Düsseldorf. Regale voller staubiger Bücher? Das war mal: Bibliotheken sind Informationsbroker – und besser besucht als die Bundesliga. Wo es trotzdem hakt..

Gefeiert wurde in einer schicken, neuen, großen Stadtbibliothek. Vor gut einem Jahr hat Düsseldorf direkt am Hauptbahnhof die neue, zentrale Bibliothek eröffnet. Schick, modern, digital: Man darf vermuten, dass der „Verband der Bibliotheken in NRW“ einen solchen Rahmen bewusst gewählt hat: Warum es einen solchen Verband gegenwärtig vielleicht dringender denn je braucht, erklärt dessen Präsident, Johannes Borbach-Jaene, gleichzeitig Direktor der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund.

75 Jahre Bibliotheksverband in NRW – wofür braucht es diesen Verband?

Bibliotheken hatten immer ein Problem mit Lobbyarbeit, sind eher zurückhaltend. So nach dem Motto: Die Leute müssen kommen, weil wir ja ein gutes Angebot haben. Aber man muss aktiv sein und auch Werbung machen für das, was man tut – in die Politik und die Gesellschaft hinein und erklären, was sich verändert hat.

Das ist die eine Herausforderung – aber gerade im Festakt klang an, dass es noch eine zweite gibt: das Existieren zwischen allen Stühlen.

Wir hängen immer so ein wenig zwischen den Ressorts, in den Kommunen genauso wie im Land. In den Städten und Gemeinden sind wir meist im Kulturausschuss verortet, aber Bibliotheken sind ja auch Bildungseinrichtung und haben eine wichtige soziale Funktion, je nach Lage und Ausrichtung der Bibliothek. Das geht vom sozialen Kontaktpunkt für die lesenden Senioren über Kulturangebote wie Lesungen bis hin zum Anlaufpunkt für Studierende, die dort ihren Workspace einrichten. Das passt so nicht in das Ressort- und Kästchendenken der Kommunen und im Land.

<div claDer Präsident des Verbandes der Bibliiothekn in NRW, Dr. Johannes Borbach-Jaene ist, gleichzeitig Direktor der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund.
© vbnw, www.eventfotograf.in

Festakte sind schön, es gibt Schulterklopfen. Aber wie sieht die Bibliothekslandschaft in NRW aus?

Wir sind derzeit gut aufgestellt, haben eine gute Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, haben unseren Wandel im Angebot gut kommuniziert. Die Zeit des Bibliothekensterbens vor allem in den 90er-Jahren und den Nullerjahren ist vorbei, das ist ein bisschen besser geworden. Es gibt viele Kommunen, die neu investieren. Köln saniert seine Bibliothek, Essen plant eine neue Bibliothek, Duisburg hat eine neue Bibliothek, Düsseldorf auch, Bochum bekommt ein „Haus des Wissens“ – da passiert viel. Kleinere Bibliotheken im ländlichen Raum haben oft größere Schwierigkeiten, die vielfältigeren Aufgaben wahrzunehmen, weil die Ressourcen knapper sind. Es gibt da mehr Verbundlösungen vor allem im digitalen Bereich, beispielsweise am Niederrhein. Leider ist interkommunale Zusammenarbeit oft schwer zu organisieren. Wir sind auf einem guten Weg, aber wenn wir in Zeiten der Sparanforderung kommen und Kommunen in die Haushaltssicherung kommen, ist unser Problem, dass Bibliotheken keine Pflichtaufgaben der Kommunen sind. Das müssen wir im Auge behalten – und dass Bücherfreunde in Düsseldorf und Wesel vergleichbare Angebote haben.

Die Vielfalt hat mich überrascht. es gibt mehr als nur Hochschulbibliotheken und Stadtbüchereien .

Dazu gibt es Bibliotheken in kirchlicher Trägerschaft, es gibt die Schulbibliotheken, es gibt Gefangenenbüchereien, die sogenannten Bibliotheken im Vollzug. Und es gibt Behörden, die eigene Spezialbibliotheken haben, angefangen vom Landtag bis zu diversen Ämtern.

Was ist das Wichtigste für eine gute Bibliothek?

Attraktive Öffnungszeiten, gut qualifiziertes Personal und damit gute Beratung, dazu ein aktuelles Angebot, digital und analog. Und dazu attraktive Räumlichkeiten, die gut erreichbar sind und eine gewisse Aufenthaltsqualität haben. Da gibt es auch gute kleinere Bibliotheken. Wir sind immerhin die Kultureinrichtung mit den meisten Standorten im Land, vor allem wenn man auch die Bibliotheken in kirchlicher Trägerschaft einrechnet.

Wie geht es denen angesichts der Krise der Kirchen?

Kirche zieht sich teilweise aus der Finanzierung zurück, oft haben Gemeinden nicht mehr die finanziellen Möglichkeiten. Das ist besonders dramatisch dort, wo kirchliche Büchereien kein Zusatzangebot in der Kommune sind, sondern Kirche die einzige Bibliothek vor Ort gibt. Da ist dann die Frage, hat die Kommune die Mittel und das Interesse, das zu übernehmen. Da versuchen wir als Verband zu vermitteln und gute Lösungen zu finden.

Eine Bibliothek ist nicht mehr ein großer Raum voller Bücher, sondern ein Ort, an dem organisiert wird, wie ich an Wissensinhalte kommen?

