Im Rheinland. „Mir liegt daran, dass Menschen jetzt erfahren: Kirche, Gemeinde, einzelne Christen sind an meiner Seite“, so der rheinische Präses im Interview.

Ein neues Osterfest - und immer noch Corona: Für Thorsten Latzel, den neuen Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, ist Hoffnung der Schlüssel. Im Gespräch mit der Redaktion (31. März 2021) erklärt der leitende Theologe der zweitgrößten Landeskirche in Deutschland, warum auch Zweifel dazugehören, wie er die Zukunft des Gottesdienstes sieht, und warum Corona aus seiner Sicht ein „Gamechanger“ für die Kirche ist.

Christen erleben ein zweites Osterfest mit Corona-Beschränkungen. Wie fühlt sich das an für Sie?

Wir alle hatten ja die Erwartung, dass wir dieses Jahr Ostern schon viel weiter bei der Pandemiebekämpfung sein würden. Jetzt machen wir die Erfahrung, dass wir mehr Ausdauer und Geduld brauchen. Wir gehen auf bessere Zeiten zu, aber das Impfen braucht noch Zeit. Hier ist es jetzt wichtig, Menschen vom christlichen Glauben her Hoffnung zu vermitteln. Das ist etwas anderes als Optimismus. Hoffnung hält auch dann durch, wenn von außen alles dagegenspricht. Für mich ist Gott der Grund meines Hoffens. Ich vertraue darauf, dass es eine Zeit nach der Pandemie geben und die Welt einen guten Lauf nehmen wird. Und als Christinnen und Christen sind wir alle dazu aufgerufen, dafür unseren Beitrag zu leisten.

Erleben Sie persönlich in Pandemiezeiten Zweifel?

Es ist immer eine Frage, woran man zweifelt: Handele ich richtig? Muss ich andere besser schützen? Zur Demokratie gehört ein berechtigter Zweifel an staatlichem Handeln, der nicht in Fundamentalkritik ausartet. Zweifel gehören für mich auch zum Glauben wesentlich dazu. Wie kann ich das, was wir gerade erleben, das Leiden von Menschen, das Sterben, mit Gott als der Liebe selbst zusammendenken? Jesus selbst durchlebte im Garten Gethsemane seine tiefste Anfechtung – bis hin zum Schrei der Gottverlassenheit am Kreuz. Glaube ist nie statisch, sondern immer im Fluss.

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Wird Kirche in dieser Zeit verstärkt als Trösterin wahrgenommen?

In der Pandemie wird die Frage nach Sinn, nach Halt neu gestellt – einfach, weil Menschen mit Not, mit Trauer und Verlust konfrontiert sind. Als Kirche wollen wir Menschen stärken in dieser Zeit, sie trösten, ihnen Mut machen. Ich erfahre, dass die Angebote der Gemeinden da auf eine große Resonanz stoßen. Wir bringen Gott ins Spiel, eine Perspektive der Ewigkeit, über den Horizont hinaus.

Kein Mensch soll alleine sterben. Das ist eine ganz wichtige, seelsorgliche Aufgabe. Und dafür haben wir uns als Kirchen in der Corona-Zeit eingesetzt, dass Menschen zu ihren Angehörigen in den Kliniken und Heimen können. Und es gibt ein großes Engagement in der Krankenhaus-Seelsorge, in der Diakonie. Neben dem Leiden an Corona gibt es auch ein Leiden an Einsamkeit.

Präsenzgottesdienste – ja oder nein? Um diese Frage ist sehr gerungen worden...

Wir als rheinische Kirche haben eine gute Regelung an Weihnachten gehabt, die gilt auch jetzt: Die Gemeinden vor Ort wissen am besten, wie sie mit der jeweiligen Situation umgehen können. Präsenzgottesdienste, hybride Formate oder rein digitale Angebote – diese Entscheidung treffen die Gemeinden selbst. Sie haben das in der Vergangenheit schon sehr verantwortlich getan, bei beiden großen Kirchen hat es keine größeren Infektionsfälle gegeben.

Ich selbst werde an Ostern in Gottesdienste gehen, sofern das möglich ist. Ich habe Präsenz-Gottesdienste auch in den vergangenen Wochen und Monaten besucht und als sehr vorsorglich und fürsorglich erlebt. Für mich ist das wie Frühsport für die Seele.

Kirche ist Gemeinschaft, Gemeinschaft lebt von Nähe. Können Online-Gottesdienste Präsenzfeiern ersetzen?

