde ich eher vermuten, dass es eine Polyneuropathie ist, eine Schädigung der Nervenenden. Das kann verschiedenen Ursachen haben. Sie sollten das mit einem Neurologen abklären. Was jedenfalls nicht hilft, sind klassische Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Diclofenac. Eher könnten Antiepileptika helfen. Aus dem Bereich der Naturheilkunde würde ich Akupunktur ausprobieren. Alternativ gibt es die Reizstromtherapie, die die Nerven beruhigen kann. Diese Therapie – als „TENS“ bekannt – zahlt auch die Kasse und können Sie bequem zu Hause durchführen. Sie können es auch mal mit Alpha-Liponsäure probieren, einer Fettsäure, die Nervenendigungen wieder reparieren soll und die frei verkäuflich in der Apotheke erhältlich ist.

Christian Breidenbach, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit beim Verband der Ersatzkassen NRW.
Christian Breidenbach, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit beim Verband der Ersatzkassen NRW. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Ich habe gehört, dass die Kasse bald nicht mehr für Homöopathie zahlen darf. Wie ist das eigentlich, welche Verfahren der Naturheilkunde werden erstattet?

Christian Breidenbach: Im neuen Gesetzesentwurf von SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach ist die Streichung von Homöopathie als Kassenleistung nicht mehr enthalten. Auch wenn die Wirkweise naturwissenschaftlich nicht belegt ist, spüren doch viele Menschen eine subjektive Verbesserung. Und angesichts eines Kostenvolumens von rund 22 Mio. Euro fällt die Homöopathie bei 300 Milliarden, die insgesamt von den Kassen im Gesundheitswesen aufgewendet werden, kaum ins Gewicht. Grundsätzlich sind naturheilkundliche Verfahren wie beispielsweise die Osteopathie eine der wenigen Leistungen, bei denen die Kassen unterscheiden. Die Verwaltungsräte der Kassen können per Satzungsbeschluss entscheiden, ob die Leistung übernommen wird. Wenn Sie also Wert auf die Erstattung einer bestimmten naturheilkundlichen Therapie legen, sollten Sie schauen, ob und welche Krankenkasse das womöglich erstattet und gegebenenfalls wechseln.

Ich bin 66 Jahre alt und leide an Arthrose. Übernimmt die Krankenkasse auch die naturheilkundliche Behandlung von Arthrose?

Christian Breidenbach Sie sollten zunächst mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt sprechen, welche naturheilkundliche Therapie er Ihnen empfiehlt. Das Gespräch dazu wird bei Ihrem Hausarzt erstattet, wenn Sie dazu bereits eine naturheilkundliche Praxis aufgesucht haben, kann es sein, dass Sie das Gespräch selbst zahlen müssen. Dann sollten Sie abgleichen, ob die vorgeschlagene Therapie zum Leistungsumfang Ihrer Krankenkasse gehört. Falls nicht, können Sie in Absprache mit Ihrem Arzt auch ein anders, ähnlich wirksames Therapieangebot wählen, das dann erstattungsfähig ist.

Ich bin ehemalige Postbeamtin und habe lange Homöopathie über die Kasse abrechnen können. Jetzt weigert sich die Postbeamtenkrankenkasse. Auch ein Widerspruch half nichts. Soll ich jetzt einen Anwalt einschalten?

Christian Breidenbach Die Postbeamtenkrankenkasse (PBeaKK) versichert ehemalige Postbeamte. Sie bildet einen Sonderfall und steht so zu sagen zwischen gesetzlichen und privaten Kassen. Das macht es schwierig. Der Leistungskatalog der PBeaKK hat sich in den letzten Jahren immer mehr an den der gesetzlichen Versicherungen angelehnt. Leider hat die Kasse keinen eigenen Ombudsmann oder eine Ombudsfrau – die sind eigentlich die besten Ansprechpartner bei Konflikten mit privaten Krankenversicherungen. Bei den gesetzlichen Krankenkassen gibt es ehrenamtliche Selbstverwalter, die haben eine ähnliche Funktion.

Dr. Marc Werner, Direktor der Klinik für Naturheilkunde an den Ev. Kliniken Essen-Mitte, mit Fokus auf der Behandlung von Schmerzpatienten.
Dr. Marc Werner, Direktor der Klinik für Naturheilkunde an den Ev. Kliniken Essen-Mitte, mit Fokus auf der Behandlung von Schmerzpatienten. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Ich rufe für meine Tochter an. Seit sie vor drei Monaten begonnen hat zu arbeiten, hat sie oft Migräne und Kopfschmerzen und leidet an einem Zittern im ganzen Körper und fühlt sich sehr schwach. Was kann man da tun?

Dr. Marc Werner: Das klingt für mich nach einem Überforderungs-Phänomen. Solche Fälle sehen wir bei uns tatsächlich relativ häufig. Menschen haben den Eindruck, dass eine zusätzliche Belastung für sie das Fass zum Überlaufen bringt. Aus meiner Sicht muss man da sorgfältig ärztlich diagnostizieren und schauen, welche Ursachen da eine Rolle spielen. Dazu bedarf es einer komplexen Behandlung, bei der wir Sie gern unterstützen.

Ich leide an einer Krebserkrankung und stelle bei mir etliche Nahrungsmittelunverträglichkeiten fest. Können Sie mir helfen?

Dr. Marc Werner: Zunächst wäre da eine ausführliche Ernährungsberatung sinnvoll, um Ihre persönlichen Bedürfnisse zu kennen und das Essen anzupassen. Sinnvoll wäre es zusätzlich, ihr Mikrobiom im Darm genauer zu untersuchen, und hierauf möglicherweise gezielt therapeutisch einzugehen. Wenn es um die Therapie geht, kann auch eine Behandlung mit Traditioneller chinesischer Medizin sehr unterstützend sein.