Am Niederrhein. Die sandigen Lehmböden um Emmerich waren perfekt – für den Tabakanbau. Bis ins 20. Jahrhundert blühte der Wirtschaftszweig am Niederrhein.
Vermutlich mit den Söldnern, die während des Dreißigjährigen Krieges den Niederrhein durchstreiften, kamen der Tabak und der Tabakgenuss in diese Region. Mit der Verbreitung des Rauchens, Kauens und Schnupfens von Tabak gingen bereits auch erste Auseinandersetzungen zwischen Tabakfreunden und –gegnern einher. Während die Gegner im Rauchen einen Verstoß gegen die guten Sitten und den Tabak als ein Werkzeug des Teufels sahen, betonten die Raucher seine Wohltat und die medizinische Wirkung. Trotz aller Verbote gelang es daher nur in geringem Maße, das Rauchen in der Öffentlichkeit zu unterbinden. Daraufhin änderten die Obrigkeiten ihre Strategie und erhoben Steuern auf Tabak und Pfeifen – eine Praxis, die auch heute noch gerne angewendet wird. Der Bundesfinanzminister freut sich immerhin über jährliche Einnahmen von über 14 Milliarden Euro aus der Tabaksteuer. Das sind die höchsten Steuererträge nach den Einkünften aus der Mineralölsteuer.
Spätestens seit der Wende zum 18. Jahrhundert ist auch der Tabakanbau am Niederrhein heimisch geworden. Insbesondere auf den sandigen Lehmböden um Emmerich gediehen die Pflanzen prächtig. Daher wurde der ehemalige Kreis Rees auf der rechten Rheinseite zu einer Hochburg des niederrheinischen Tabakanbaus. Im Kreis Kleve wurden ebenfalls viele Tabakpflanzen gesetzt, während sie um Geldern, Moers und Duisburg kaum Verbreitung fanden. Nicht nur die Bauern hatten dabei mit der neuen Nutzpflanze ihr Auskommen, auch die Händler, die sich in Wesel, Duisburg, Moers und Goch niederließen, profitierten vom Handel mit dem zur Mode gewordenen Genussmittel. Und da der Rhein ein hervorragender Transportweg für die Anlieferung der Rohware und die weitere Verschiffung der Endprodukte war, fanden auch viele Schiffer dadurch Anstellung und Lohn. Die Firma Böninger in Duisburg unterhielt sogar eigene Schiffe, mit denen sie den Tabak aus Virginia an den Niederrhein brachte. Auf der Hinfahrt über den Atlantik fanden viele Auswanderungswillige einen Platz an Bord.
Weltbekannter Tabak – aus Wissel
Der niederrheinische Tabak wurde in aller Regel als Beimischung zu importierten Tabaken verwendet, da er nicht die Güte der Pflanzen aus sonnigeren Gefilden erreichte. Die Verarbeitung der aus Übersee eingeführten Rohtabake mit der heimischen Ware geschah ebenfalls am unteren Niederrhein. In Duisburg zum Beispiel fanden im 19. Jahrhundert 600 Arbeiter Lohn und Brot durch ihre Beschäftigung in der Aufbereitung der Rohware. Diese Tätigkeit konnte in der Fabrik oder auch in Heimarbeit erledigt werden. Hinzugefügt werden muss an dieser Stelle allerdings, dass sowohl im Tabakanbau als auch in der Veredelung viele Kinder eingesetzt wurden, die schon in jungen Jahren hart für den Genuss anderer arbeiten mussten.
Während zunächst der Tabak in der Ton-Pfeife geraucht wurde, änderte sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Konsumform und die Zigarre wurde zur beliebtesten Rauchware. Durch diese Entwicklung begünstigt, entstanden an neuen Orten Fabriken, in denen die Tabakblätter kunstvoll geschnitten und anschließend zu Zigarren gerollt wurden. Mit der Fertigstellung der rechtsrheinischen Eisenbahn im Jahre 1856 ging eine Verlagerung des Tabakanbaus am Niederrhein einher. Neues Gewerbe entstand entlang der Strecke und insbesondere die Fabriken des nun durch den Schienenverkehr näher gerückten Industriegebiets an der Ruhr boten attraktive Arbeitsplätze, die zu einer Abwanderung der Tabakarbeiter führten. Anbau und Verarbeitung verlagerten sich daher auf die linke Rheinseite, wo seit den 1850er Jahren in Geldern, Nieukerk und Orsoy Zigarrenfabriken entstanden. Zu einer Hochburg für den Tabakanbau am unteren Niederrhein entwickelte sich Wissel. Der Tabak aus Wissel gelangte sogar im Ausland zu einiger Berühmtheit und wurde dort als „veritable tabac de Wissel“ bekannt.
Illegale Tabakfabrik in Kranenburg
Bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts blieben der Tabakanbau und die Tabakverarbeitung ein beträchtlicher Wirtschaftszweig am Niederrhein. Der Trend zu leichteren Sorten machten dem herben Niederrheintabak dann aber ebenso das Leben schwer wie billigere Importtabake. Die Zigarrenproduktion wurde bis in die Nachkriegszeit noch fortgesetzt, dann aber schlossen auch die letzten Fabriken endgültig ihre Tore. Heute macht der Niederrhein im Zusammenhang mit Tabakanbau und -verarbeitung nur noch Schlagzeilen, wenn über Schmuggel und kriminelle Aktivitäten berichtet wird. So wie im Jahre 2020, als Zollfahnder in Kranenburg eine illegale Tabakfabrik mit modernster Technik aufdeckten. Bei dieser Aktion wurden 55.000 Stangen Zigaretten und 6 Tonnen Tabak sichergestellt. Zigarettenschmuggel ist aufgrund der hohen Steuerbelastung ein einträgliches Geschäft, das angeblich pro Woche 1,5 Millionen Euro am Fiskus vorbeiführt. Darüber kann auch der Bundesfinanzminister nicht mehr lachen.
>>> LVR-Niederrheinmuseum in Wesel
Aktuell sind im LVR-Niederrheinmuseum zwei Ausstellungen zu sehen: „Der Strom, der uns verbindet“ und „Kleine Steine – Große Wirkung. Kieswende am Niederrhein?!“ geben Einblicke in die Historie sowie in das aktuelle Zeitgeschehen der Region.
In Rahmen des Begleitprogramms bietet der Kreis Wesel zusammen mit dem LVR-Niederrheinmuseum allen Interessierten am Dienstag, 12. September, eine Werksbesichtigung bei der Firma Derix in Niederkrüchten an. Dabei geht’s um Alternativen zum herkömmlich eingesetzten Stahlbeton beim Bau von Gebäuden. Der Bustransfer startet um 14.30 am Museum, die Kosten belaufen sich auf fünf Euro für die Busfahrt. Eine Anmeldung ist erforderlich und bis Montag, 11. September, unter www.beteiligung.nrw.de/portal/KW/beteiligung/themen?format=Veranstaltung möglich.