Moers. 2005 starb der Kleinkünstler Hanns Dieter Hüsch und wurde mit viel Prominenz beigesetzt. Liebesbeziehung zwischen Hüsch und Moers war erarbeitet.

„Es war der anrührendste Moment des Tages, und er war laut, ja tosend.“ Mit diesen Worten beginnt der Bericht der NRZ über den 12. Dezember 2005, den Tag der Beerdigung von Hanns Dieter Hüsch in Moers. Am Ende seiner Trauerrede hatte Holk Freytag, Gründungsintendant des Moerser Schlosstheaters, um einen letzten Applaus für den großen Kleinkünstler gebeten. Und wie die Trauergemeinde applaudierte, stehend und minutenlang.

1200 Menschen – unter ihnen Hüschs Witwe Christiane und seine Tochter Anna – nahmen Abschied von dem eine Woche zuvor im Alter von 80 Jahren verstorbenen Kabarettisten. Vielen war „HDH“ Kollege, Vorbild und Mentor. Fast vollständig war die deutschsprachige Kabarettszene nach Moers gekommen, um einem ihrer Größten die Reverenz zu erweisen.

Ministerpräsident Rüttgers unter Trauergästen

Eine Statue von Hanns Dieter Hüsch in Moers.
Eine Statue von Hanns Dieter Hüsch in Moers. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Tatsächlich hat die Grafenstadt so viel Prominenz auf einmal nicht mehr erlebt wie an dem Tag, als einer ihrer angesehensten Söhne in seiner Geburtsstadt zu Grabe getragen wurde: Jürgen Becker, Wilfried Schmickler, Dieter Nuhr, Harald Schmidt, Thomas Freitag, Volker Pispers, Piet Klocke, Konrad Beikircher, Stephanie Überall, Matthias Richling, Emil Steinberger und viele mehr hatten sich aufgemacht zur Stadtkirche, dazu alte Weggefährten wie Bill Ramsey, Hannes Wader, Dieter Süverkrüpp.

Auch der damalige NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers war unter den Trauergästen in und vor der Evangelischen Stadtkirche, in der Hanns Dieter Hüsch vier Wochen nach seiner Geburt getauft und 1939 konfirmiert worden war. Während des Gottesdienstes mutmaßte der Kölner Pfarrer Uwe Seidel, dass Hüsch in diesem Moment wohl mit Jesus im „Café Pilatus“ sitze und „Mensch ärgere dich nicht“ spielen würde, „selbstverständlich ohne Rauswerfen. Hüsch hat nie jemanden rausgeworfen“.

Das schwarze Schaf vom Niederrhein

Seit einem Schlaganfall Ende 2000 hatte der Künstler sehr zurückgezogen in seinem Haus in der Nähe von Köln gelebt.
Seit einem Schlaganfall Ende 2000 hatte der Künstler sehr zurückgezogen in seinem Haus in der Nähe von Köln gelebt. © picture-alliance/ dpa/dpaweb | Horst Ossinger

Holk Freytag, seinerzeit Intendant des Staatstheaters Dresden, würdigte mit seiner Trauerrede den Künstler. Er habe die „Geburt der Sprache aus der Trivialität des Alltags“ betrieben, sei mehr als ein Kabarettist gewesen, „er war ein Dichter und Schauspieler – seine Bühne war seine Orgel und seine Protagonisten hießen Ditz Atrops und Hagenbuch“.

Freytag, ein enger Vetrauter Hüschs, verschwieg dabei nicht, dass die Liebesbeziehung zwischen dem „schwarzen Schaf vom Niederrhein“ und seinem Moers „schwer erarbeitet“ werden musste. Hüsch hatte die Stadt schon 1946 verlassen und zunächst Mainz, zeitweise die Schweiz und später Köln zu seinem Lebenspunkt gemacht. Erst als anderenorts die Menschen dank des Poeten bestaunt hätten, so Freytag, welche philosophischen Dimensionen im Alltäglichen verborgen sind, „da dämmerte es uns hier auch allmählich, mit welchem Meister der Sprache wir es hier zu tun hatten“.