Streaming, kleine geistliche Bausteine, Blogs: Da gibt es ja unterschiedliche digitale Formate, in den Gemeinden hat es während der Corona-Zeit einen wirklichen Kreativitätsschub gegeben. Mir ist wichtig, dass wir als Kirche konsequent von den Menschen her denken. Also nicht: Wie kommen Leute zu unseren Angeboten? Sondern: Was können wir als Institution tun, um sie in ihrem Leben zu stärken? Und da spielen neue Medien eine wichtige Rolle.

Wir spüren natürlich auch die Grenzen. Die Begegnung von Angesicht zu Angesicht ist etwas ganz anderes und kann nicht ersetzt werden. Digitale Angebote eröffnen aber eine zusätzliche Form der Partizipation, über die vor Ort versammelte Gemeinde hinaus. Ich bin überzeugt: Die Zukunft des Gottesdienstes wird hybrid sein, digital wie analog.

Neuer Präses bloggt regelmäßig im Internet

Thorsten Latzel (50) ist seit 20. März 2021 Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland., der zweitgrößten Landeskirche in Deutschland nach der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. Seit 2013 war Latzel Direktor der Evangelischen Akademie Frankfurt. Im EKD-Kirchenamt war er für Studien- und Planungsfragen und das Projektbüro Reformprozess zuständig (2005 bis 2012). Zuvor arbeitete Latzel als Pfarrer in Erlensee-Langendiebach (Hessen). Aufgewachsen in Bad Laasphe, studierte er Theologie in Marburg und Heidelberg. Im Blog „glauben-denken.de“ veröffentlicht er wöchentlich theologische Impulse. Dr. Latzel ist verheiratet und hat drei Kinder.

Werden Kirchen nach Corona wieder voller sein? Oder noch leerer?

Vor Corona haben laut Untersuchungen bundesweit etwa 3,7 Prozent der Gemeindemitglieder Gottesdienste der evangelischen Kirchen besucht. Wie das weitergeht, wissen wir alle nicht. Wir wissen schon, dass wir mehr Menschen durch die digitalen Angebote erreicht haben, weil sie niedrigschwellig sind.

Corona ist ein „Gamechanger“. Ich glaube, dass die Entwicklung danach nicht feststeht. Es hängt von uns ab, was wir daraus machen. Mir liegt daran, dass Menschen jetzt erfahren: Kirche, Gemeinde, einzelne Christen sind an meiner Seite. Und dass sie dann, nach Corona, Lust haben, das weiter zu erleben.

Braucht Kirche eine neue Ansprache? Sie haben angekündigt, dass Sie die Jugend auf die Kanzel holen wollen...

Wir müssen neu über Formen nachdenken, in denen sich junge Menschen beheimatet fühlen. Wenn jemand wenig mit Orgelmusik anfangen kann, bedeutet das nicht, dass ihm religiöse Themen unwichtig sind. Wenn er mit einer Feier sonntags um zehn Uhr wenig anfangen kann, heißt das nicht, dass ihm Glaube nichts bedeutet. Vielleicht spricht ihn „Kloster auf Zeit“ oder Pilgern mehr an – vielleicht auch etwas ganz anderes.

Wir wollen Menschen persönlich ansprechen, Neues ausprobieren und dafür die Start-up-Kultur in den Gemeinden stärken.

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Ihr Amtsvorgänger Manfred Rekowski hat dazu das Projekt „Erprobungsräume“ angestoßen...

Ich finde, das ist ein faszinierender Ansatz der Evangelischen Kirche im Rheinland. Sie stellt Geld und Personal bereit und setzt sogar Kirchenrecht außer Kraft, um neue Formen von Gemeinden zu unterstützen. Da geht es zum Beispiel um die Begleitung werdender Eltern oder um die Initiative „beymeister“ in Köln, die sich als Lernstätte für die Entwicklung von Spiritualität versteht. Zehn solcher „Erprobungsräume“ fördern wir bereits, Ende Mai wird über weitere entschieden.

Trotzdem, die Landeskirche wird kleiner. Wie viele Kirchengebäude werden sich die Gemeinden im Rheinland künftig noch leisten können?

Aktuell zählen wir rund 2,4 Millionen Mitglieder in 655 Kirchengemeinden zwischen dem Niederrhein im Norden und dem Saarland im Süden. Berechnungen gehen davon aus, dass es im Jahr 2030 rund zwei Millionen Mitglieder sein könnten. Wir müssen schon schauen, wie viele Kirchen wir an welchen Orten brauchen. Aber es wird für jeden eine Kirche in seiner Nähe geben, die er oder sie gut erreichen kann. Wir werden auch mit weniger Menschen und Mitteln gut Kirche sein können. Unser Auftrag für unsere Gesellschaft wird dadurch aber nicht kleiner.