Emmerich/Rees. Vor zehn Jahren wurde Deichfrühwarn-System mit Sensoren bei Rees-Haffen getestet. Jetzt will Deichverband Siemens-Projekt erneut zum Thema machen.

Nach der Flut ist vor der Flut – keine neue Erkenntnis, sollte man meinen. Dennoch beschäftigte sich jüngst der Arbeitskreis für Hochwasserschutz in NRW mit diesem Thema bei seiner Mitgliederversammlung in Rees-Bienen. Die Flut-Katastrophe vom Ahrtal hatten wohl alle 40 Teilnehmer noch vor Augen. „Es geht uns hier um Knowhow-Transfer, also Wissens-Transfer“, sagt Holger Friedrich vom Deichverband Bislich-Landesgrenze. Er ist Vorsitzender des Arbeitskreises – und hätte dazu gerne einen Siemens-Vertreter als Gast begrüßt. Hat der Technologie-Konzern doch ein digitales Frühwarnsystem auch für den Deichschutz entwickelt – und das bereits vor zehn Jahren.

„Leider hat das wegen der Kurzfristigkeit nicht gepasst“, sagt Friedrich, der das System sehr gut kennt. Denn immerhin war der Deichverband damals Projekt-Partner, als Siemens zwischen Rees und Haffen auf einer etwa 200 Meter langen Strecke seine Sensoren in den alten Deich eingelassen hatte. „Das Projekt kann man als ‘Smarter Deich’ bezeichnen“, meint Friedrich, in Anlehnung an Handys.

Frühwarnsystem für Deiche wurde erfolgreich in den Niederlanden umgesetzt

Denn das Besondere beim Frühwarn-System, das Siemens erfolgreich schon in den Niederlanden umgesetzt hat: „Man schaut in den Deich hinein und erkennt Schwachstellen, etwa ob es eine Wassersättigung gibt, Verformungen oder Bewegungen im Deich-Inneren“, erklärt Bernhard Lang, zuständiger Ingenieur bei Siemens in München. Dann würden die zuständigen Stellen im Fall bei Hochwasser sogar minütlich über die potenzielle Gefahrenlage informiert, auch via Handy, und könnten rechtzeitig Maßnahmen ergreifen, bis hin zu Evakuierungen.

Der Deich zwischen Haffen und Bislich beim Hochwasser im Frühjahr.
Der Deich zwischen Haffen und Bislich beim Hochwasser im Frühjahr. © Unbekannt | Deichverband Bislich-Landesgrenze

Das Projekt in Rees wurde nach fünf Jahren abgebrochen, auch weil es in dieser Zeit kein Hochwasser gegeben habe, sagt Deichverband-Geschäftsführer Friedrich. Entsprechend fehlten fundierte Daten, wie das System auf den Wasserdruck gegen den Deich reagiert hätte. Außerdem habe es für Siemens keine EU-Mittel mehr gegeben, um es fortzusetzen. Die Wirtschaftlichkeit war nicht mehr gegeben.

Projekt sollte auch zwischen Emmerich und Rees eine neue Chance erhalten

Dennoch glaubt er, dass dieses Frühwarnsystem gerade nach der Flutkatastrophe in NRW eine neue Chance erhalten sollte. „Bei allen Chancen sehe ich natürlich auch die Risiken. Das hat die Katastrophe im Ahrtal gezeigt, wo man sich in einem Fall nur auf die Technik verlassen hatte – mit fatalen Folgen“, ist sich Holger Friedrich bewusst.

Nikolai Müggenborg zeigt die Risse im Deich, die sich auf Grund der Dürre in den trockenen Sommern gebildet hatten. Sie sind mittlerweile behoben.
Nikolai Müggenborg zeigt die Risse im Deich, die sich auf Grund der Dürre in den trockenen Sommern gebildet hatten. Sie sind mittlerweile behoben. © Unbekannt | Deichverband Bislich-Landesgrenze

Weiter als in Deutschland war man übrigens in Sachen Frühwarnsystem in den Niederlanden. Hier hatte Siemens seine Technik von 2014 bis 2015 in einen Deich bei Rotterdam eingesetzt. „Der Deich war alt und sollte überwacht werden, bis zum Bau des neuen“, weiß der Mann vom Deichverband. So konnte der Deich, für den das Waternet Amsterdam zuständig ist, per Smartphone auf seinen Zustand hin überwacht werden.