Analoge Präsenz und Aufenthaltsqualität, digitaler Service: so wollen sich die Bibliotheken präsentieren.
Analoge Präsenz und Aufenthaltsqualität, digitaler Service: so wollen sich die Bibliotheken präsentieren. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Genau. Das Wissen und die Informationen wandern immer mehr ins Digitale, und Bibliotheken als Ort der Information und des Wissens wandeln sich mit ihnen. Klar sind Bibliotheken immer noch die Orte, wo Bücher sind, aber wir bieten auch digitale Zugänge, wir beraten und vermitteln: Wo finde ich was? Wie komme ich an die Information? Welche Quellen sind verlässlich?

Streitthema ist die digitale Ausleihe. Technisch kann man jedes Buch jederzeit in unbegrenzter Stückzahl zur Verfügung stellen. Doch die Autoren und Verlage wollen das so nicht?

Es gibt einen ganz großen Unterschied: Alle physischen Medien dürfen wir im Buchhandel kaufen und zur Ausleihe anbieten. Die Autoren und Verlage werden dafür mit der Bibliothekstantieme entschädigt über die Verwertungsgesellschaft Wort entschädigt. Im Digitalen herrscht hingegen Vertragsfreiheit. Jeder Anbieter kann mit uns seine Konditionen aushandeln. Im E-Book-Bereich gibt es als Vermittler die Divibib mit ihren Onleihen, die handelt die Konditionen aus und kauft das ein.

Aber die Anzahl der gleichzeitigen Ausleihen ist dann immer noch begrenzt, es gibt zeitliche Befristungen der Lizenzen, und immer mehr Verlage wollen attraktive Titel erst mit einer Verzögerung von sechs Monaten, teilweise sogar noch mehr, auch fürs Verleihen zur Verfügung stellen. Wir sagen: Das kann so nicht sein, es braucht da auch im digitalen Bereich eine Regelung, die es uns ermöglicht, diese Inhalte sofort anzubieten – mit einer entsprechenden Entschädigungsregelung für die Autorinnen und Autoren und die Verlage.

Das ist ja ein Riesenaufwand!

Das ist das eine. Das andere ist: Wir als Bibliotheken sind Garant der Informationsfreiheit, dafür muss es einen gesetzlichen Rahmen geben. Im neuen Koalitionsvertrag steht, dass die Bundesregierung sich für eine faire Lösung einsetzt. Deswegen hat Claudia Roth, die Staatsministerin für Kultur, einen runden Tisch einberufen, wo Vertreter der Bibliotheksverbände, der Autoren und Verlage zusammenkommen und erörtern, welche Lösung es da geben könnte.

Ein Streitthema ist immer, dass die Verlage uns vorrechnen, dass sie mit der Verleihe weniger verdienen als mit dem Verkauf. Unser Argument ist immer, dass wir Menschen neugierig machen auf Bücher und Autoren und mit dem niedrigschwelligen Zugang mehr Menschen für mehr Bücher interessieren.

Sie blicken ein wenig neidisch in die Niederlande?

Dort sind die Bibliotheken ganz anders aufgestellt, es gibt ein Bibliotheksgesetz, wo den Kommunen vorgeschrieben wird, eine Bibliothek zu unterhalten. Ähnlich ist es in Skandinavien. Da haben wir uns in Dänemark und den Niederlanden schon viele gute Konzepte abgucken können. Wir dürfen nicht stehen bleiben, wir müssen weitergehen, wir arbeiten in einem sehr dynamischen Umfeld – da müssen wir uns auch verändern.

Wie hat sich Corona ausgewirkt?

Die Landeszahlen liegen noch nicht vor, aber wir beobachten, dass die Besucherinnen und Besucher nach den Sommerferien wiedergekommen sind. Das Haus ist wieder richtig voll. Richtig ist aber auch, dass die Kunden stärker in den digitalen Medien zuhause sind und nicht alle wieder zum Analogen zurückkehren. Auch bei Veranstaltungen wie Lesungen gibt es noch ein wenig Zurückhaltung.

Wie gehen Sie in die nächsten 25 Jahre?

Erst einmal optimistisch, aber vorsichtig. Bibliotheken haben sich immer verändert und werden sich auch weiter verändern. Wir haben das diverseste Publikum aller Kultureinrichtungen im Land und erreichen mehr Menschen aus mehr Bevölkerungsgruppen als beispielsweise Museen und Theater.

NRW-Bibliotheken: Beliebter als die Bundesliga

Rund 25 Millionen Menschen besuchen die Bibliotheken in NRW – zumindest vor Corona. Das sind deutlich mehr, als in ganz Deutschland zu allen Spielen der drei Profiligen pilgern.

Nach den Kinos gehören Bibliotheken zu den meist besuchten Einrichtungen: Jeder vierte Mensch in NRW geht mehrmals im Jahr in eine Bibliothek – Theater und Konzerte besucht etwa jeder sechste.

In 269 Kommunen in NRW gibt es Öffentliche Bibliotheken an 481 Standorten. Bei ihnen hat sich die Zahl der virtuellen Medien in den letzten zehn Jahren verachtfacht auf mehr als 1,1 Millionen, die weit über sieben Millionen Mal verliehen wurden (Stand 2020). Weitere 1000 Bibliotheken gibt es katholischer, weitere 200 in evangelischer Trägerschaft, dazu kommen gut 40 Hochschulbibliotheken