Dinslaken. Tigerente auf der Bühne, Anna Scherer hockt daneben – Theater für Kinder und Jugendliche darf gewohnte Erwartungen überschreiten, sagt sie.

Die Burghofbühne Dinslaken spielt als Landestheater auf den Bühnen des Niederrheins – in Theatern ohne eigenes Ensemble, in Stadthallen und in Schulen und Kitas. Gut die Hälfte ihrer Inszenierungen richtet sich an Kinder verschiedener Altersgruppen und an Jugendliche. Verantwortlich für diesen Bereich ist seit 2014 die gebürtige Paderbornerin Anna Scherer (36). Seitdem wurden Produktionen des Dinslakener Kinder- und Jugendtheaters bereits drei Mal zum Westwind Festival eingeladen – was eine Auszeichnung ist. Und 2021 ging der Preis für „richtungsweisendes Kinder- und Jugendtheater in der Fläche“, den die 400 Mitglieder der Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen ausloben, an Anna Scherer und ihr Team.

Frau Scherer, wie wird man Leiterin der Sparte Kinder- und Jugendtheater? Gibt es eine entsprechende Ausbildung? Oder muss man sich dafür lediglich ein kindliches Gemüt bewahrt haben?

Ein kindliches Gemüt ist sicher hilfreich. (Lacht) Bevor ich nach Dinslaken kam, war ich Theaterpädagogin im Musiktheater am Staatstheater Mainz. Ich habe Theaterwissenschaft und Pädagogik studiert. Eine Ausbildung im Bereich Dramaturgie, Theaterwissenschaft oder Regie ist schon die Regel.

Vorhang auf - die Premieren!

Diese Stücke für Kinder und Jugendliche haben in der Spielzeit 23/24 in Dinslaken Premiere: 8. September: Oh, wie schön ist Panama von Janosch (ab 4 Jahre). 20. Oktober: Patricks Trick von Kristo Šagor (ab 8 Jahre). 21. Januar: Ich, Jonathan von Per Nilsson (ab 14 Jahre). 25. Mai: Tiere im Hotel von Gertrud Pigor (ab 4 Jahre).

Wer selbst mal auf die Bühne möchte, kann sich für drei Bürgerbühnen-Spielclubs anmelden: bjarnason@burghofbuehne-dinslaken.de

Wie können Erwachsene wissen, was Kindern und Jugendlichen gefällt? Können Sie auch mal ganz danebengreifen?

Es hilft sehr, im direkten Kontakt mit Kindern und Jugendlichen zu stehen, um mitzubekommen, welche Themen und Fragen sie gerade ans Leben und die Welt haben. Auf alles können und wollen wir natürlich keine Antworten geben. Und dann spielt sicher Erfahrung eine große Rolle: So haben wir zwar zum Glück noch nie ganz danebengegriffen. Aber zu Beginn der Zeit an der Burghofbühne haben wir doch häufiger Elemente eingebaut, die an manchen Orte super, an anderen aber deutlich schlechter funktionierten. Da ich aber aufgrund unserer kleinen Besetzung in Dinslaken jahrelang selbst unsere Stücke auf den Tourneen begleiten durfte, bekam ich immer die direkte Resonanz der Kinder und Jugendlichen mit. So konnte ich nach und nach besser einschätzen, was in welchem Rahmen gut läuft.

Anna Scherer: „Kinder sind eher bereit als Erwachsene, die realen Grenzen zu verlassen und sich Themen aus fantastischer Perspektive zu nähern.“
Anna Scherer: „Kinder sind eher bereit als Erwachsene, die realen Grenzen zu verlassen und sich Themen aus fantastischer Perspektive zu nähern.“ © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Wenn Sie ein Stück auswählen: Nach welchen Kriterien entscheiden Sie? Gibt es einen Katalog von pädagogischen Zielen, die Sie im Blick haben? Oder sagen Sie auch schonmal: Das ist einfach nur lustig – das nehmen wir?

Bei unseren Kinderstücken für die kleinen Bühnen, Kindergärten und Schulen sind wir sehr frei in der Auswahl. Hier ist die einzige Beschränkung die Besetzung, die aus maximal zwei Personen bestehen darf. Da kann ein Stück also tatsächlich auch mal einfach nur lustig sein. Beim großen Märchen sind wir noch immer stark auf bekannte Stoffe angewiesen, wobei wir uns auch da wie zum Beispiel mit „Tiere im Hotel“ von Gertrud Pigor in dieser Spielzeit mal an was Neues, Unbekannteres trauen. Den pädagogischen Katalog gibt es aber trotzdem, nämlich im Jugendtheater.

