Wesel. Dr. Veit Veltzke, Leiter des LVR-Niederrheinmuseums in Wesel, geht in den Ruhestand. Wir haben uns nochmal mit ihm auf einen Kaffee getroffen.

Sein Lieblingsort im historischen Körnerdepot war immer sein Büro. Hier, in diesem großzügig geschnittenen Raum mit verglaster Front, konnte Dr. Veit Veltzke weit auf den Zitadellenplatz schauen. Sein Büro hat der 65-Jährige bereits geräumt, am kommenden Montag verabschiedet er sich ganz offiziell in den Ruhestand. Wir haben vorher noch einmal mit ihm gesprochen – nicht an seinem Lieblingsort, dafür bei einem Käffchen in der Cafeteria.

Sie haben 31 Jahre lang in Wesel gearbeitet. Da geht man nicht ohne etwas Herzschmerz, oder?

Ja, tatsächlich. Das Museum ist mir sehr ans Herz gewachsen, eigentlich ist es sogar fast ein zweites Zuhause geworden – wenn ich an die vielen Wochenenden und Abendstunden zurückdenke, die ich hier verbracht habe. Aber zum Glück ist es kein abrupter Abschied, meine wissenschaftlichen Steckenpferde bleiben mir erhalten. Ich kann mich sogar mit einem Vorteil trösten: nämlich meinen Interessengebieten ohne Dienststellenleitung etwas entspannter nachgehen zu können.

Das heißt, wir dürfen auch in Zukunft noch einiges von Ihnen erwarten?

Ich schreibe gerne Bücher, die wissenschaftliche Grundlagen mit erzählenden Elementen verbinden. Konkret arbeite ich gerade an einer erweiterten Neuauflage von „Rheinland, Westfalen und Preußen. Eine Beziehungsgeschichte“ (Aschendorff-Verlag) bei der NRW-Landeszentrale für Politische Bildung und an „Preußen: Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“ (Klartext-Verlag).

Was ist denn beispielsweise ein populärer Irrtum über Preußen?

Etwa, dass Preußen nur ein militärischer Obrigkeitsstaat gewesen sei oder der Osten rückschrittlich und der Westen per se fortschrittlich gewesen seien.

Sie sind natürlich ein echter Preußen-Experte, immerhin haben Sie ab 1991 das Preußen-Museum in Wesel und Minden aufgebaut. Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Arbeitstag?

Ja, noch recht gut. Als ich an meinem ersten Tag nach Wesel kam, wurde ich vom damaligen Stadtdirektor empfangen. Im Rathaus bekam ich gleich ein freies Dezernentenbüro zugewiesen und eine Sekretärin, die mir mit ihrer Menschenkenntnis den Anfang sofort erleichterte und mich über Weseler Verhältnisse orientierte. Gut erinnere mich noch an die erste Erkundungsfahrt, die wir gleich am ersten Tag mit ihrem Auto unternahmen und auch daran, wie stark mich Wesels Rheinlage und die grandiose Ruine der alten Eisenbahnbrücke beeindruckten. Also ein guter Tag, an den ich noch gern zurückdenke.

Anfangs gab es keine Sammlung, kein fertiges Gebäude. Wo fängt man da als neuer Museumsleiter an?

Die erste Zeit war ich in der sonderbaren Situation, Chef und einziger Mitarbeiter zu sein. Ich bereitete ein Rahmenkonzept und Leitlinien für die Sammlung vor und setzte alles daran, ein wissenschaftliches Team als Unterstützung zu gewinnen. Wichtig war, die Voraussetzungen zu schaffen, damit das Haus die musealen Hauptaufgaben Sammeln und Bewahren, Forschen, Vermitteln und Ausstellen überhaupt erfüllen konnte. Und wichtig für ein solches Vorhaben war auch, eine Vision zu entwickeln, für die man sich mit Leidenschaft einsetzen konnte.

Wie sah das Konzept des Preußen-Museums aus?

Der Schwerpunkt lag auf der brandenburgisch-preußischen Vorgeschichte des Landes Nordrhein-Westfalen. Mitzuberücksichtigen war hier natürlich der preußische Gesamtstaat: mit seiner beeindruckenden geistigen und regionalen Vielfalt, aus der er immer wieder die Kraft für Innovationen und Reformen zog.

Durch den Beschluss des LVR im Jahr 2013 wurde die finanzielle Zukunft des Hauses in Wesel gesichert, gleichzeitig kam es zur neuen Ausrichtung des nun LVR-Niederrheinmuseums. Wie lässt sich diese Entwicklung zusammenfassen?

