An Rhein und Ruhr. Die Bibliotheken der Region erfinden sich als Wohlfühlort mit Digitalangebot neu. Und erfreuen sich so großem Zulauf.

Lerngruppen, die nach der Schule zusammentreffen, Lesefreunde auf der Suche nach dem neuesten skandinavischen Krimi oder eine Mutter mit ihrem Kind vor dem Regal mit den Brettspielen: Bibliotheken sind Orte der Begegnungen. Auch wenn die Ausleih- und Besucherzahlen noch nicht wieder das Vorkrisenniveau erreicht haben, wie der Verband der Bibliotheken NRW zum Tag der Bibliotheken erklärt, ist wieder Leben in die Einrichtungen der Region eingekehrt.

Inspiration für Rezepte erwünscht

Ann-Kathrin Brocks kann dies bezeugen. Sie hat sich an ihrem ersten Urlaubstag beim Heimatbesuch – inzwischen lebt sie in Bremerhaven – für einen Abstecher in die Oberhausener Stadtbibliothek im Bert-Brecht-Haus entschieden. Sie wirkt zufrieden. Und das darf sie auch sein, war ihre Suche doch überaus erfolgreich, wie zwei gut gefüllte Tragekörbe mit diversen Kochbüchern beweisen. Indische Küche, italienische Variationen, vegane Rezeptideen. „Ich lasse mich gerne inspirieren. Die Auswahl hier ist deutlich größer als in Bremerhaven“, berichtet sie lächelnd.

„Ich mag es, Kochbücher in der Hand zu halten. Es wird auch direkt etwas daraus ausprobiert werden“, erklärt Brocks. Bei Romanen darf es übrigens auch gerne die digitale Form als E-Book sein. „Das ist gerade im Zug sehr praktisch.“

In einer anderen Ecke hat bereits die Vorweihnachtszeit Einzug in die Stadtbibliothek gehalten: „Handmade Christmas“, „Adventskalender Manufaktur“ oder „24 Geschichten bis Weihnachten“ heißen die Titel, die sich auf einem mit Lichterketten und schmucken Weihnachtssternen versehenen Tisch entdecken lassen.

„Die Aufenthaltsqualität zählt mehr als das Medienangebot“, weiß Constanze Palotz, Leiterin der Stadtbibliothek in Dinslaken. Die Zukunft der Bibliotheken liege auch in ihrer Rolle als dritter Ort mit Wohlfühlfaktor. Dazu gehören in Dinslaken ein E-Piano, der Café-Bereich und Bastelangebote für Kinder. Von dem starken Einbruch der Lockdown-Zeiten, in denen Mitglieder zwar Bücher ausleihen konnten, sich jedoch nicht in der Bibliothek aufhalten durften, erholt sich die Bücherei langsam. „Es kommen in den letzten Wochen wieder verstärkt junge Leute zum Lernen oder ältere Menschen zum Kaffeetrinken.“

Auch sonntags geöffnet

Dieser Wohlfühlort steht seit Oktober auch am Wochenende zur Verfügung. Samstags und sonntags öffnet die Dinslakener Stadtbibliothek als „Open Library“ (englisch: „offene Bücherei“) ohne Servicepersonal, dafür mit Wachdienst. Seit 2019 dürfen Bibliotheken in NRW sonntags gesetzlich öffnen, der Deutsche Bibliotheksverband fordert das gesetzlich nun auch auf Bundesebene, da viele Nutzer in der Woche eingebunden seien.

Papier ist geduldig. Mit einem Kniff im Untertitel –  „Mit dem Herzen eines Königs“ –  kann das Buch rechts von Catherine Mayer aber Aktualität beweisen.
Papier ist geduldig. Mit einem Kniff im Untertitel – „Mit dem Herzen eines Königs“ – kann das Buch rechts von Catherine Mayer aber Aktualität beweisen. © NRZ | Marcel Sroka

74 Stunden in der Woche öffnet die vor rund einem Jahr eingeweihte Düsseldorfer Zentralbibliothek in der Woche. Diese soll auf 8.000 Quadratmetern voller Arbeitsplätze, Veranstaltungsräume und Leseecken den Zeitgeist treffen, wie Institutsleiter Norbert Kamp betont.

