An Rhein und Ruhr. Mehr verletzte Tiere, weniger Helfer erschweren die Arbeit der Tierschützer in den Greifvogelstationen. Wie das NRW-Umweltministerium reagiert.

Hedwig ist es wohl schon zu spät an diesem Morgen. So recht will sich die nachtaktive Schleiereule nicht fotografieren lassen. Schwups ist sie in ihrem Unterschlupf in der Voliere verschwunden. Dabei ist Hedwig Menschen gewöhnt. Im Gegensatz zu ihrem Mitbewohner, einem vier Monate alten Jungtier, das mit einer Augenverletzung entkräft gefunden wurde und nun von Biologin Petra Sperlbaum aufgepäppelt wird, ist Hedwig eine „Lehreule“. Und als solche auch schon mal in den Kindergruppen des Naturschutzbundes im Kreis Wesel zu Gast ist. Dessen Vorsitzender Peter Malzbender führt mit Petra Sperlbaum die Greifvogelstation in der Schillkaserne in Wesel. Vor wenigen Monaten hat sich der langjährige Leiter der Auffangstation für verletzte Raubvögel, Karl-Heinz Peschen, mit über 80 Jahren aus diesem Ehrenamt zurückgezogen. Es ist nicht einfach für den Naturschutzbund, die Arbeit personell weiterzuführen.

Veränderte Anforderungen an die Ehrenamtler

Nicht nur, dass es schwierig ist, Tierfreunde zu finden, die diese Arbeit ehrenamtlich übernehmen würden. „Es haben sich die Anforderungen an sie verändert“, erklärt Peter Malzbender. Er und Petra Sperlbaum haben einen Jagdschein und einen „staatlich geprüften Sachkundenachweis für die fachgerechte Haltung von Greifvögeln und Eulen“ machen müssen. Das kostet Zeit. Die Antworten auf 2700 Fragen galt es zu wissen. „Die Pflege von Wildtieren darf nicht jeder einfach so übernehmen. Wenn Privatleute sie aufnehmen, ist das schwierig. Die Tiere müssen gemeldet werden“, sagen beide. Dies könnte, so Peter Malzbender, mit ein Grund dafür sein, „dass immer mehr Greifvogelstationen in NRW zumachen.“ Genaue Zahlen darüber gibt es nicht. „Aber uns werden längst nicht mehr nur Tiere aus dem Kreis Wesel gebracht, sondern auch aus Dülmen, Duisburg, Duisburg oder Dortmund“, sagt Petra Sperlbaum.

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Auch das NRW-Umweltministerium hatte jetzt in einem Bericht zur „Situation der Greifvogelstationen in NRW“ aufgezeigt, „dass sich bei den ehrenamtlichen Betreibern der Greifvogelauffangstationen ein Generationswechsel vollzieht“ und „nicht genügend Ehrenamtliche für die Aufgaben gefunden werden können.“ Daher werde im Ministerium mit der Tierschutzbeauftragten des Landes „ein Fachkonzept erarbeitet, wie das Ehrenamt fachlich als finanziell bei dieser Aufgabe unterstützt werden kann“, heißt es in dem von Umweltminister Oliver Krischer unterzeichneten Bericht.

Greifvogelauffangstationen erfüllten eine wichtige gemeinnützige Aufgabe unter dem Aspekt des Tier- und Artenschutzes. Eine genaue Zahl, wie viele ehrenamtliche Einrichtungen sich um hilflose Greifvögel kümmern, gebe es nicht. Auch Zoos, Tiergärten oder die Kreisjägerschaften kümmerten sich um die Tiere. Aus dem Landesnaturschutzhaushalt werden derzeit vier Greifvogelauffangstation in NRW mit zusammen 125.000 Euro für die Unterhaltung der Volieren, Futter, Tierarztkosten, Medikamente, Strom, Wasser und Fahrtkosten gefördert. Das Umweltministerium prüft, wie ein möglichst alle Regierungsbezirke abdeckendes Netz von fünf bis sechs zertifizierten Greifvogelstationen aufgebaut werden kann.

Führen die Greifvogelstation im Kreis Wesel: Peter Malzbender, Vorsitzender des Nabu im Kreis Wesel, mit einem jungen Steinkautz auf der Hand, der aufgepäppelt werden muss, und die Biologin Britta Sperlbaum mit der „Lehreule“ Hedwig auf dem Arm.
Führen die Greifvogelstation im Kreis Wesel: Peter Malzbender, Vorsitzender des Nabu im Kreis Wesel, mit einem jungen Steinkautz auf der Hand, der aufgepäppelt werden muss, und die Biologin Britta Sperlbaum mit der „Lehreule“ Hedwig auf dem Arm. © FUNKE Foto Services | Foto: Olaf Fuhrmann

In der Weseler Auffangstation werden bis zu 300 Tiere pro Jahr aufgenommen, behandelt und für die Auswilderung vorbereitet. Nicht alle schaffen es aber. „Leider sind viele Tiere viel zu entkräftet, wenn sie gefunden oder gemeldet werden“, sagt Petra Sperlbaum. Sie appelliert: „Wer einen verletzten Vogel findet, sollte uns sofort informieren. Und wer nicht unsere Nummer hat, kann die Polizei anrufen, die hat den Kontakt zu uns“, erklärt die Voerderin.

Schnelle Hilfe ist wichtig

Jüngst hatte eine Dame einen verletzten Mäusebussard, „unser häufigster Gast“, gemeldet, der wohl seit vier Tagen entkräftet in einem Garten saß. Nach zwei Tagen in der Auffangstation ist er verstorben. „Das zieht einen runter, weil die Vögel es meistens schaffen würden, wenn sie schnell Hilfe bekommen“, sagt die Tierschützerin, die unzählige Stunden ihrer Freizeit in die Tierrettung investiert. Und die Zahl der verletzten Fundtiere steigt. Nicht nur in der Auffangstation im Kreis Wesel. So ist beispielsweise bei der Bergischen Greifvogelhilfe in Rösrath die Zahl der Vogelaufnahmen von 135 im Jahr 2014 und 249 im Jahr 2017 auf 530 Tiere im Jahr 2021 angestiegen, wie aus dem Bericht des Umweltministeriums hervorgeht.

„Bei 365 Tagen im Jahr in der Bereitschaft kommt da was an Stunden zusammen. Es muss jeden Tag einer in der Voliere sein“, sagt Peter Malzbender. Der nächste auf Greifvögel spezialisierte Tierarzt ist in Düsseldorf. „Mit der Fahrt und Behandlungszeit gehen schon mal gerne 6 Stunden drauf“, rechnet Petra Sperlbaum vor. Deshalb möchte sie ein Netz mit Ehrenamtlern aufbauen, „die beim Abholen der Tiere und Fahrten zum Tierarzt helfen.“ Und eigentlich müsste auch eine Halbtagsstelle vom Land finanziert werden, findet Petra Sperlbaum. Hedwig hat es sich derweil überlegt und ihren Unterschlupf verlassen. Stolz schaut sie in die Kamera, scheinbar wissend, dass sie eine Hübsche ist.

Wer einen hilflosen Greifvogel oder eine Eule findet, kann sich am Niederrhein an die Auffangstation im Kreis Kleve (www.greifvogelstation-niederrhein.de) oder die Greifvogelstation des Nabu in der Schill-Kaserne im Kreis Wesel (www.nabu-wesel.de, 0157-72 15 03 72 - P. Malzbender, 0172-955 31 76 - P. Sperlbaum) wenden – und die Polizei und Feuerwehr.