Essen. Schornsteinfeger Ralf Fischer genießt seinen Ruf als Glücksbringer. Ruß oder Knöpfe berühren – kein Problem. Nur ein Brauch ist bei ihm verboten.
Ralf Fischer fällt auf, wenn er durch die Mülheimer Innenstadt geht, oder besser gesagt: sein Outfit. Der rußschwarze Anzug aus einer kragenlosen Jacke mit zwei Reihen aus goldenen Knöpfen, einer Hose mit goldener Gürtelschnalle, ein Zylinder und ein Kehrbesen über der Schulter. „Viele grinsen, winken mir zu, dann fühle ich mich wie ein Star“, erzählt er.
Prominent ist der 58-Jährige zwar nicht, dafür aber Schornsteinfeger und somit hauptberuflicher Glücksbringer, wenn man dem Aberglauben folgt. Er selbst ist mit einem Augenzwinkern davon überzeugt: „Ich weiß, dass ich Glück bringe.“ Und davon wünschen sich Kunden gerade zum Jahreswechsel besonders viel.
Glücksbringer Schornsteinfeger: Bei diesem Brauch macht Ralf Fischer nicht mit
Wenn der Essener die Wohnungen und Häuser seines Kehrbezirks in Mülheim-Heißen und der Innenstadt besucht, tun die Menschen viel für eine Portion Glück: den Ruß seiner Jacke berühren, an den Knöpfen drehen, ihn umarmen oder auf die Wange küssen. Er mache gerne alles mit, „nur über die Schulter spucken lasse ich mir nicht“.
Seine Zunft genießt ein hohes Ansehen, erzählt er: „99 Prozent der Kunden sind freundlich.“ Das habe mehrere Gründe. Schon im Mittelalter hätten Kaminfeger Unglück abgewendet, „denn wenn keiner den Ruß aus dem Kamin gekratzt hat, ist das Haus schnell abgebrannt“. Daher komme auch der Ruf als Glücksbringer.
Zudem sei der Besuch des Schornsteinfegers für Bewohner meist Routine, weil Heizungsanlagen verpflichtend regelmäßig kontrolliert werden müssen: „Es ist wohl der einzige Beruf, bei dem Mitarbeiter jedes Jahr zu den Kunden nach Hause kommen.“
Schornsteinfeger wirbt für seinen Job: „Man ist frei im Tun“
Der 58-Jährige wirbt für seinen Job, nicht nur wegen des Kundenkontakts: „Es gibt viele Kleinbetriebe, bei denen man frei im Tun ist und nicht nach einer Stechuhr arbeiten muss.“ Und natürlich liebt er es, wenn ein Feuer im Kaminofen knistert: „Die Strahlungswärme sorgt für ein Wohlgefühl wie im Frühjahr, wenn man auf der Terrasse in der Sonne sitzt.“
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Deswegen hat er sich Anfang der 1980er für den Beruf entschieden – als Erster der Familie, aber nicht als Letzter, denn sein Sohn ist auch bereits Schornsteinfeger.
Job verändert sich, Sicherheitsauflagen werden strikter
Bei aller Leidenschaft zum Handwerk merkt Ralf Fischer aber, dass sich im Job einiges verändert, zum Beispiel die Sicherheitsauflagen. Er zeigt auf den Schornstein eines alten, zweistöckigen Hauses mit braunen Dachziegeln nebenan: „Wir hätten früher einfach die Leiter angelegt und wären hochgegangen.“
Heute müssten mindestens drei Mitarbeiter kommen, um den Schornstein zu reinigen, weil es auf dem Dach keine speziellen Sicherheitsvorkehrungen gibt: „Während einer kehrt, muss ein weiterer sichern und noch einer bereitstehen, um den Notruf wählen zu können.“
Der Bezirksschornsteinfeger findet es gut, dass die Arbeit noch sicherer wird, „denn Unfälle passieren sehr selten, aber wenn, dann sind es böse“. Doch gerade, wenn nicht gekehrt, sondern nur etwas überprüft werden muss, könnten die Auflagen auch etwas behindern. „Deswegen fliegen manche Schornsteinfeger mit Drohnen über das Dach, um nicht herauf zu müssen.“
Heizgesetz und Energiemangel habe Kunden Angst gemacht
Auch die Aufgaben hätten sich verändert: „Ganz früher mussten Schornsteinfeger nur Ruß entfernen. Mittlerweile überprüfen wir Anlagen, messen Abgaswerte und sind ganz oft Energieberater.“
In den vergangenen zwei Jahren habe er zudem häufig Seelsorger sein und Kunden beruhigen müssen, die zum Beispiel nach Beginn des Ukraine-Kriegs Angst davor hatten, dass Öl und Gas knapp werden. Auch das neue Gebäudeenergiegesetz (GEG) habe Menschen verunsichert.
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Seinen Beruf an sich sieht er zwar nicht bedroht, nur weil er Kunden häufiger rund um Wärmepumpen berät, statt mit dem Kehrbesen im Schornstein zu fegen. Doch ein wenig Angst davor, dass der Job irgendwann nicht mehr der ist, den er mal gelernt hat, hat er schon: „Ich bin nicht Handwerker geworden, um mich ins Büro zu setzen.“
Fischers kuriosester Besuch in Mülheim
Die schönsten Termine hat Ralf Fischer in seinen knapp 40 Jahren als Schornsteinfeger nämlich bei Kunden vor Ort erlebt. An einige erinnert er sich gut, zum Beispiel, als er vor zehn Jahren die damals älteste Mülheimerin besuchte: „Sie war 104 Jahre alt und stand hoch oben auf der Leiter, um die Oberlichter ihrer Fenster zu putzen.“
Er habe ihr geraten, lieber ihren Sohn auf die Leiter zu schicken, „aber der war ja auch schon 80 und nicht so fit wie sie“, lacht Fischer.
Den Kunden auch mal Pech ins Haus gebracht zu haben – davon weiß er nichts. Bis auf das eine Mal, als eine Heizung nach seinem Besuch nicht mehr ansprang. „Da bin ich aus Versehen an den Notschalter gekommen, aber die Heizung ging natürlich wieder, nachdem der Schalter umgelegt war.“
Schornsteinfeger als Glücksbringer: Woher kommt der Aberglaube?
„Schornsteinfeger gelten traditionell als Glücksbringer“, sagt der Bundesverband des Schornsteinfegerhandwerks. Der Verband hat auch eine Ahnung, woher der Aberglaube kommt, und zwar aus dem Mittelalter.
Damals sei die Dienstleistung sehr gefragt gewesen, „denn zu viel Ruß im Schornstein bedeutete Brandgefahr“. Zudem war die Arbeit vielen Bewohnern zu schmutzig, schwierig und gefährlich. Der Schornsteinfeger brachte also „Sicherheit und damit Glück ins Haus“.
Heute gibt es nach Angaben des Verbands 21.000 Mitarbeiter im Schornsteinfegerhandwerk. Der Ruf als Glücksbringer habe sich gehalten. Kunden oder Passanten wollen oft die schwarzen Koller, goldenen Knöpfe oder den Ruß berühren, meint Präsident Alexis Gula: „Wir freuen uns, wenn wir die Menschen damit glücklich machen können.“