Düsseldorf. Stadtbibliotheken sollen heute eher Menschen als Bücher (ver-)sammeln. Düsseldorfs junge Zentralbibliothek macht’s vor, Essen will nachziehen.
Am Ende müssen wir doch mal leise sein. „Hier sieht es wirklich aus wie in einer Bibliothek“ wispert Karoline Kahmann, als wir zum Finale des Rundgangs durch die Zentralbibliothek Düsseldorfs in die juristische Fachbibliothek lunkern. Tatsächlich: Hohe hölzerne Bücherregale mit dicken Wälzern an den Wänden, Tische mit Leselampen, aufgeklappte Laptops, eifrig über Texte und Tastatur gebeugte Köpfe. „Viele Studierende kommen hierher, um zu lernen. Sie sagen: Das geht besser als an der Uni“, sagt Kahmann, die für die Öffentlichkeitsarbeit der Düsseldorfer Bibliotheken zuständig ist.
Muss ein schöner Beruf sein, derzeit gibt es gute Nachrichten zu verkünden. Am Dienstag lässt sich die Zentralbibliothek Düsseldorf feiern als „Bibliothek des Jahres 2023“. Weil sie weit mehr ist als eine Bibliothek. Dazu kehren wir zurück zum Eingang. Oder besser noch: davor. Wer aus dem Hauptbahnhof kommt, braucht ungefähr 250 Schritte leicht nach rechts, da wo die Lidl-Leuchtreklame leuchtet und früher mal ein Postamt war.
Aus einem alten Postamt wurde eine hochmoderne Bibliothek
Daneben warten drei Aufzüge, um jährlich eine Million Besucher in die zweite Etage zu bringen – am vorherigen Standort, fast nebenan, aber auf der Schattenseite des Bahnhofs, waren es rund 600.000.
Oben angekommen, fragt man sich unwillkürlich: Wo sind eigentlich die Bücher? „Wir wollen eine transparente Atmosphäre“, erklärt Karoline Kahmann. Der Blick kann ungehindert schweifen: Bücherregale, wenn sie nicht an der Wand stehen, sind maximal 1,50 Meter hoch. Vorn stehen zwei Mitarbeiter an einem Tresen, der aussieht wie ein geöffneter Container und nicht zufällig dem Bahnauskunftsschalter ähnlich sieht: „Die Architekten haben Elemente des Bahnhofs aufgenommen“, erklärt Frau Kahmann.
Also: Abfahrt auf Etage 2, dem Herzen der Bibliothek. Vorn, aus aktuellem Anlass, eine kleine Bücherpyramide: Lektüre zum Nahostkonflikt. „Wir wollen aktuell sein“, sagt Kahmann. Und so ist die Bibliothek auch Nachrichtenzentrale: Im Bibliotheks-Wifi können die Nutzer*innen auf viele elektronische Publikationen zurückgreifen. Leserinnen und Leser haben auch Zugriff auf mehrere Dutzend gedruckte Tages- und Wochenzeitungen und Fachmagazine. Eine – preisgekrönte – Düsseldorfer Bibliotheks-App ebnet digital viele Wege.
Wer dazu einen Kaffee trinken will: Auch das geht. Ein Betreiberpaar, das sich in der alten Bibliothek kennengelernt hat, hat die Küche des „Xafé“ gepachtet. „Den Sitzbereich müssen sie nicht mit anmieten, nur so lässt sich das rentabel betreiben“, sagt Kahmann.
Ein Detail, das sich die Planer der künftigen Essener Zentralbibliothek schon mal merken sollten: Im Idealfall Anfang 2025 soll dort eine neue große Zentralbibliothek einen lebendigen Ort des Austauschs und der Weiterbildung etablieren: Von der Cityrandlage kommend wird dieser zentralen Bibliothek auch noch die Belebung, ja Rettung, der Innenstadt ins Lastenheft geschrieben.
Mit gut 10.000 Quadratmetern soll sie noch größer werden als das vor knapp zwei Jahren eröffnete, 8000 Quadratmeter messende „KAP1“ (steht für Konrad-Adenauer-Platz 1) in Düsseldorf. Dort haben Umzug und Neueinrichtung – übrigens ohne einen einzigen Schließungstag – knapp sechs Millionen gekostet, in Essen kalkuliert man mit rund 13,8 Millionen.
