Am Niederrhein. Schafzuchtverband fordert staatliche Mittel für Herdenschutz in ganz NRW. Bundesland soll insgesamt zum „Wolfsgebiet“ erklärt werden.

Ortrun Humpert muss überlegen, nur kurz. Schäfer-Azubis? Aktuell fallen der Landesvorsitzenden des Schafzuchtverbandes drei junge Leute in Nordrhein-Westfalen ein. „Das sind Überzeugungstäter“, sagt Humpert im Gespräch mit der NRZ. Wer sich für den Schäferberuf entscheide, stamme häufig selbst aus einem Betrieb „und er entscheidet sich sehr bewusst dafür, mit der Natur und den Tieren leben zu wollen“.

Das Geld ist jedenfalls nicht. Erhebungen in Bundesländern zufolge kommen die Inhaber von Schafbetrieben auf einen Stundenlohn zwischen sechs und sieben Euro - „weit weg vom Mindestlohn“. In NRW wird zwar von rund 10.000 Schafhaltungen ausgegangen, die allermeisten sind aber Hobbyhalter. „Wirklich davon leben, können wahrscheinlich nur 50 bis 60 davon“, vermutet Humpert.

Das sind dann vor allem die großen Haltungen, mit 600, 1000 oder auch mal mehr Tieren. Schon wer mehr als 300 Mutterschafe in seinen Herden hat, gilt zwar als „Berufsschäfer“. Da gibt es dann aber in der Regel noch mindestens ein weiteres finanzielles Standbein dazu. „Mit 300 Mutterschafen allein kommt heute niemand mehr über die Runden“, sagt Humpert, die ihren Betrieb im ostwestfälischen Marienmünster hat.

Schakal-Männchen zog in die Niederlande weiter

Zumal die Sorgen der Schäfer zwischen Rhein und Weser größer werden. Nicht nur, dass sie ihre Tiere in Bereichen wie dem Niederrhein oder dem Bergischen Land gegen Wölfe schützen müssen: Kürztlich war erstmals ein eingewanderter Goldschakal in NRW nachgewiesen worden . Im August hatte er in Mülheim an der Ruhr Schafe gerissen - und im September dann in Kranenburg (Kreis Kleve). Danach war das Schakal-Männchen in die Niederlande weitergezogen.

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Die Erfahrung von Schäfern in anderen Bundesländern zeige: Mit dem Goldschakal werde man künftig rechnen müssen. Er steht zwar nicht unter so strengem Artenschutz wie der Wolf, darf aber auch nicht gejagt werden. Gerissene Schafe müssten deshalb ersetzt werden, fordert Humpert. Der Hinweis des Landesumweltamtes (Lanuv), dass Elektrozäune, die vor Wölfen schützen, auch vor Goldschakalen schützen - dieser Hinweis helfe nicht - merkt die Vorsitzendende des Schafzuchtverbandes an. Mülheim etwa befindet sich jenseits der bisher amtlich ausgewiesenen „Wolfsgebiete“ in NRW.

Bundesländer wie Brandenburg haben es vorgemacht

Die Anschaffung der teuren Herdenschutzzäune wird Schäfern dort nicht ersetzt. Damit eine landesweite staatliche Förderung des Herdenschutzes möglich wird, fordert der Schafzuchtverband nicht nur einzeln, freilich großzügig bemessene Bereiche, sondern NRW insgesamt zum „Wolfsgebiet“ zu erklären. Bundesländer Brandenburg seien diesen Schritt schon gegangen. Sachlich hält das Humpert auch für allemal gerechtfertigt: „ Längst muss in NRW überall mit durchziehenden Wölfen gerechnet werden .“

Sie begrüßt, dass der Förderdeckel für Herdenschutz-Anschaffungen in NRW kürzlich weggefallen ist. Immer noch werde aber der Aufwand fürs Aufstellen der Zäune nicht vergütet; ebenso würden die Unterhaltskosten von Herdenschutzhunde nicht aufgefangen. Insgesamt sei die staatliche Förderung für Herdenschutz in den vergangenen Jahren aber zu zögerlich entwickelt worden, kritisierte Humpert.

