Aus der Grenzregion. In den Niederlanden ist es üblich, im Supermarkt noch schnell Ibuprofen & Co. zu holen. In Deutschland muss man dafür in die Apotheke.

Schnell noch beim Wocheneinkauf eine Packung Ibuprofen mit aufs Band legen – das ist in niederländischen Supermärkten kein Problem. Nicht wenige Touristinnen und Touristen aus NRW dürften sich deshalb schon Packungen von Ibuprofen, Paracetamol und anderen Tabletten von ihren Ausflügen nach Venlo oder anderen Städten im Nachbarland mitgebracht haben.

In Deutschland dürfen nur Apotheken Medikamente verkaufen

Auch, weil sie dort merklich günstiger sind. Eine Packung Ibuprofen 400mg mit 20 Tabletten kostet in NRW je nach Hersteller zwischen 3 und 5 Euro. In den Niederlanden kostet eine 20er-Packung in Apotheken etwas weniger als 2 Euro, im Supermarkt um die 1,50 Euro.

Da ist beim Griff ins niederländische Supermarktregal gerade in der Grenzregion sicher schon die Frage aufgekommen: Warum wird der Verkauf von Schmerzmitteln in beiden Ländern so unterschiedlich gehandhabt – und wird sich das einmal ändern?

In Deutschland ist nur den Apotheken der Verkauf von Arzneimitteln erlaubt. Dies ist im Arzneimittelgesetz (AMG) und näher im Apothekengesetz (ApoG) geregelt. Das NRW-Gesundheitsministerium erklärt dazu auf Anfrage: „Für den Großteil der Arzneimittel obliegt den Apotheken die Versorgung der Bevölkerung. Neben der Abgabe gehört hierzu auch die gesetzlich verpflichtende Information und Beratung der Patientinnen und Patienten.“

Apothekerkammer ist gegen freien Verkauf im Supermarkt

Rechtliche Änderungen könnten nur auf Bundesebene vorgenommen werden. Dafür gibt es aktuell aber keinerlei Anzeichen. Auch nach Ansicht der Apothekerkammer Nordrhein (AKNO) sollte sich nichts verändern. „Arzneimittel sind keine Lebensmittel“, so Präsident Armin Hoffmann. „Sie sind beratungsintensiv und – falsch angewendet – gefährlich.“

Die Tendenz, immer nur auf den Preis zu schauen oder es möglichst einfach haben zu wollen, lehne man ab. „Das entspricht zwar möglicherweise einem pseudomodernen Zeitgeist – ist aber gefährlich und schädlich.“

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Hoffmann lobt die Apotheken für ihre Beratung. „Passt Ibuprofen zu meinem Blutdrucksenker? Ich trinke gern Orangen- und manchmal auch Grapefruitsaft: Muss ich da bei Medikamenten etwas beachten? Kompetente Antworten auf solche Fragen gibt es nicht im Supermarkt“, sagt der Kammerchef. „Diese Beratung ist wichtig für die Gesundheit der Patienten.“

Deutschland: 1,4 Milliarden Packungen Medikamente verkauft

In den Niederlanden gibt es ein anderes Verständnis: Die Regierungen haben auf Eigenverantwortung gesetzt und bestimmte Medikamente leichter zugänglich, und – so heißt es gerne – dadurch günstiger gemacht. Immer wieder wird in Den Haag diskutiert, welche weiteren Medikamente künftig in Supermärkten verkauft werden sollen.

Wie viele Menschen im Nachbarland Schmerzmittel im Supermarkt einkaufen, ist nicht zu erheben. Im Jahr 2022 haben laut der Behörde Zorginstituut Nederland 389.220 Menschen im Nachbarland Ibuprofen eingenommen. Die Zahl ist demnach im Vergleich zu 2018 (471.850 Menschen) in den Vorjahren kontinuierlich zurückgegangen. Wo die Mittel erworben wurden, ist nicht einsehbar.

In Deutschland werden die Zahlen anders erhoben und sind so mit jenen aus dem Nachbarland nicht vergleichbar. Nach einer Statistik der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) wurden 2022 in Deutschland rund 1,4 Milliarden Packungen Arzneimittel in Deutschland verkauft.

Im Vergleich zu den Vorjahren ergibt sich ein Anstieg. 2020 und 2021 lag der Wert noch unter 1,3 Milliarden Packungen. Jedoch wurden in den Jahren 2013, 2015 und 2016 bereits mehr als 1,4 Milliarden Packungen verkauft.

Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) indes rechnet in seinen Bilanzen mit „definierten Tagesdosen“. Hierbei ergibt sich in der Statistik ein steter Anstieg des Medikamentenverbrauchs seit 2018. Damals waren es bundesweit 589 Tagesdosen im Jahr. 2022 waren es bereits 653,7 Tagesdosen pro Kopf. In NRW sind die Zahlen leicht höher, mit jedoch ähnlicher Tendenz. 2018 waren es 619,8 Tagesdosen pro Kopf, 2022 dann 663,4.

Kritik an freiem Verkauf auch in den Niederlanden

In den Niederlanden verkaufen rund 4300 Supermärkte laut Schätzungen des Branchenverbands CBL Schmerzmittel. Ihre genauen Verkaufszahlen teilen die Ketten Albert Heijn und Jumbo auf Anfrage allerdings nicht mit. Das Unternehmen Kruidvat hingegen sagt, dass der Verkauf der Schmerzmittel „jährlich um fünf bis zehn Prozent wächst“.

Die leichte Zugänglichkeit der Mittel in niederländischen Supermärkten heißt allerdings nicht, dass deren Verkauf ohne Beratung unumstritten ist. Auch in den Niederlanden gibt es schon seit Jahren Kritik daran. Das Instituut voor Verantwoord Medicijngebruik (Institut für verantwortlichen Medizingebrauch) startete 2018 sogar eine Petition, um den Verkauf von Schmerzmitteln durch die bekannte Supermarktkette Albert Heijn zu stoppen – allerdings ohne Erfolg.

Die Stiftung kritisierte unter anderem, dass auch niederschwellig erwerbbare Schmerzmittel bei falscher Einnahme schwerwiegende Nebenwirkungen wie Herzprobleme und Magenblutungen auslösen können.

Zuletzt wurde das Thema Schmerzmittel breiter in den niederländischen Medien diskutiert, da die Zahl der bewussten Überdosierungen mit Ibuprofen oder Paracetamol durch Jugendliche seit 2020 merklich zugenommen hat. Ob das auch mit der leichten Zugänglichkeit der Mittel im Nachbarland zu tun hat, ist aber nicht nachgewiesen.