Siemens-Fachmann wird eingeladen

Interessant, so Friedrich, sei das System auch mit Blick auf die eigenen, neuen Deiche. „Wir wissen ja gar nicht, wie sich die extremen Klimaverhältnisse in den nächsten Jahren auf die sanierten Deiche auswirken“, gibt er zu bedenken. Und nennt als Beispiel die Risse, die man durch die trockenen Jahre entdeckt hatte. Die seien aber dank der Schafbeweidung auf den Deichen wieder beseitigt. „Das hat auch ein geologisches Gutachten bestätigt, das wir sicherheitshalber in Auftrag gegeben hatten“, betont er. Die Schafe, die die Grasnarbe verdichten, seien mithin „die beste Medizin für die Deiche“.

Thomas Ising vom Fachbereich Technik und Außendienst vom Deichverband Bislich-Landesgrenze im Einsatz mit dem  geländegängige Fahrzeug.
Thomas Ising vom Fachbereich Technik und Außendienst vom Deichverband Bislich-Landesgrenze im Einsatz mit dem geländegängige Fahrzeug. © FUNKE Foto Services | Arnulf Stoffel

Auf jeden Fall sollte man dieser neuen Technologie eine Chance geben, findet Holger Friedrich. Wohl wissend, dass eine Ausstattung damit teuer würde, „selbst wenn es Fördermittel geben sollte“. Den Fachmann von Siemens will er jedenfalls zur nächsten Sitzung des Arbeitskreises für Hochwasserschutz und Gewässer NRW, so der Titel, zu dem neuerdings auch die Stadt Köln gehört, einladen. Dieses Treffen, bei dem auch Wasser- und Bodenverbände dabei sind, soll möglichst noch in diesem Jahr stattfinden.

Entwicklung nicht verschließen

Denn Holger Friedrich weiß: Je länger eine Katastrophe zurückliegt, desto geringer werden die Anstrengungen im (vorbeugenden) Kampf gegen solch dramatische Ereignisse. „Vor zehn Jahren waren Begriffe wie ‘Smarter Deich’ böhmische Dörfer, nicht nur für mich. Jetzt in Zeiten der Digitalisierung nicht mehr“, wirbt er dafür, sich dieser Entwicklung jedenfalls nicht zu verschließen.

>>>Daten werden mit Langzeitwerten verglichen

Das Waternet Amsterdam, Pilotkunde des Deichmonitorings von Siemens und Betreiber des nördlichen Trink- und Abwassernetzes und des Deichschutzes, ist verantwortlich für mehr als 1000 Deichkilometer im Großraum Amsterdam. Auf den 700 Quadratkilometern Land dahinter leben mehr als eine Million Menschen. Je nach Material des Deiches wurden diese bisher alle fünf bis 30 Jahre gewartet.

Alle paar Jahre machten Experten eine Begehung und versenkten Messgeräte im Boden. Heute sind Informationen in Echtzeit auf dem Smartphone verfügbar. Erhoben werden die Daten von Sensoren, die etwa alle 100 Meter im Deich versenkt und über und unter der Oberfläche von Wasserläufen installiert werden.

Sie messen Temperatur, Druck und Feuchtigkeit im Deich, Wasserstand und Wassertemperatur im Kanal und senden die Ergebnisse via GPRS-Mobilfunk an eine Zentrale, wo die Daten aufbereitet und mit Langzeitzwerten verglichen werden. Wenn etwa plötzlich 14 Grad Innentemperatur im Deich gemessen werden, könnte das ein Hinweis sein, das ein Bruch droht.