Krefeld. In der Krefelder Buchhandlung „Rheinschmökern“ können Gäste eine ganze Nacht lang lesen – und falls die Augen zufallen sollten: auch schlafen.
Kurz vor Mitternacht öffnet sich knarzend die Tür zur Krefelder Buchhandlung „Rheinschmökern“. Wir halten kurz die Luft an, lauschen angespannt dem geschäftigen Umherräumen, bis nach wenigen Minuten wieder Stille eintritt und wir beruhigt weiterschlafen können. Ja, so eine Nacht inmitten von Büchern kann ganz schön aufregend sein… Doch von vorn.
Es ist 18 Uhr, Ladenschluss. Allerdings verrät ein Zettel an der Tür bereits, dass hier nicht so schnell die Lichter ausgehen werden: „Wir haben heute Gäste über Nacht!“ Genau – uns: Zarah und ich haben während unseres Germanistik-Studiums sowie in unzähligen Lesekreis-Runden über Werke von Ernest Hemingway über Bov Bjerg bis hin zu Sophie Passmann gefachsimpelt und fühlen uns top vorbereitet auf dieses kleine Experiment. Noch.
Blümchentapete und Holzboden
Anja Choinowski begrüßt uns mit einem strahlenden Lächeln und erklärt sofort, wieso die Info am Eingang so wichtig ist: „Damit die Polizei euch nicht verhaftet, wenn sie hier drinnen Licht sieht.“ Das ist definitiv in unserem Sinne. Und weil es noch einiges mehr zu beachten gibt, führt sie gleich weiter durch den kleinen, gemütlichen Laden mit Blümchentapete und Holzboden. Lesen dürfen wir alles, das stellt sie sofort klar. „Auch die eingeschweißten Bücher könnt ihr aufmachen.“
Aber bitte nicht mit pizzaverschmierten Fingern durch die Seiten blättern! „Nur oben essen und die Bücher einfach so behandeln, wie man es tagsüber auch machen würde.“ Bislang hat die 40-Jährige aber durchweg gute Erfahrungen mit ihren Gästen gemacht. Und es waren schon einige, die in ihrer Buchhandlung geschlafen haben. „Nur Bücher zu verkaufen, reicht heutzutage nicht mehr“, sagt sie. Lesen muss zum Erlebnis werden, deshalb bietet sie seit Dezember die besonderen Übernachtungen an.
Nächtlicher Besuch
Aber fehlt zum Übernachten… nicht ein Bett? „Ich rechne kaum damit, dass die Leute hier schlafen“, sagt Anja Choinowski und lacht. „Wobei das ganz unterschiedlich ist. Manche gehen um 11 Uhr ins Bett und einer hat wirklich mal eine Nacht durchgemacht.“ Okay, wir sind motiviert, aber so sehr? Nee, nur keine Sorge, oben können wir uns aufs Schlafsofa fallen lassen, wenn die Augen irgendwann zufallen. Und dort drüben, da ist der Erste-Hilfe-Koffer. „Falls ihr euch an den Papierseiten schneidet.“
Damit ist doch eigentlich alles geklärt, oder? Nicht ganz. „Was euch vielleicht wundern könnte“, sagt die Krefelderin, „nachts werden Bücher geliefert. Der Fahrer kommt dazu irgendwann rein und tauscht die leeren Kisten gegen volle aus.“ Also nicht erschrecken! Aber bis es soweit ist, haben wir noch viel Zeit und die möchten wir natürlich möglichst effektiv nutzen. Zarah hat sich schon vorher überlegt, was sie lesen möchte. Ich dagegen streife etwas planlos an den vollen Regalen vorbei.
Auf literarischer Entdeckungsreise
„Tagsüber schauen die meisten nur auf die Auslage der Bestsellerliste, weil sie keine Zeit haben“, sagt Anja Choinowski. „Dabei kaufen wir so viele Schätze ein, die alle erst entdeckt werden müssen.“ Das kann auch schon mal ein Nusskochbuch sein oder ein wunderschön illustriertes Werk über „Alle Farben des Lebens“. Letzteres ist übrigens der persönliche Geheimtipp der Chefin, aber mehr verrät sie jetzt wirklich nicht mehr. Schließlich sollen wir selbst auf Entdeckungsreise gehen.
Da stehen wir nun, inmitten unzähliger Bücher, von denen jedes einzelne uns in eine andere, spannende Welt entführen könnte. Wo anfangen? Und wie aufhören? Plötzlich fühlen wir uns doch nicht mehr ganz so gut vorbereitet. Zarah wirft ihren sorgsam geschmiedeten Plan über den Haufen, schnappt sich stattdessen „Fremde Freunde“ von Max Küng und setzt sich auf den Boden. „Das brauche ich gerade.“ Alles klar, ich mache es mir lieber mit Haruki Murakamis „Erste Person Singular“ im grünen Sessel bequem.
Zwischen Mariana Leky und Ferdinand von Schirach
Wir versinken in den Geschichten, reißen uns gegenseitig nur raus, wenn wir eine besonders schöne Textstelle gefunden haben, die wir laut vorlesen. Kurzgeschichten, das merken wir schnell, eignen sich für diese Nacht besonders gut. Nach einer abgeschlossenen Erzählung fällt das Buch-aus-der-Hand-Legen nicht ganz so schwer. Und jetzt? „Hat Gillian Flynn eigentlich etwas Neues geschrieben?“ Zarah schaut mal eben im Regal nach, ganz schön praktisch, direkt an der Quelle zu sitzen.
Doch irgendwann, zwischen Mariana Leky und Ferdinand von Schirach überfällt sie uns doch, die Müdigkeit. Wir wollen es nicht, aber können nicht anders und wandern mit einem Berg Bücher unterm Arm nach oben. Ein paar Seiten schaffen wir noch, der Thriller ist aber eigentlich viel zu spannend, dann knipsen wir das Nachtischlämpchen aus und fallen in einen tiefen Schlaf, der nur kurz unterbrochen wird vom Geräusch einer knarzenden Tür…
>>> Eine Nacht in der Krefelder Buchhandlung „Rheinschmökern“
Wer nun Lust bekommen hat, selbst mal eine Nacht in der Buchhandlung „Rheinschmökern“, Alte Krefelder Straße 17, zu verbringen, kann sich bei Anja Choinowski melden unter 02151/9311888 oder info@rheinschmoekern.de. Allerdings: Bis April kommenden Jahres sind alle Wochenenden ausgebucht, es gibt lediglich noch Termine unter der Woche.
Und so funktioniert’s: Bis 18 Uhr den Schlüssel im Geschäft abholen und schon kann das das Leseabenteuer beginnen! Auf der Schlafcouch in der oberen Etage ist Platz für Zwei, Kopfkissen und Schlafsack müssen selbst mitgebracht werden. Am nächsten Morgen können die Gäste im nahe gelegenen Marktcafé gemütlich frühstücken.
Eine Übernachtung kostet 80 Euro pro Person, darin enthalten sind das Frühstück sowie ein Warengutschein in Höhe von 20 Euro. Und wer sich vorab schon mal über Neuerscheinungen oder Klassiker informieren (und eventuell vorbestellen) möchte, „Rheinschmökern“ hat auch einen Online-Shop: www.rheinschmoekern.buchhandlung.de