Diese Sparte hat es leider recht schwer, ohne ein pädagogisches Überthema gebucht zu werden. Das ist schade, weil es sich bei den Jugendlichen um die Zielgruppe handelt, denen ich Theater auch gerne in seiner künstlerisch-kreativen Lust und Freiheit näherbringen möchte. Das müssen dann die Inszenierungen leisten.

Jugendliche – erst recht pubertierende – sind sicherlich noch um einiges schwerer zu begeistern als Kinder?

Ich glaube, dass viele Jugendliche oft mit der Erwartung ins Theater gehen, dass dort alles weit von ihnen entfernt ist, und dass man ihnen obendrein auch noch mit pädagogischen Themen die Welt erklären will. Wenn man es aber schafft, mit diesen Erwartungen aufzuräumen und ihnen die Möglichkeit bietet, sich mit Figuren oder Themen zu identifizieren und sie und ihre Perspektive ernst nimmt, hat man ganz gute Karten.

Und was begeistert Kinder?

Ebenfalls die Themen, die in ihrem Lebensalltag relevant sind. Kinder sind dabei eher bereit, die realen Grenzen zu verlassen und sich Themen aus fantastischer Perspektive zu nähern. Aber auch sie kann man meiner Erfahrung nach am meisten begeistern, wenn man für sie Gewohntes und Erwartbares überschreitet und sie zu überrascht.

Kinder haben Eltern, die sind oft sehr kritisch. Gab es schon mal Ärger?

Es haben sich schon mal Eltern oder Lehrer:innen beispielsweise über Schimpfwörter beschwert, die für die Kinder oder Jugendlichen laut eigener Aussage aber Alltagssprache waren. Aber das kommt zum Glück ausgesprochen selten vor.

Sie arbeiten für ein Landestheater, das vor allem auf Tournee geht. Beeinflusst das Ihre Entscheidungen für ein Stück, bei der Regie?

Ja. Beide brauchen eine große Flexibilität, Kreativität und Unabhängigkeit von äußeren Bedingungen, technischen Möglichkeiten und Bühnenzauber. Unsere Stücke müssen zum Teil komplett mit Bühnenbild, Kostümen und Ensemble in einen Sprinter passen und gleichermaßen in der Kita-Turnhalle ohne alles und in der vollausgestatteten Studiobühne funktionieren. Das ist herausfordernd.

Wenn Sie an die Burghofbühne denken: Was kommt Ihnen da zuallererst in den Sinn?

Unser Innenhof als Symbol für eine große familiäre Herzlichkeit und die Fähigkeit und Lust, als Team unter herausfordernden Bedingungen Kunst zu schaffen.

Sie haben einige Erfolge zu verzeichnen – zieht es Sie da nicht manchmal an eine „große“ Bühne in einer „großen“ Stadt?

Zunächst einmal handelt es sich bei diesen Erfolgen ja um Teamleistungen. Davon abgesehen hätte die Rückkehr an ein größeres Haus und in eine größere Stadt natürlich ihren Reiz. Ich habe aber die Burghofbühne mit ihren Menschen, Strukturen und Möglichkeiten so schätzen gelernt, dass ich die Frage mit einem klaren Nein beantworten kann. Gerade auch mit Familie würde ich im Moment an keinem anderen Theater lieber arbeiten.

Sie haben eine vierjährige Tochter. Hat sie schonmal ein Stück von Ihnen gesehen? Und wie hat sie reagiert?

Ihre erste Premiere hat sie mit drei Wochen gesehen und seitdem jedes unserer Kinderstücke. Zum Glück hat sie alle geliebt, auch wenn sie noch nicht unserer Zielgruppe entsprach. Ich freue mich aber sehr, dass sie da nun voll drin liegt. Wer allerdings inszeniert hat, ist ihr herzlich egal.

>>> Vorhang auf!

Diese Stücke für Kinder und Jugendliche haben in der Spielzeit 23/24 in Dinslaken Premiere: 8. September: Oh, wie schön ist Panama von Janosch (ab 4 Jahre). 20. Oktober: Patricks Trick von Kristo Šagor (ab 8 Jahre). 21. Januar: Ich, Jonathan von Per Nilsson (ab 14 Jahre). 25. Mai: Tiere im Hotel von Gertrud Pigor (ab 4 Jahre).

Wer selbst mal auf die Bühne möchte, kann sich für drei Bürgerbühnen-Spielclubs anmelden: bjarnason@burghofbuehne-dinslaken.de