Am Niederrhein. Nach Kriegen und anderen Katastrophen geht’s um den Wiederaufbau. Im 18. Jahrhundert gab es bestimmte Maßnahmen zur Bevölkerung des Niederrheins.

Die infrastrukturelle Entwicklung eines Staates gehörte schon immer zu den Kernaufgaben einer Regierung, unabhängig von ihrer Regierungsform. Insbesondere nach Kriegen, Naturkatastrophen, Seuchen, Epidemien und Ähnlichem bestand die Herausforderung in einer schnellen Reparatur der Schäden und Wiederherrichtung der bekannten Zustände. Oft boten solche Zäsuren Gelegenheit zu Modernisierung und Fortentwicklung der herrschenden Verhältnisse. Dazu konnten die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse, Wasserbaumaßnahmen in Form von Trockenlegung, Hochwasserschutz und Kanalbau sowie die Urbarmachung von Land gehören. Häufig gingen diese Maßnahmen mit der Gewinnung und Ansiedlung neuer Bevölkerungsgruppen einher.

Gerade in der Frühen Neuzeit waren solche aktiven „Peuplierungsmaßnahmen“ eine verbreitete Methode. Schon der Preußenkönig Friedrich II. schrieb in seinem Testament von 1752: „Man bevölkert die Städte und gewinnt neue Untertanen. Die Untertanen aber sind der wahre Reichtum der Fürsten.“ Mit dieser Vorgehensweise sollten auch die rheinischen Randgebiete Brandenburg-Preußens weiterentwickelt werden, obwohl der Städteanteil im Westen deutlich höher war als in den preußischen Kerngebieten.

Anwerbungen am Niederrhein

Mit über 60 Einwohnern auf einem Quadratkilometer lag die Grafschaft Moers ganz vorne im Vergleich der einzelnen Regionen. Dennoch wurden auch in den Städten des Niederrheins gezielte Anwerbungsmaßnahmen vorgenommen, nicht zuletzt, um neue Expertise durch Manufakturen anzusiedeln oder Zerstörungen im Stadtbild auszugleichen. Zur Ansiedlung neuer Bevölkerungsgruppen konnte man in der Frühen Neuzeit häufig auf Glaubensflüchtlinge und Wirtschaftsflüchtlinge aus verarmten Landstrichen zurückgreifen.

Die langwierigen Religionsauseinandersetzungen nach der Reformation waren Ursache für Flucht und Vertreibung der jeweiligen religiösen Minderheiten und führten zu starken Migrationsbewegungen über die Landesgrenzen hinweg. Viele Glaubensflüchtlinge brachten Spezialkenntnisse mit und fanden in den Städten einen neuen Wirkungskreis und damit ein neues Zuhause. Die bekanntesten Beispiele am Niederrhein sind die französischen Glaubensflüchtlinge der Hugenotten, die in Wesel anlandeten und die Mennoniten, die in Krefeld sesshaft wurden und dort der Textilproduktion zu einem nachhaltigen Aufschwung verhalfen.

Aus der Pfalz an den Niederrhein

Während die Niederlassung in den Städten auf eine bestehende Infrastruktur traf, diente die Ansiedlung auf dem Land eher der Erschließung neuer Flächen. Größere Bereiche des Niederrheins waren bis dato unkultiviert und lagen brach. Diese Areale urbar zu machen und landwirtschaftlich zu nutzen, war das Ziel preußischer Kolonisationsbestrebungen. So wurden auf beiden Seiten des Rheins pfälzische Migranten aus dem Bereich Nahe-Hunsrück angeworben, die die Königshardt bei Sterkrade und die Bönninghardt zwischen Alpen und Sonsbeck kolonisieren sollten. Beide Territorien waren ungenutzte Heidelandschaften, die keine guten Ernteerträge versprachen.

Louisendorf gehört zu den Pfälzischen Sprachinseln am Niederrhein.
Louisendorf gehört zu den Pfälzischen Sprachinseln am Niederrhein. © NRZ | NRZ

Obwohl „es eins von dem schlechtesten Erdreich ist“ und „fast den Nahmen von einem steinigen Arabien“ trägt, ließen sich die an karge Böden gewohnten Pfälzer auf diese Abenteuer ein. Trotz aller Bemühungen blieb die landwirtschaftliche Produktion jedoch mit Problemen behaftet und die Neusiedler fanden oft nur durch Nebenerwerb oder als Tagelöhner ein bescheidenes Auskommen. Ein nicht unwichtiger Nebenaspekt der gezielten Ansiedlungspolitik von Glaubensflüchtlingen bestand darin, dass auf diese Weise protestantische Inseln im katholischen Rheinland entstanden, die zunehmend eine Entschärfung der Gegensätze und eine gegenseitige Tolerierung mit sich brachten.

Ansiedlung am Niederrhein

Schon Mitte des 18. Jahrhunderts gründeten Pfälzer Auswanderer, die eigentlich über den Atlantik in die Neue Welt emigrieren wollten, die Siedlung Pfalzdorf. Aufgrund besserer Voraussetzungen konnte sich diese Siedlung schnell entwickeln und sogar im 19. Jahrhundert die Tochtergründungen Louisendorf und Neulouisendorf anlegen. In diesem Fall der Pfälzer Ansiedlungen bildeten sich neben der konfessionellen Homogenität auch Sprachinseln aus, die den Pfälzer Dialekt pflegten und bis in die jüngste Vergangenheit erhalten blieben.

Nun hingen die Kolonisationsbestrebungen am Niederrhein nicht von zufälligen pfälzischen Auswanderungsbewegungen ab. Zahlreiche weitere Orte beweisen die planmäßigen Ansiedlungsbemühungen des preußischen Staates im 18. Jahrhundert: Neudorf bei Duisburg sowie die unterschiedlichen Kultivierungsmaßnahmen auf der Schermbecker, Spellenschen, Asperdischen, Homberger und Vierbaumer Heide – um nur einige zu nennen. Sie sind das heute noch sichtbare Zeugnis für das frühneuzeitliche Credo: „In der Menge des Volckes wurzelt sich die Macht und der Reichthum eines Staates“.

>>> Siedler auf der Bönninghardt

Die ersten Siedler kamen im 18. Jahrhundert auf die Bönninghardt. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten sie in sehr armseligen Verhältnissen. Gewohnt haben sie in Erdlöchern und Plaggenhütten – einer Konstruktion aus Holzstämmen und aufgestapelten Grasplaggen.

Die Interessengemeinschaft für Geschichte und Natur in Bönninghardt hat eine solche Plaggenhütte vor rund zehn Jahren detailgetreu rekonstruiert. Sie steht in der Nähe der katholischen Kirche an der Bönninghardter Straße und kann jederzeit besucht werden.