Das Stiftungsmodell des Preußen-Museums NRW geriet in der chronischen Niedrigzinsphase in eine echte Krise. Mit dem Beschluss des LVR wurden wir finanziell gut aufgestellt und bekamen einen neuen Auftrag, mit dem wir an den alten anknüpfen konnten. Zusammengefasst enthielt die neue Zielformulierung drei Elemente: die Geschichte des Niederrheins in allen relevanten Aspekten darzustellen, dabei die Verbindungen zu Europa und insbesondere den Niederlanden darzustellen und in diesem Rahmen auch die bedeutende Rolle Preußens zu berücksichtigen.

Wie eng sind Niederrhein und Niederlande, historisch gesehen, miteinander verbunden?

Beide bildeten im Rhein-Maas-Raum jahrhundertelang einen gemeinsamen pulsierenden Kultur-und Wirtschaftsraum, die „Niederrheinlande“, aus denen Innovationen zum Teil mit europaweiter Ausstrahlung hervorgingen. Beispielhaft kann man die sogenannte Devotio Moderna erwähnen: eine neue individuelle Frömmigkeit, deren wirkmächtigster Autor sicher Thomas vor Kempen mit seiner „Nachfolge Christi“ gewesen ist. Hierauf baute im 16. Jahrhundert der Humanismus eines Erasmus von Rotterdam und Konrad Heresbachs auf. Mit seinen Ausstellungen und der Entwicklung einer neuen Dauerausstellung bis 2024 ist das LVR-Niederrheinmuseum Wesel auf dem Weg zu einem konsequent grenzüberschreitenden deutsch-niederländischen Museum.

Was muss sich in der Museumslandschaft ändern, um in Zukunft bestehen zu können?

Als Museum hat man natürlich eine riesige Konkurrenz, es gibt mittlerweile unzählige Freizeitangebote. Ich glaube, dass Museen gut daran tun, sich auf ihre Alleinstellungsmerkmale zu konzentrieren. Im Mittelpunkt sollte die Begegnung mit Originalen stehen, die mit ihrer Aura und in ihrer Aussagekraft für menschliche Schicksale und Entwicklungen erlebbar gemacht werden sollten. Nichts interessiert den Menschen so sehr wie der Mensch. In gewisser Weise kann uns dabei sogar die Digitalisierung helfen. Sachinformationen müssen nicht mehr überwiegend über Texttafeln gegeben werden, die oft kein Gewinn für die Ausstellungsgestaltung waren. Aber Museen können auch Kontrapunkte zur allgemeinen Reizüberflutung setzen, etwa Räume der Entschleunigung und der inneren Einkehr anbieten.

Sie haben anfangs schon verraten, dass Sie wissenschaftlich noch weiterarbeiten werden. Aber Zeit für mehr Freizeit bleibt hoffentlich auch, oder?

Ja natürlich (lacht). Ich werde mehr Zeit mit meiner Frau verbringen, auch mit unseren Kindern und Enkelkindern. Außerdem gibt es ernsthafte Überlegungen, uns einen Hund anzuschaffen.

Wir wünschen Ihnen alles Gute!

>>> Neue Leiterin des LVR-Niederrheinmuseums in Wesel

Die Nachfolge von Dr. Veit Veltzke hat bereits Corinna Endlich angetreten. Die 51-Jährige Borkenerin hat in Kiel Ur- und Frühgeschichte, Kunstgeschichte sowie Klassische Archäologie studiert. Später hat sie als Leiterin das volkskundliche Museum Kult Westmünsterland in Vreden mit aufgebaut. In Wesel wird für sie die Neukonzeption der Dauerausstellung ein wichtiges Projekt.

Corinna Endlich ist neue Leiterin des LVR-Niederrheinmuseums in Wesel.
Corinna Endlich ist neue Leiterin des LVR-Niederrheinmuseums in Wesel. © FUNKE Foto Services | Markus Weissenfels

Drei Sonderausstellungen sind für 2022 geplant: Ab April wird Luftbildfotograf Hans Blossey seine beeindruckenden Bilder der Region aus der Vogelperspektive präsentieren. Im September geht es mit einer Ausstellung der Weseler Künstlerin Beate Biesemann unter dem Titel „Im Strome“ weiter und ab Ende November dreht sich eine Sonderschau um den MSV Duisburg.