An Rhein und Ruhr. Jede vierte Kommune in NRW hat im vergangenen Jahr den Hebesatz für die Grundsteuer B erhöht. Scharfe Kritik daran übt der Bund der Steuerzahler.

Jede vierte Kommune in Nordrhein-Westfalen hat im vergangenen Jahr den sogenannten Hebesatz für die Grundsteuer B erhöht und damit mehr Geld von Immobilienbesitzern verlangt. Dies geht aus einer am Montag veröffentlichten Auswertung der Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young) hervor. Demnach erhöhten 26 Prozent aller 396 Städte und Gemeinden den Faktor, mit dem die genaue Grundsteuerhöhe ermittelt wird. Als Hauptgründe für Anhebungen sehen EY-Experten eine schlechte Finanzsituation vieler Kommunen sowie Kostensteigerungen, die weitergegeben würden.

„Grundsteuer-Erhöhung nur als letztes Mittel“

Kritik daran, dass viele Städte und Gemeinden an der Steuerschraube drehen, übt der Bund der Steuerzahler (BdSt) NRW. „Wir sehen es als äußerst problematisch an, dass es aktuell eine Welle an Erhöhungen gibt“, berichtet Jens Ammann, Fachmann für öffentliche Finanzen beim BdSt. „Das Mittel der Grundsteuer-Erhöhung sollte nur dann zum Einsatz kommen, wenn alle anderen Einsparpotenziale bereits ergriffen wurden.“ Und dies sehe Ammann eben nicht. „Darum beobachten wir die Entwicklung mit Sorge.“

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NRW-weit lag der Hebesatz-Durchschnitt am Jahresende bei 595 Prozent. Das bevölkerungsreichste Bundesland hatte damit bundesweit den mit Abstand höchsten Wert vor Hessen (495 Prozent) und dem Saarland (446 Prozent). Deutschlandweit lag der Durchschnitt unter den Flächenländern 2022 bei 391 Prozent.

Von allen Grundbesitzern erhoben

Der Hebesatz wird von der Kommune selbst bestimmt und kann sich jährlich verändern. Die Grundsteuer B wird von allen Grundbesitzern erhoben, die nicht der Land- und Forstwirtschaft (Grundsteuer A) angehören. Vermieter können die Grundsteuer als Betriebskosten auf Mieter umlegen. Die Grundsteuer zählt zu den wichtigsten Einnahmequellen der Städte und Gemeinden. Die Erhebung dieser Steuer wird derzeit reformiert.

Auch der Hebesatz-Anstieg war in NRW am höchsten. Der Durchschnittswert lag Ende 2022 13,1 Prozentpunkte über dem Vorjahreswert. In Hessen stieg der Landesschnitt um 12,6 Prozentpunkte.

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„Rechtlich können sich die Bürgerinnen und Bürger gegen eine Anhebung der Grundsteuer nicht wehren“, führt BdSt-Experte Ammann an. „Aber sie können vor Ort an Gemeinde- oder Stadtverordnete schreiben, selbst Sparvorschläge in die politischen Gremien einbringen.“ In einigen Kommunen gebe es zudem Bürgerhaushalte, bei den Bürgerinnen und Bürger direkt an der Aufstellung des Haushalts beteiligt werden.

Personalbestand sei in Verwaltungen angestiegen

Grundlegend sei der Personalbestand in den öffentlichen Verwaltungen in den vergangenen Jahren deutlich angewachsen. „Es wird dabei gerne auf zusätzliche Aufgaben verwiesen, die etwa Kommunen zu erfüllen hätten. Aus unserer Sicht greift diese Argumentation aber nicht, zumal es ja auch finanzielle Zuwendungen vom Bund und vom Land gab.“ Ammann fordert so eine stärker Haushaltsdisziplin ein. „Investitionen müssen auf den Prüfstand gestellt werden.“ So sei es etwa bedenkenswert, wenn eine Stadt wie Oberhausen, die über zwei Milliarden Euro Schulden aufweist, für sieben Millionen Euro ihren Ratssaal renoviert.

Jens Ammann, Bund der Steuerzahler NRW, ist Experte für öffentliche Finanzen. Er kritisiert eine Anhebung der Grundsteuer-Hebesätze.
Jens Ammann, Bund der Steuerzahler NRW, ist Experte für öffentliche Finanzen. Er kritisiert eine Anhebung der Grundsteuer-Hebesätze. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

„Viele Kommunen haben in den guten Jahren ihren Schuldenberg nicht abgetragen. Jetzt werden viele Kämmerinnen und Kämmerer in Zeiten von steigenden Zinsen Schwierigkeiten bekommen“, so Ammann. Bevor zum 1. Januar 2025 das neue Grundsteuerrecht Anwendung findet, rechnet der Finanzexperte damit, dass noch zahlreiche Kommunen die Grundsteuer erhöhen werden.

