Washington. „Was würde Jesus tun?“ Das ist die Messlatte, die sich Christen bei der US-Wahl stellen. Donald Trump kommt schlecht weg: als Scharlatan.
Wenn James Talarico das Paradoxon der grenzenlosen Anbetung vieler Evangelikaler für Donald Trump und die Republikaner auf einen Nenner bringen will, dann so: „Sie zwingen die Schulen dazu, die Zehn Gebote öffentlich aufzustellen und nominieren einen Präsidentschaftskandidaten, der gegen so ziemlich alle verstoßen hat.”
Der stets akkurat gescheitelte Mann, der in Austin ein Priester-Seminar besucht, zählt gebetsmühlenartig auf, was er damit meint: „Ein Ehebrecher, ein verurteilter Straftäter, ein pathologischer Lügner, ein zwei Mal mit Amtsenthebung konfrontierter Aufstandsaufwiegler – wie kann das sein?”
„Was würde Jesus tun?“
Was der demokratische Abgeordnete aus dem Bundesstaats-Kongress in Texas – selbst tiefgläubig sozialisiert – formuliert, taugt als Grundmelodie für eine kleine, abseits des Medienscheinwerfer-Lichts wachsende Splitter-Gruppe der evangelikalen Christen. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Trump bis zum 5. November als „Scharlatan” und „falschen Propheten” zu enttarnen - und der Demokratin Kamala Harris zum Sieg zu verhelfen.
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„Evangelicals for Harris”, ein loses Bündnis von mittlerweile über 200.000 Menschen in allen Teilen der USA, hat sich darauf eingeschossen, in den sieben Bundesstaaten, die das Rennen um das Weiße Haus aller Wahrscheinlichkeit nach entscheiden werden –Arizona, Nevada, Georgia, North Carolina, Pennsylvania, Michigan und Wisconsin – gezielt circa 20 Prozent plus x ihrer Glaubensbrüder-und schwestern anzusprechen, damit sie nicht für den Republikaner stimmen. Dabei, so sagt Gründer Jim Ball, ein Pastor aus Vienna vor den Toren Washingtons, lässt man sich leiten, von dem, was vor einigen Jahren in der Szene unter dem Kürzel WWJD bekannt wurde. „What would Jesus do?” - Was würde Jesus tun?
Trump: „Ich bringe Gott nicht ins Spiel“
Ball und seine Mitstreiter, die sich in Zoom-Konferenzen im Internet koordinieren und mit Millionen-Spenden im Rücken seit August gezielt Anti-Trump-Werbespots in strategisch wichtigen Regionen schalten, sind sich sicher, dass etwa die rassistisch grundierten Attacken von Trump und seinem Beiboot J.D. Vance gegen haitianische Einwanderer in Springfield/Ohio keine himmlische Zustimmung erführen. „Diese Leute sind verwundbar. Sie brauchen unsere Hilfe und keinen Hass.”
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Doug Pagitt, Balls Bruder im Geiste und Kopf der Gruppe „Vote Common Good”, kommt bei seinen Touren durchs Land immer wieder auf ein legendäres Video zu sprechen, das für den evangelikalen Pastor aus Minnesota als Sinnbild für den Fake-Glauben Trumps steht. 2015 wurde der damalige Präsidentschaftskandidat in Iowa bei einer von Evangelikalen geprägten Veranstaltung von dem bekannten Moderator Frank Luntz gefragt, wann er das letzte Mal um Vergebung für seine Sünden gebeten habe.
„Trump, das geht einfach nicht“
Trump rutschte auf seinem Sessel hin und her, nannte die Frage „schwer zu beantworten” und gab dann kund, dass er das noch nie gemacht habe. „Ich denke, wenn ich etwas falsch mache, versuche ich einfach, es richtig zu machen”, sagte Trump zum Befremden des Publikums, „ich bringe Gott nicht ins Spiel. Das tue ich nicht.“
Lee Scott, ein Presbyter-Pastor aus Pittsburgh, der ebenfalls bei „Evangelicals for Harris” Führungsfunktionen hat, macht klar, dass er bei weitem nicht in allem mit der zwischen Hinduismus und Baptismus aufgewachsenen Kalifornierin Harris übereinstimmt, etwa bei der Abtreibung gebe es nach wie vor „große Unterschiede”. Aber er findet, dass sie sozial- und familienpolitisch christlicher und mitfühlender sei als Trump, der bisher nicht damit aufgefallen sei, bei der Armutsbekämpfung, der Gewährleistung einer bezahlbaren Krankenversicherung für alle und beim Schutz der Umwelt und der Bekämpfung des Klimawandels gute Lösungen anzubieten. „Ich wähle Harris”, sagt Scott, „Trump, das geht einfach nicht.”
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