Berlin. Die Zeit drängt, die Erwartungen an Deutschland sind groß. Was der neue Kanzler als erstes anpacken muss – und warum der Druck so hoch ist.

Deutschland wählt – doch bis das Land eine neue Regierung hat, dauert es noch, Koalitionsverhandlungen brauchen in der Regel viele Wochen. Die alte Regierung aus SPD und Grünen bleibt vorerst geschäftsführend im Amt, hat aber aller Wahrscheinlichkeit auch nach der Wahl keine Mehrheit mehr, um Gesetze durchzubringen. Diese Übergangszeit ist unter normalen Bedingungen kein Problem, sondern demokratische Routine. Aktuell aber drängt die Zeit, die Baustellen sind groß, die Erwartungen an Deutschland immens. Welche Aufgaben auf den nächsten Kanzler warten – und warum der Druck so hoch ist:

Aufgabe Nummer 1: Es muss schnell gehen

Egal, wer den Auftrag zur Regierungsbildung bekommt – es muss diesmal besonders schnell gehen. Europa und die Welt wollen wissen, wer Deutschland durch die aktuellen Krisen führt, mit welcher Haltung die nächste Regierung Donald Trump und Wladimir Putin entgegentreten wird, welche Rolle sie in Europa übernehmen will (und kann) – und wieviel innenpolitischen Rückhalt sie dafür hat. Fast vier Monate sind vergangen, seit die Ampel in die Brüche ging, Deutschland kann es sich nicht leisten, bis in den Sommer hinein um sich selbst zu kreisen. Eine Hängepartie wie 2017, als erst nach mehr als 170 Tagen nach der Wahl eine neue Regierung stand? Schwer vorstellbar.

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Hohes Tempo ist aber auch innenpolitisch nötig: Nach Monaten mit Ampel-Dauerkrise und hartem Turbowahlkampf müssen die Parteien der demokratischen Mitte das Signal setzen, dass sie kompromissfähig, lösungsorientiert und damit handlungsfähig sind. Alles andere wäre ein weiteres Konjunkturprogramm für Populisten.

Aufgabe Nummer 2: Mehr Sparen oder neue Schulden?

Nach der Wahl benötigt die neue Regierung schleunigst ein Finanzkonzept. Die Ampel-Koalition war zerbrochen, weil die Partner sich nicht mehr darauf einigen konnten, wie und wofür sie Geld ausgeben. Daher gibt es noch keinen neuen Bundeshaushalt für das laufende Jahr, es gilt die vorläufige Haushaltsführung.

Den künftigen Etat aufzustellen, wird durch mindestens zwei Faktoren erschwert: Die deutsche Wirtschaft schwächelt, dadurch fallen die Steuereinnahmen geringer aus. Die Sicherheitslage in Europa hat sich durch Aussagen der US-Regierung dramatisch verschoben. Deutschland und seine Partner müssen absehbar deutlich mehr für Verteidigung ausgeben als bisher. Mehr dazu unter Punkt 3.

Wenn das Geld knapp ist, gibt es für eine Bundesregierung zwei Möglichkeiten, wenn sie mehr ausgeben will: anderswo sparen oder mehr Schulden aufnehmen. Schon seit Monaten wird darüber diskutiert, ob die Schuldenbremse in ihrer bisherigen Form bestehen bleiben kann. Hier ist Klarheit gefragt.

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Aufgabe Nummer 3: Deutschland krisenfest machen

Deutschland und Europa stehen an einem Scheideweg: US-Präsident Donald Trump scheint nicht nur dazu bereit zu sein, der Ukraine die Unterstützung zu entziehen, sondern auch den Europäern. In Russland wird das mit Interesse verfolgt. Trump ist offenbar dazu bereit, dem russischen Machthaber Wladimir Putin einen großen Gefallen zu tun. Für die Europäer heißt das: Sie müssen nicht nur ihre Hilfe für die Ukraine ausbauen, wenn Russland dort nicht auf ganzer Linie siegen soll. Sondern auch viel mehr für ihre eigene Sicherheit tun – und zwar schnell.

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Deutschland als bevölkerungsreichstem Land und größter Volkswirtschaft kommt dabei eine Führungsrolle zu: politisch und finanziell. Die künftige Bundesregierung muss klären, wie sie die Investitionen in Sicherheit und Verteidigung stemmen will. Schon nach bisherigen Annahmen muss Deutschland ab 2028 etwa 30 Milliarden Euro im Jahr mehr als bisher ausgeben, um das Nato-Ausgabenziel von zwei Prozent der Wirtschaftskraft zu erfüllen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass aufgrund der Bedrohungslage noch weitaus höhere Ausgaben erforderlich sind.

Aufgabe Nummer 4: Sichtbare Schritte bei Migration und Wirtschaft

Nach den Anschlägen von Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg und München steht die künftige Regierung unter dem Druck, schnell wirksame Maßnahmen in den Bereichen Migration und innere Sicherheit umzusetzen. Allerdings: Viele Stellschrauben hatte schon die Ampel-Regierung angezogen, bei manchen Forderungen gibt es rechtliche Bedenken, anderswo mangelt es weniger an der Schärfe der Gesetze als vielmehr an der wirksamen Umsetzung.

Auch die deutschen Unternehmen hoffen nach den Monaten des Stillstands infolge des Ampel-Bruchs auf schnelle Impulse der neuen Regierung. Viele Unternehmen klagen über hohe Energiekosten und bürokratische Bürden. Beides mache den Standort Deutschland unattraktiv – und zu einem Wettbewerbsnachteil gegenüber der Konkurrenz aus dem Ausland. Der Arbeitgeberverband drängt zudem darauf, das Bürgergeld in seiner jetzigen Form abzuschaffen. In Zeiten fehlender Arbeitskräfte biete es zu großen Anreiz, nicht zu arbeiten.

Aufgabe Nummer 5: Die Zukunft der Sozialkassen

Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der kommenden Jahre: Gelingt es, den Sozialstaat zukunftsfest zu machen? Durch den demografischen Wandel wachsen die Ausgaben für alte und kranke Menschen. Die Pflegekassen stehen vor dem Kollaps, die Krankenversicherungen retten sich aktuell noch durch immer weiter steigende Beiträge. Die nächste Regierung muss zumindest den Einstieg in eine große Finanzreform finden. Das gleiche gilt für die Rente: Wenn das gesetzliche Renteneintrittsalter nicht weiter angehoben werden soll (was die meisten versprechen) – muss eine andere Lösung her, um die Finanzlücke zu schließen. Mehr Staat, mehr private Vorsorge – die nächste Regierung muss Antworten liefern.