Am Niederrhein. Der Kiebitz war einst ein Allerweltsvogel am Niederrhein. Nun ist der Bestand um mehr als 90 Prozent eingebrochen. Die Gründe dafür sind bekannt.

Er gehört zum Niederrhein, wie das Amen in der Kirche: der Kiebitz. Bei dem grün-metallisch-schillernden Tausendsassa der Wiesen, Weiden, Äcker und Offenlandschaft ist jedoch „Holland in Not“. Der Bestand des 28 bis 32 Zentimeter großen Watvogels ist bei uns seit 1992 um mehr als 90 Prozent eingebrochen. Das ist eine Katastrophe. Ja, sogar Alarmstufe Rot. Zumal die Gründe dafür bekannt sind. Gier und Rücksichtslosigkeit standen bei menschlichen Aktivitäten Pate, die den ruffreudigen, auffallend-schmucken Frühlingsboten an den Rand seiner Existenz gebracht haben.

Die Hauptursachen sind nach wie vor der immer noch signifikante Landschaftsraubbau, die unnötige Zersiedelung, zügellose Freizeitaktivitäten und die industrielle Landwirtschaft. Als Bodenbrüter sind Kiebitze auf landwirtschaftlichen Flächen vielen Gefahren ausgesetzt. Auf Grünland kommt es insbesondere beim Schleppen, Walzen und Mähen zu herben Verlusten. Auf Weideland werden überproportional viele Gelege zertreten. Weil zu viele Weideviecher auf diesen Flächen losgelassen werden. Beweidung ist zwar ganz im Sinne des Naturschutzes. Jedoch nicht mit dieser Viehdichte pro Hektar, das ist bezüglich der Artenvielfalt kontraproduktiv.

Futtermangel durch Insektizide

Auf Ackerland sieht es auch nicht besser aus. Hier sind Bodenbearbeitung und die mechanische Beikrautbekämpfung im Frühjahr die führenden Gelegekiller. Auch hier: Viel häufiger als früher wird der Boden beackert. Zudem haben mittlerweile die landwirtschaftlichen Geräte gigantisch-bedrohliche Ausmaße angenommen. Das größte Übel jedoch ist der überbordende Einsatz von Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden. Damit wird systematisch und rigoros die Vielfalt der Kleinstlebewesen, auch von gesunden Böden, vernichtet. Übrigens mit der Konsequenz, dass unter anderem auch gerade für die geschlüpften Kiebitze nicht ausreichend Nahrung zur Verfügung steht.

Kiebitze gehen regelmäßig in den umliegenden Gewässern baden.
Kiebitze gehen regelmäßig in den umliegenden Gewässern baden. © Peter Malzbender

Während der Balzzeit zwischen März und April zeigen sich vornehmlich die Männchen als wahre Himmelsstürmer. Mit spektakulären Balzflügen. Mit den breiten, paddelförmigen Flügeln machen sie auf dicke Hose. Akrobatisch schütteln sie seitlich kippende Sturzflüge mit einem senkrecht zu Boden-Trudeln aus dem Gefieder. Vor dem tödlichen Aufprall kriegen die Vögel aber immer noch die Kurve mit der sie sich wieder in die Höhe katapultieren. Alles, um den Weibchen zu imponieren und auch ein Areal als potentielles Brutgebiet zu kennzeichnen.

Imposante Brutzeit der Kiebitze

Die Männchen sind es auch, die die Nestmulden bauen. Dazu robbt der Kiebitzmann bäuchlings im Kreis und schmeißt kräftig mit seinen langen Regenpfeifer-Haxen nach hinten Boden heraus. Auch wenn er mit der Auserwählten schon viele Jahre erfolgreich gebrütet hat, muss er trotzdem jedes Jahr wieder einige Nestmulden seiner Partnerin anbieten.

Das Kiebitz-Weibchen prüft ausgiebig jede Mulde und entscheidet, worin sie die meist vier Eier legen wird. Beide Altvögel bebrüten das Gelege abwechselnd. Zwischen 21 und 28 Tage lang. Sind die Küken geschlüpft und trocken marschieren sie als echte Nestflüchter gleich los. Vom ersten Tag an sind sie hinter Insekten, Spinnen und anderen Wirbellosen her. Die Altvögel sind immer in der Nähe und bewachen den Nachwuchs mit Argusaugen. Gerade die erste Zeit müssen die Jungvögel zum Aufwärmen regelmäßig unter die Fittiche der Elternvögel genommen werden. Der Kiebitz ist standorttreu.

Die meisten Paare leben monogam ihr Leben lang. Wenige Kiebitze sind polygam. Männchen haben dann zwei Weibchen und kümmern sich auch um beide Bruten.

>>> Wieso der Kiebitz in seiner Existenz bedroht ist

Das Verbreitungsgebiet des stark gefährdeten Frühlingsboten erstreckt sich von der Iberischen Halbinsel bis zur Pazifikküste Russlands. Und vom Mittelmeerraum bis nach Nordskandinavien.

Wissenschaftler haben ermittelt, dass es in Deutschland nur noch zwischen 42000 und 67000 Kiebitz-Brutpaare geben soll. Dabei hat die Art mit der auffallenden Federholle gute biologische Voraussetzungen. In freier Natur wurden schon häufiger beringte Kiebitze abgelesen, die über 20 Jahre alt waren.

Ein Kiebitzpaar braucht deshalb nur einen Jungvogel pro Saison erfolgreich großziehen, damit der Bestand nicht weiter den Bach herunter geht. Das ist aber heute nicht mehr gegeben. Der Kiebitz steht stellvertretend für viele Arten der offenen Kulturlandschaft, die wegen Übernutzung keine Lebensgrundlage mehr haben. Artenschwund und Klimawandel werden wir Menschen zunehmend zu spüren bekommen. Wir müssen sofort handeln, zum Beispiel mit einer nachhaltigen Agrarpolitik.