Kreis Wesel/Xanten. Seit 2017 hat das einzige Seeadlerpaar in NRW neun Junge großgezogen. Ein Artgenosse hat es jetzt angegriffen und vertrieben.
Stolz wirbt der Kreis Wesel damit, das einzige brütende Seeadlerpaar in NRW zu beherbergen, auf der Bislicher Insel in Xanten. Dort hat sich jetzt ein Naturdrama abgespielt: Ein Artgenosse hat das brütende Paar attackiert, die Jungtiere vermutlich getötet.
Eigentlich fing das Jahr gut an, „die Ader haben den Horst renoviert, gebalzt und Ende Februar mit der Brut begonnen“, sagt Dr. Ilka Weidig, Leiterin des RVR-Naturforums Bislicher Insel. Anfang April ist das erste Jungtier geschlüpft – Palmsonntag war die Idylle bei den seltenen Greifvögeln vorbei. Was den Adlerliebhabern, die aus dem ganzen Kreis und darüber hinaus zur Bislicher Insel pilgern, um die majestätischen Tiere zu beobachten, grausam vorkommt, ist in der Natur nicht ungewöhnlich: Ein ausgewachsener männlicher Seeadler hat das Revier für sich beansprucht. Er griff das Brutpaar an.
Die Jungen konnten nicht überleben
„Beide Partner sind vertrieben worden“, erläutert Weidig, die nicht glaubt, dass die Jungen überlebt haben. Es wäre normal, wenn der Eindringling die Kleinen – zwei waren gesehen worden – getötet hätte. „Falls nicht: Zu der Zeit hatten wir noch zwei bis drei Grad in der Nacht. Das überleben sie nicht, sie müssen warm gehalten werden.“ Schlimm sei das nicht, „es ist einfach Natur“. Revierkämpfe, Verletzungen, ja sogar der Tod seien normal.
Weidig sieht das Geschehen positiv. „Die Bislicher Insel ist ein so attraktives Revier, dass sich die Seeadler sogar darum streiten.“ Woher der Eindringling gekommen ist, kann niemand sagen. Er ist beringt, aber das hilft nicht weiter - kaum jemand wird ihm nahe genug kommen. „Adler sind große Tiere, sie legen riesige Strecken zurück“, erläutert sie. Der Vogel könnte von der Küste stammen, aber genauso gut aus den Niederlanden, Finnland oder Osteuropa gekommen sein.
Junge Seeadler bleiben ein Jahr bei ihren Eltern, dann werden sie flügge und verlassen den Horst, erläutert die Fachfrau. Es folgen drei bis vier Jahre, in denen die Jungvögel durch die Welt ziehen. Erst dann sind sie ausgewachsen, suchen ein eigenes Revier.
Wie es jetzt weiter geht, ist völlig offen
Wie geht es jetzt weiter auf der Bislicher Insel? Unklar ist, ob das Männchen noch allein ist. „Bei Adlern sucht der Mann ein Territorium, das war beim ersten Paar auch so, die Frau hat er dann im Schlepptau“, erläutert Weidig. Es sei bereits ein zweites Tier gesehen worden. „Es gibt gute Chancen, dass es im nächsten Jahr wieder eine Brut auf der Bislicher Insel gibt“, sagt die Chefin des Naturforums.
Und das vertriebene Adlerpaar? „Es ist denkbar, dass das Weibchen einen neuen Partner findet. Aber auch, dass es verletzt ist oder nicht mehr lebt. Das alte Paar könnte sich wiederfinden und woanders brüten, alles ist möglich, nachdem die Brut so massiv gestört worden ist.“ Es könnte auch versuchen, sein altes Revier zurück zu erobern. „Wir machen gar nichts“, sagt Weidig, „wir beobachten“.
Neun Junge hat das Paar großgezogen, seit es sich 2017 auf der Bislicher Insel niedergelassen hat. „Aus Sicht der Natur ist das sensationell erfolgreich“, so die Biologin. Krankheiten, andere Greifvögel, das Wetter oder Futtermangel können die Ursachen für Misserfolge sein. Auf der Bislicher Insel gab es in fünf Jahren nur einen Ausfall - 2020, als ein Hund die Brut störte.