Vieles, was in Düsseldorf schon etabliert ist, wollen die Essener auch: Vor allem sind das Treffpunkte, Lernräume, Proberäume, Versammlungsstätten, wo beispielsweise jüngst auch der „Verband der Bibliotheken NRW“ seinen 75. Geburtstag feierte. An sieben Tagen in der Woche ist die Bibliothek Anlaufstelle und Treffpunkt für diverse Gruppen, 600 Arbeitsplätze, davon 30 mit voll ausgestatteten PCs samt Standardprogrammen, ermöglichen das Lesen und Lernen. Essen will sogar 1000 Lese- und Lernplätze schaffen. Bibliotheken sind eben weit mehr als Büchersammelstellen, das lässt sich in Düsseldorf gut erleben.
Baumhäuser in der „KiBu“, Sprayer in der Jugendbibliothek
Gerade wuseln mehrere Schülergruppen durchs Gebäude. „Recherchetraining“ ist angesagt. Das geht im Lernraum mit Monitor, aber natürlich noch viel besser, indem die Kinder und Jugendlichen durch die Lese- und Lernwelten streifen. Für sie gibt es gleich zwei kleinere Bibliotheken: für Kleine die „Kibu“ mit Baumhaus, nachgebauter Rheinbrücke und einem aufgemalten Fluss, wo man tatsächlich Fische entdecken kann, wenn man sich vorher eine VR-Brille für virtuelle Welten aufgesetzt hat.
Nebenan haben Jugendliche ihre eigene Bibliothek. Sie haben tatsächlich für klassische Sofas und dunkle Wände votiert. Dazu kann man sprayen üben – ebenfalls virtuell. Eine digitale graue Betonwand lässt sich mit digitalen Spraydosen, die genauso klackern und sprühen (aber weniger stinken) besprayen. Das Bild lässt sich digital sichern und versenden.
Auf der Herz-Ebene gibt es Räume mit 3-D-Scannern und Druckern, es gibt ein Musikzimmer, gut gedämmt und ständig ausgebucht und eine Bibliothek der Dinge, in der sich vom Aktenvernichter über den Diascanner bis zu Gitarre und Tonie-Box manches leihen und testen lässt. Die obere Etage ist das „Hirn“ mit den Fachbüchern.
Apropos Bücher? Ja, gibt es. Rund 300.000 Medien sind im Haus. „Die Nachfrage bei den Büchern ist konstant, bei den Silberlingen nimmt sie ab“, sagt Karoline Kahmann: CD und DVD sterben aus. Wird aussortiert? „Aber ja. Viele Bestseller von vor zehn Jahren sind heute nicht mehr gefragt“, erklärt sie. Und die fliegen dann raus. „Wir sind kein Archiv, wir sind eine Aktualitätenbibliothek“, sagt sie. Klar ist aber auch: Goethe, Schiller, Lessing, Shakespeare haben Bleiberecht.
Demnächst – ja leider – haben manche Bücher womöglich eine längere Halbwertszeit. „Es zeichnet sich ab, dass wir 2024 einen geringeren Anschaffungsetat haben werden“, sagt Karoline Kahmann. Was das bei gleichzeitig steigenden Bücherpreisen für eine Bibliothek bedeutet, die aktuell und lebendig sein will, kann man sich ausrechnen.
20.000 Euro Preisgeld, Festakt am Dienstag
Wenn sich am 24. Oktober, am „Tag der Bibliotheken“, Düsseldorfs Polit-Prominenz sich mutmaßlich für die Auszeichnung „Bibliothek des Jahres“ auf die Schultern klopfen lässt, kann man ihr dazu vielleicht das ein oder andere dazu ins Ohr flüstern.
Immerhin wird ein dickerer Scheck überreicht: Die mit 20.000 Euro dotierte Auszeichnung „Bibliothek des Jahres“ wird seit 23 Jahren vom Deutschen Bibliotheksverband mit der Deutschen Telekom Stiftung verliehen. 45 Bibliotheken hatten sich beworben.
Seit vier Jahren gibt es auch eine mit 7000 Euro dotierte Auszeichnung für Bibliotheken in kleineren Städten. Hier wurde die Bibliothek von Lauenburg (Schleswig-Holstein) ausgezeichnet. Doch auch kleine Städte haben Chancen auf den Hauptpreis. So gewann die Stadtbibliothek Hilden 2016 den Preis. Im vergangenen Jahr ging der Preis an zwei Berliner Bibliotheken, 2007 an die Gefängnisbibliothek in Münster.
Kriterien für die Auszeichnung sind unter anderem Qualität und Innovation, Zukunftsorientierung, Nachhaltigkeit (die Düsseldorfer Zentralbibliothek hat z.B eine eigene Photovoltaik-Anlage auf dem Dach), gute Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung in der Stadt.