Wie viel Aufwand für Herdenschutz ist zumutbar?

Das zeige das Beispiel der Niederrhein-Wölfin „Gloria“, die sich seit dem Jahr 2018 bei Schermbeck niedergelassen hat . Nach Auffassung von Humpert und Berufskollegen hat das Tier gelernt, vorschriftsmäßig aufgestellte Zäune zu überwinden, sprich: zu überspringen. Sie habe sich zum „Problemwolf“ entwickelt, müsse also geschossen werden. „ Die rechtliche Grundlage für eine solche Ausnahmeregelung ist da ; Politiker und Behörden müssen das aber auch mal durchziehen“, fordert die Vorsitzende des Schafzuchtverbandes NRW. Sie ist überzeugt:; Das würde dann Akzeptanz der übrigen Wölfe in Deutschland stärken, also der Nicht-“Problemwölfe“.

Wichtig für den Erhalt alter Kulturlandschaften

Ortrun Humpert , die Vorsitzende des Schafzuchtverbandes NRW, ist überzeugt: „Das Gros der Schafhalter will nicht, dass der Wolf ausgerottet wird.“ Man könne freilich aber nicht erwarten, dass sich Schäfer vorbehaltlos über die Rückkehr des Beutegreifers freuen. Nicht nur der Wolf sei ein bedrohtes Tier, und seinem Schutz sei nicht alles unter zuordnen. „In NRW werden zum Beispiel 18 bedrohte Schafsrassen gehalten“, gibt Humpert zu bedenken.

Schafsbeweidung habe enorme Bedeutung nicht nur auf Deichen, sondern auch beim Erhalt alter Kulturlandschaften wie der Heide. „Ohne uns würden solche Standorte verwaisen“, sagt Humpert. Gerade diese Standorte sind besonders bedeutsam für die Artenvielfalt – laut Humpert können dort auf einem Hektar bis zu 300 geschützte Tier- und Pflanzenarten vorkommen.

Ganz so eindeutig ist die Lage im Falle von „Gloria“ freilich nicht. Lanuv-Experten haben jeden einzelnen Nutztierriss auch am Niederrhein begutachtet und sind auf eben nicht immer vorschriftsmäßig aufgestellte Herdenschutzzäune gestoßen - teilweise waren Tiere auch gar nicht geschützt. Das Landesumweltamt erinnert auch daran, dass vor einem Abschuss eines streng geschützten Wolfes alle andere Mittel ausgeschöpft sein müssen - eben auch eine Aufstallung oder die Anschaffung von Herdenschutzhunden, wenn möglich. Der Schafzuchtverband entgegnet: Eine dauerhafte Aufstallung sei keine akzeptable Lösung für Weidetiere; Herdenschutzhunde seien nur für einen Teil der Betriebe wirklich umsetzbar.

„Gewisse Resignation“ bei Schafhaltern rund um Schermbeck

Ortrun Humpert begrüßt ausdrücklich, d ass ein Schäfer aus dem Kreis Wesel eine Vergrämung von „Gloria“ sowie einen möglichen Abschuss von „Gloria“ rechtlich prüfen lässt und beim Verwaltungsgericht Düsseldorf Klage eingereicht hat. Zur Wahrheit gehört freilich auch: Immer noch hat ein wohl nicht unerheblicher Anteil der Schafhalter im Wolfsgebiet Schermbeck keine speziellen Schutzzäune angeschafft, trotz staatlicher 100%-Förderung beim Kauf.

Humpert erklärt sich das mit „einer gewissen Resignation der Halter dort“, weil Gloria ja eben doch jeden Zaun überwinde. Die Vorsitzende des Schafzuchtverbandes zeigt dafür durchaus Verständnis, sagt aber im Gespräch mit der Redaktion auch: „Hilfreich ist diese Haltung nicht..“ Der Verband wirbt ausdrücklich für die Anschaffung von Herdenschutzzäunen.