Düsseldorf. Pannenreiches Besetzungsverfahren am OVG und Ärger mit Cum-Ex-Ermittlerin: Zahlt der Grüne den Preis seiner politischen Unerfahrenheit?

Als Benjamin Limbach im Juni 2022 bei einem Landesparteitag der Grünen zum ersten Mal ins Licht einer größeren Öffentlichkeit trat, erlebte die Stadthalle Bielefeld einen Hauch von „Feuerzangenbowle“. Verschmitzt wie Pfeiffer „mit drei f“ stand ein fröhlicher Brillenträger aus Bonn da und genoss es, plötzlich in die große Politik geraten zu sein: „Liebe Freundinnen und Freunde, ich bin ein bisschen aufgeregt“, gestand der Jurist, der auf dem Ticket der Grünen völlig unerwartet Justizminister der neuen schwarz-grünen Koalition in NRW werden sollte. Limbach, bis dahin Präsident der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, hielt eine sympathische, erfrischend unkonventionelle Rede und bekam stehenden Applaus.

Knapp eineinhalb Jahre später scheint sich die alte Erfahrung zu bewahrheiten, dass Quereinsteiger der Politik erst ungeheuer gut tun, sie sich dann aber schnell ungeheuer schwer tun. Limbach hat sich mit einem missglückten Besetzungsverfahren für das Präsidentenamt am Oberverwaltungsgericht (OVG) und einer umstrittenen Neuorganisation der Hauptabteilung zur Bekämpfung von Cum-Ex-Steuerkriminalität bei der Staatsanwaltschaft Köln gehörig in die Defensive manövriert.

Zum zweiten Mal Sondersitzung des Rechtsausschusses im Landtag

Kommende Woche muss sich der 54-Jährige bereits zum zweiten Mal innerhalb der aktuell laufenden Herbstferien einer Sondersitzung des Rechtsausschusses im Landtag stellen. Es gibt Klüngel-Vorwürfe und angeblich bereits eine erste Strafanzeige gegen Limbach bei der Generalstaatsanwaltschaft Köln. Die Opposition liebäugelt inzwischen sogar mit der Einrichtung eines Untersuchungsausschusses. „Seine politische Unerfahrenheit fällt dem Justizminister vor die Füße“, vermutet SPD-Rechtspolitiker Sven Wolf. Selbst Wohlmeinende wirken entsetzt „über die schlechte Kommunikation von Benjamin“.

Gleich an zwei Fronten ist der Sohn der früheren Bundesverfassungsgerichts-Präsidentin Jutta Limbach (SPD) und des Juristen Peter Limbach zurzeit gefordert. Ende September hatte das Verwaltungsgericht Münster Limbachs Berufungsverfahren für das OVG-Präsidentenamt in beispielloser Weise als „manipulativ“ und „rechtswidrig“ zerpflückt. Zum Zuge kommen sollte eine Juristin, die der Minister duzt und kurz nach Amtsantritt zum Abendessen getroffen hatte. Dabei habe sie ihn gefragt, ob sie sich noch auf den vakanten Präsidentenposten bewerben könne, obwohl Limbachs Vorgänger Peter Biesenbach (CDU) das Verfahren schon gestartet hatte. Durfte sie, erhielt Top-Beurteilungen und sollte sogar zum Zuge kommen.

Limbach zur Duzfreundin: Es gebe "kein Näheverhältnis"

Die Umstände findet Limbach bis heute nicht merkwürdig und kann „keinen Anschein von Befangenheit“ erkennen. Es gebe auch „kein Näheverhältnis“, sagte er im Ausschuss. Formal habe er ja Recht, stöhnen sie selbst bei den Grünen. Formal. Die Bewerberin gilt als konservativ und CDU-nah, arbeitet im Innenministerium und war früher bei der Deutschen Bischofskonferenz. Limbach hingegen hat sein SPD-Parteibuch erst nach der Bundestagswahl 2017 abgegeben und das der Grünen angenommen. Überhaupt: Die Top-Juristen im NRW-Staatsdienst kennen sich alle, viele duzen sich. Konkurrenzklagen sind auch nichts Ungewöhnliches.

Limbach sah aber offenbar nicht kommen, dass sein Verhalten in der Politik Fragen aufwerfen muss. „Sämtliche Erklärungsversuche, warum Limbachs Duzfreundin Präsidentin des OVG Münster werden sollte, verfangen nicht“, findet der FDP-Rechtspolitiker und Ausschussvorsitzende Werner Pfeil. In Düsseldorf vermuten einige, dass es in der schwarz-grünen Koalition Absprachen über die Besetzung von Richterposten gebe, die Limbach bloß unbeholfen umgesetzt habe. Die Politisierung der Justiz ist ja keiner Partei fremd.

Cum-Ex-Verfahren: 1700 Ermittlungen, nur sechs Anklagen?

Noch heikler erscheint Limbachs täppischer Umgang mit der Hauptabteilung zur Bekämpfung des Cum-Ex-Steuerbetrugs bei der Kölner Staatsanwaltschaft. Der Minister will die bundesweit führende Einheit bei der Ermittlung von milliardenschweren illegalen Aktiendeals aufteilen. Angeblich geht es Limbach dabei um die Verbesserung des „Outputs“, da es in 1700 Verfahren bislang zu lediglich sechs Anklagen gekommen sei. In Fachkreisen ist hingegen von einer Entmachtung der Hauptabteilungsleiterin, Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, die Rede.

Brorhilker war dem komplizierten Cum-Ex-Steuerbetrug, mit dem der Staat in riesigen Dimensionen ausgenommen wurde, vor Jahren überhaupt erst auf die Spur gekommen. Sie ist ein Star der Szene. Die Oberstaatsanwältin und der Minister liefern sich inzwischen einen bizarren Schlagabtausch. Limbach hatte behauptet, die zögerliche Herausgabe von Akten zu Cum-Ex-Verfahren in Hamburg an den dortigen Untersuchungsausschuss liege an der Staatsanwaltschaft Köln. Brorhilker warf Limbach dagegen in einem Schreiben an den Hauptstaatsanwaltsrat, aus dem jüngst der Kölner Stadt-Anzeiger zitierte, „grobe Verzerrungen“ und eine „nicht zutreffende“ Darstellung des Sachverhalts vor. Im Kern sollen die Unterlagen im Justizministerium in Düsseldorf hängengeblieben sein.

Offene Petition „CumEx-Täter*innen nicht davonkommen lassen“

Limbach will nun offenbar weitere Unterstützung für den Mittelbau der Staatsanwaltschaft Köln entsenden, um dem Vorwurf zu begegnen, er torpediere den Kampf gegen Steuerkriminalität. So versucht er vor der nächsten Rechtsausschusssitzung kommende Woche aus der Bedrängnis zu kommen. In wenigen Tagen habe die offene Petition „CumEx-Täter*innen nicht davonkommen lassen“ bereits mehr als 15.000 Unterschriften erhalten, meldete die FDP-Opposition am Freitag: „Die politischen Einschläge kommen näher.“

Bei Amtsantritt hatte Benjamin Limbach ein Motto ausgegeben: „Die Justiz muss den Menschen dienen.“ Zu seinem Amtsglück trägt sie gerade nicht bei.

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