Der Plan scheint aufzugehen: Im Jahr 2022 rechnet die Zentralbibliothek mit einer Million Besucher, erst kürzlich wurde der Rekord von 4.000 Gästen an einem Tag aufgestellt. „Wir hatten noch nie so einen starken Neukundenzuwachs“, so Kamp. Neben attraktiven Räumlichkeiten gebe es weitere Argumente für den Bibliotheksausweis. So sei durch steigende Buchpreise spürbar, dass Menschen vermehrt leihen statt kaufen. Und: „Ein Medium wird im Schnitt 60-mal ausgeliehen. Nachhaltiger geht es kaum.“

Angebot wird digitaler

Zudem wird das Medienangebot immer digitaler. Wochenlanges Warten auf das neue Werk der Lieblingsautorin soll der Geschichte angehören. So würden in Düsseldorf alle gedruckten Bücher auch als E-Book angeboten. Nicht erst seit der Pandemie spielen digitale Medien eine immer größere Rolle. Bei Filmen und Musik-Alben sei jedoch spürbar, wie schwer ist, gegen die Streamingdienste Netflix oder Spotify zu bestehen. „Die Ausleihzahlen von DVDs und CDs gehen stark zurück. Beide Medien werden in den Bibliotheken bald aussterben“, meint Kamp. In den Bücherregalen sei vor allem Fach- und Sachliteratur Opfer des Internets geworden.

Das bestätigt Constanze Palotz in Dinslaken. Allein Kochbücher und Reiseführer halten sich beständig, sagt sie. Das müsse sie bei der Verteilung des Budgets für Neuanschaffungen berücksichtigen. Kinder- und Jugendmedien, Hörspiele und Romane sind jedoch ungebrochene Ausleihschlager. An der gesellschaftlichen Bedeutung von Bibliotheken als Wohlfühlort und Medienquelle, ob digital oder gedruckt, lässt Palotz keinen Zweifel.

Zurückhaltung noch spürbar

„Es ist wieder viel Normalität eingekehrt“, erklärt Susanne Larisch, Pressesprecherin vom Verband der Bibliotheken des Landes NRW. Aber noch seien die Menschen etwa zögerlich, was die Akzeptanz kultureller Angebote angeht. „Hier ist, was die Besucherzahlen angeht, oft noch Luft nach oben.“

Der Trend zum Online-Ausleihen, welches im Lockdown enorme Zuwächse erlebte, sei ungebrochen. „Wie vor dem Lockdown besteht nach wie vor das Problem mit den Lizenzen: Viele Verlage stellen Bibliotheken ihre Bestseller erst mit zeitlicher Verzögerung zur Verfügung“, sieht die Sprecherin Handlungsbedarf.

Corona beschäftigt die Bibliotheken weiterhin. „Der Krankenstand ist wie überall hoch, der Umgang mit der Arbeit im Home-Office in einer Einrichtung, die Service bieten will, nicht immer einfach“, so Larisch.

Zudem sei unklar, was der Winter bringen wird. „Die Energiekrise ist auch in Bibliotheken ein wichtiges Thema und das nicht nur, was das Einsparen von Energie betrifft.“ Als Wärmeinseln könnten sie an kalten Tagen Zuflucht und Schülerinnen und Schülern warme Lernorte bieten. „Bibliotheken sind gerne bereit, die Bürgerinnen und Bürger in diesen Zeiten zu unterstützen und eine temporäre Ausweitung ihrer Angebote und Aufgaben in einer gesellschaftlichen Ausnahmesituation in Absprache mit den Verantwortlichen vor Ort zu übernehmen.“