Berlin. Atom-Mächte, die der Ukraine helfen, sollen bald auf einer Spezial-Liste Putins stehen. Militärexperte Masala sagt: Das folgt einer Logik.
- Russland versucht, in der Ukraine weiter vorzurücken
- Vor allem die beiden Städte Wuhledar und Pokrowsk stehen im Fokus
- Unterdessen wirbt Selenskyj weiter um die Erlaubnis, weitreichende Waffen Richtung Russland abzufeuern
- Putin reagiert mit einer nebulösen Drohgebärde
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wirbt in Washington weiter um die Erlaubnis, weitreichende US-Waffen gegen militärische Ziele in Russland einzusetzen. Unterdessen will Russland seine Atom-Doktrin ändern – Professor Carlo Masala ordnet die Ankündigung ein.
Herr Masala, wie muss man die Lage in den ukrainischen Frontgebieten aktuell bewerten?
Carlo Masala: Russland versucht im Donbass, auf mehreren Achsen Territorium zu erobern. Die Städte Pokrowsk und Wuhledar stehen unter enormem Druck, letzteres noch mehr. Beide könnten in den nächsten Wochen und Monaten fallen. Dass die Ukrainer Pokrowsk noch halten, liegt daran, dass die Russen den Druck vermindert und auf die 15.000-Einwohner-Stadt Wuhledar gelegt haben. Auch Wuhledar ist eine strategisch wichtige Stadt – dort könnte die russische Armee versuchen, die ukrainischen Truppen „einzukesseln“.
Überrascht es Sie, dass es den Ukrainern gelingt, die eroberten Gebiete in Kursk zu halten?
Masala: Nein. Russland verzichtet momentan noch darauf, Kräfte aus dem Donbass abzuziehen, und geht mit schlecht ausgebildeten Wehrpflichtigen vor. Heißt: Da sind wenig professionelle Soldaten.
Carlo Masala
Er ist einer der bekanntesten Militärexperten in Deutschland. Masala (Jahrgang 1968) lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Er beantwortet unserer Redaktion jede Woche die wichtigsten Fragen rund um den Konflikt in der Ukraine.
Ukrainische Truppen sind vor ein paar Tagen an einer weiteren Stelle in Kursk vorgedrungen, indem sie Grenzposten der Russen umgingen. Der Beginn einer größeren Offensive?
Masala: Nein. Dazu müssten die Ukrainer die zur Verfügung stehenden Kräfte ausschließlich dort einsetzen. Dadurch würden sie in der Ukraine selbst fehlen, um etwa Rotation herbeizuführen oder um Truppenteile, die bis auf 30, 40 Prozent ihres Umfangs geschrumpft sind, zu verstärken. Im Klartext: Theoretisch könnten sie das zwar machen. Aber praktisch hätte es immense Konsequenzen für die Ukraine.
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Also nur ein weiterer Nadelstich.
Masala: Das ist eine Erweiterung der Flanke, kein neues Operationsgebiet.
Das Vorgehen wirft die Frage auf, wie gut die russischen Truppen in der Lage sind, die Grenzen zu sichern – schaffen sie es nicht oder hat es für den Kreml nicht die höchste Priorität?
Masala: Die Grenze ist sehr lang und schwer zu sichern. Gleichzeitig befinden sich viele russische Soldaten im Kampfeinsatz in der Ukraine, sodass sie an der Grenze fehlen.
Russland hat vor, seine Doktrin zum Einsatz seiner Atomwaffen zu ändern – Atommächte, die die Ukraine unterstützen, könnten Ziel eines russischen Gegenschlags werden. Was bedeutet das für Frankreich, Großbritannien und die USA?
Masala: Das bedeutet erstmal gar nichts. Eine Doktrin sollte man nicht so verstehen, dass das dann auch so praktiziert wird – es ist kein Automatismus. Das wäre auch fatal: Wäre es so, könnten wir uns ausrechnen, was Russland machen wird. Es muss für seine potenziellen Gegner aber unberechenbar bleiben. Das Signal, das davon ausgehen soll, ist: Lasst die Finger davon, der Ukraine den Beschuss russischer Ziele mit weitreichenden Waffen zu erlauben. Je nachdem, wie die Doktrin jetzt konkret abgeändert wird (Putin sprach von Angriffen mit umfassenden Luftmitteln), kann es sein, dass die USA nicht gegen alle enthaltenen Elemente verstoßen, wenn sie der Ukraine die gewünschte Erlaubnis erteilen. Kein Grund zur Panik!
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Über Selenskyjs „Siegesplan“ gibt es viel Spekulation. Kritiker sagen: Die wohl enthaltenen Wünsche sind viel zu groß, um realistisch zu sein…
Masala: Nato-Beitritt und weitreichendere Waffen – das will die Ukraine seit einem Jahr, das ist also nicht neu. In den USA gibt es eine Debatte darüber, ob man die Nato nicht ein deutlicheres Signal aussenden sollte, was eine Beitrittsperspektive betrifft. Ein Beitritt zum Bündnis ist aus meiner Sicht unrealistisch. Bei den weitreichenden Waffen ist man in Washington zumindest nicht abgeneigt. Natürlich sind das große Wünsche. Aber letztlich wollten vor allem die USA, dass ein Friedensplan vorgelegt wird. Biden will nicht abtreten vom Amt des US-Präsidenten, ohne ein Vermächtnis zu hinterlassen – nämlich indem er für sich beanspruchen kann, den Krieg in die Richtung von Verhandlungen vorangebracht zu haben.
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Carlo Masala, 56, ist Militärexperte an der Universität der Bundeswehr in München. Er analysiert für unsere Redaktion jede Woche die Lage im Ukraine-Krieg.