Moerser Ehrenbürger seit 1995

HDH besuchte seine Heimat seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre häufig. Wenn eben möglich, kehrte er in der Gaststätte „Zum kleinen Reichstag“ ein, aß dort und traf sich mit Freunden. Die Wirtschaft hatte einst dem Großvater gehört: „Hanns Dieter hat als Kind dort oft gespielt“, erzählt Willi Brunswick, ebenfalls ein enger Freund des Kabarettisten und von 1978 bis 1999 Moerser Bürgermeister.

Das Schlosstheater Moers (STM) wusste ihn fest an seiner Seite. Hüsch unterstützte es durch jährliche Gastspiele und „mit Gagen, die meist nicht die Kosten der Anreise deckten“, erinnert sich Holk Freytag, damals STM-Intendant. Zudem war er Initiator des Moerser Literaturpreises, der Nachwuchsautoren fördert. 1995 verlieh die Stadt Hüsch die Ehrenbürgerschaft – über keine Ehrung habe er sich so gefreut, sagt Freytag.

Hüsch wollte in seiner Heimatstadt die letzte Ruhe finden

So war es denn auch der Wunsch von Hanns Dieter Hüsch, in seiner Heimatstadt die letzte Ruhe zu finden. Die Beerdigung war angesichts der vielen Gäste und hohen Prominenzdichte auch eine organisatorische Herausforderung. Für Stadt und Polizei bedeutete es Großeinsatz, für den Konvoi aus Bussen und Limousinen von der Stadtkirche zum Hauptfriedhof im Ortsteil Hülsdonk wurden die Straßen gesperrt. Am Eingang begrüßte ein Ehrenspalier von Bergknappen die Trauergäste, von denen die meisten die Aussegnungszeremonie im niederrheinischen Nieselregen erlebten, weil die Friedhofshalle für die Menschenmenge zu klein war.

Er habe schon viele große Trauergemeinden erlebt, zitierte die NRZ damals in einem Bericht den Betreiber einer Friedhofsgärtnerei: „Aber dies hier übertrifft alles.“ Der Sarg war bedeckt mit roten und weißen Rosen, seinen Lieblingsfarben. Rot und weiß sind auch die frischen Blumen, die stets auf dem Ehrengrab stehen. Es befindet sich im hinteren Teil des Friedhofs zwischen Rhododendron und unter einer Eiche. Auf einer Granit-Stele ist ein Fünfzeiler des Dichters zu lesen: „Ich bin gekommen Euch zum Spaß / und gehe hin, wo des Leides ist / und Freude / und wo Beides ist / zu lernen Mensch und Maß.“ Zur Grabanlage gehört auch ein Bänkchen.

Ein Platz in der Altstadt

Der „Hüsch-Garten“, wie Ehefrau Christiane das Ensemble liebevoll nennt, soll eine Einladung an alle sein, mit einem Buch des Dichters zu verweilen oder dort mit ihm über Gott und die Welt zu reden. Die Stadt hält ihren Sohn heute in Ehren. Ein Platz in der Moerser Altstadt trägt seinen Namen, ebenso das Haus, das Zentralbibliothek und Volkshochschule beherbergt. Das Grafschafter Museum wird ihm eine eigene Abteilung widmen, in der nicht nur die berühmte Orgel und der rote Pullover mit Dreispitz zu sehen sein werden. Beides gehört zum Teilnachlass, den Hüschs Witwe der Stadt übergeben hat.

War auch als Schauspieler erfolgreich, hier in „Die Torheiten des Ruhms“ aus dem Jahr 1986.
War auch als Schauspieler erfolgreich, hier in „Die Torheiten des Ruhms“ aus dem Jahr 1986. © imago/United Archives | imago stock

Der größte Schatz dabei ist eher unscheinbar: handgeschriebene Notizbücher und Manuskripte. Aus Sicht von Museumsleiterin Diana Finkele handelt es sich „um eine echte Fundgrube für Hüsch-Forscherinnen und -Forscher.“ Vor dem Hüsch-Bildungszentrum steht eine Skulptur des Bildhauers Karlheinz Oswald. Sie zeigt den Kabarettisten leicht nach vorn geneigt, den Menschen zugewandt, mit seiner Milde, seiner Freundlichkeit und seinem Schmunzeln über die Brille hinweg. Enthüllt wurde sie 2015 anlässlich des 90. Geburtstages.

Einer der bewegendsten Momente bei der Zeremonie erinnerte an die Beerdigung zehn Jahre zuvor: Die Gäste spendeten dem großen Kleinkünstler stehend Applaus.