Kommunen sind „chronisch unterfinanziert“

Erst kürzlich hatte der Städte- und Gemeindebund NRW auf eine aus ihrer Sicht bestehende „chronische Unterfinanzierung“ der NRW-Kommunen verwiesen. „Auch Gemeinden ohne hohen Schuldenstand geraten zunehmend in Schieflage. Nur noch 22 Prozent der von uns befragten Kommunen konnten einen strukturell ausgeglichenen Haushalt vorweisen, also ihre Ausgaben durch laufende Erträge decken. Im Vorjahr waren es noch doppelt so viele“, betonte Hauptgeschäftsführer Christof Sommer bei der Vorstellung einer Haushaltsumfrage unter den Kommunen.

„Fast vier von fünf Gemeinden sehen sich gezwungen, auf finanzielle Reserven zurückzugreifen, um reguläre Ausgaben abdecken zu können“, so Sommer. „Damit wird die Ausnahme zum Normalfall. Das kann so nicht richtig sein“, kritisierte der Hauptgeschäftsführer des kommunalen Spitzenverbandes.

Harte Kritik aus Reihen der SPD an der Landesregierung

„Mit ihrer Politik auf dem Rücken der Städte und Gemeinden wird die Landesregierung zum Steuertreiber in NRW“, sieht der finanzpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Alexander Baer, Schwarz-Grün in der Verantwortung.

„Wenn Herr Wüst den Kommunen fast 800 Millionen Euro beim Kommunalen Finanzausgleich aus der Tasche zieht, muss er sich nicht wundern, wenn den Kommunen keine andere Möglichkeit ihre Aufgaben zu erfüllen, ohne Steuern zu erheben einfällt“, so Baer. Nach Berlin zu zeigen reiche nicht. „Und wir befürchten, dass das Ende dieser Steuerspirale noch nicht erreicht ist.“

Die hohen Tarifabschlüsse für die kommunalen Beschäftigten, die Baer begrüßt, würden die Städte und Gemeinden vor große Herausforderungen stellen. „Wir haben dafür im Mai ein Rettungspaket des Landes beantragt, das die schwarz-grüne Koalition niedergestimmt hat.“

Ralf Witzel (FDP) kritisiert, dass Kommunen die Neuberechnung der Grundsteuer dazu genutzt werde, möglichst unauffällig Mehreinnahmen zu erzielen.
Ralf Witzel (FDP) kritisiert, dass Kommunen die Neuberechnung der Grundsteuer dazu genutzt werde, möglichst unauffällig Mehreinnahmen zu erzielen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann Funke Foto Services

„Aktuelle Erkenntnisse bestätigen die von uns schon früher geäußerte Befürchtung, dass viele Kommunen dazu neigen, ihre kommunalen Hebesätze im Windschatten der Grundsteuerreform zu erhöhen“, bewertet Ralf Witzel, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im NRW-Landtag. „Wir halten das für falsch. Das ist ein Wortbruch beim Versprechen der Aufkommensneutralität.“

Kommunen erzielen unauffällig Mehreinnahmen

Die Neuberechnung der Grundsteuer nach dem „völlig intransparenten hochbürokratischen Scholz-Modell“ würde aber genutzt, um möglichst unauffällig Mehreinnahmen zu erzielen. Dabei haben nordrhein-westfälische Kommunen schon mit die höchsten Steuersätze bundesweit.“ Die Finanzlage vieler Bürger sei in Zeiten der Inflation ebenso herausfordernd wie die vieler Kommunen, erklärt der FDP-Politiker. „Etliche Menschen müssen heute mehr sparen, das sollten dann auch die Kommunen machen.“

Es gab auch NRW-Kommunen, die den Hebesatz senkten. Die EY-Experten verzeichneten bei insgesamt zwei Prozent aller Städte und Gemeinden einen niedrigeren Hebesatz als ein Jahr zuvor. Unter den zehn Kommunen mit den 2022 bundesweit höchsten Hebesätzen belegten Städte und Gemeinden aus NRW die Plätze 5 bis 10: Hürtgenwald (950), Bönen (940), Altena (910), Nörvenich (910) und Witten (910). Die Gemeinde Verl hatte 2022 NRW-weit mit 190 Prozent den niedrigsten Hebesatz.