Washington. Die US-Forscherin Bandy X. Lee hat vor Jahren zusammen mit Kollegen ein Buch über Trump geschrieben. Nun wagt sie eine Neubewertung.

Über den geistigen Zustand Donald Trumps ist schon viel spekuliert worden – nicht zuletzt, weil er bei seinen Auftritten immer wieder zusammenhanglos spricht und aus offiziellen Berichten seiner Ärzte ein Geheimnis macht. Ex-Präsident Barack Obama witzelte kürzlich: „Sie würden sich Sorgen machen, wenn Opa sich so verhielte!“. Doch es ist nicht nur der mögliche geistige Verfall, der sich bei Trump abzeichnet. Die amerikanische Psychiaterin Bandy X. Lee hat schon vor Jahren ein Buch über Trump geschrieben. Sie zeichnet im Gespräch mit dieser Redaktion ein drastisches Bild des 78-Jährigen.

Mrs. Lee, vor acht Jahren haben Sie mit mehreren anderen Psychologen und Psychiatern das Buch „Der gefährliche Fall Donald Trump“ veröffentlicht. Die Welt hat seine Präsidentschaft ohne Krieg überstanden. Halten Sie ihn weiterhin für gefährlich?

Bandy X. Lee: Donald Trumps Psychologie ist kriegerisch. Ich halte ihn für äußerst gefährlich und eine Bedrohung für alle Institutionen der USA. Wir wissen aus Berichten der „New York Times“, dass sein Ex-Stabschef im Weißen Hauses, General John Kelly, unser Buch als Anleitung für den Umgang mit Donald Trump verwendet hat – was möglicherweise dazu beigetragen hat, einen Atomkrieg mit Nordkorea abzuwenden. Wir wissen auch, dass der ehemalige Stabschef General Mark Milley nach der Wahl von 2020 heimlich seinen Amtskollegen in Peking angerufen hat, um zu verhindern, dass Trump aus Wut über seine Niederlage einen Angriff auf China anordnet, um an der Macht zu bleiben.

Trump bestreitet bis heute, die Wahl 2020 verloren zu haben und ihm wird vorgeworfen, den Sturm des US-Kapitols am 6. Januar 2021 provoziert zu haben. Wie würde er mit einer weiteren Niederlage umgehen?

Lee: Ich habe bereits 2020 in dem Buch „Profil einer Nation: Trumps Geist, Amerikas Seele“ gewarnt, dass Donald Trump auf eine Wahlniederlage mit Gewalt reagieren würde. Das liegt an seiner psychischen Fragilität. Nichts davon hat sich geändert, sondern ist nur noch schlimmer geworden, sowohl wegen seines weiteren Verfalls als auch wegen seiner gestiegenen Erwartungen, weil er nie zur Rechenschaft gezogen wurde. Wir müssen uns auch diesmal auf Gewalt vorbereiten.

Bandy X. Lee
Psychiaterin Bandy X. Lee: „Trump war kognitiv nie intakt.“ © privat | Privat

Sehen Sie Anzeichen dafür, dass er wütender und düsterer geworden ist?

Lee: Er ist definitiv wütender und düsterer geworden. Er wird weiterhin nach Macht streben, um seine Krankheit zu verleugnen. Aber das ist keine Lösung – und er wird nur noch wütender werden, da keine Realität sein ausgehungertes Selbstwertgefühl befriedigen kann.

Er ist 78 Jahre alt und wäre der älteste Präsident in der Geschichte der USA. Sehen Sie Anzeichen eines kognitiven Abbaus?

Lee: Er war kognitiv nie intakt. Seine Fähigkeiten, Wissen und Gedanken zu verarbeiten, werden zunehmend infrage gestellt. Viele haben einen deutlichen Rückgang seiner äußeren Fähigkeit bemerkt, vollständige Sätze zu bilden, bei einem Gedanken zu bleiben, komplexe Wörter zu verwenden und keine losen Assoziationen zu bilden. Die äußeren Anzeichen sind exponentiell schlimmer geworden. Ein Beispiel war ein Auftritt von ihm in Pennsylvania. Donald Trump wippte zu „Ave Maria“, als zwei Leute bei seiner Kundgebung ohnmächtig wurden, und er fragte: „Möchte sonst noch jemand ohnmächtig werden?“ Er bat um mehr Musik und fügte hinzu: „Wer zum Teufel will Fragen hören, richtig?“ Dies alles ist brandgefährlich, da die Entscheidungsfähigkeit in seinem Amt von extrem großer Bedeutung ist. Bei schnellem Fortschreiten könnte er gar bald ein Fall für ein Pflegeheim werden.

Zur Person: Bandy X. Lee

Bandy Xenobia Lee, Jahrgang 1970, stammt aus New York und ist eine amerikanische Psychiaterin. Sie wurde an der Yale University promoviert und hat sich auf Gewaltprävention spezialisiert. Von ihr erschien 2017 das Buch „The Dangerous Case of Donald Trump: 27 Psychiatrists and Mental Health Experts Assess a President“.

Seine Frau Melania behauptet, er sei ein liebevoller Familienmensch und die sogenannten kleinen Leute in Amerika würden ihm am Herzen liegen. Können Sie das nachvollziehen?

Lee: Er ist unfähig, sich um irgendjemanden zu kümmern, geschweige denn um „die kleinen Leute“, die er, wie er hinlänglich gezeigt hat, verachtet. Er betrachtet Menschen nur als Schachfiguren oder Gönner für seine eigenen Zwecke, denen er nach Belieben Schaden zufügen kann, nicht als menschliche Wesen.

Er überlebte zwei Attentatsversuche. Seine Anhänger sprechen von einem Wunder. Er behauptete, Gott beschütze ihn. Glaubt er wirklich, auserwählt zu sein?

Lee: Glaube erfordert Ehrfurcht, die über seine Fähigkeiten hinausgeht. Er ist allerdings sehr überzeugend, wenn er sagt, er sei auserwählt, weil er sich selbst davon überzeugt hat. Das Schlimme ist, dass seine Anhänger diese Wahnvorstellungen immer schneller annehmen, ohne den Verstand einzusetzen.

Die Demokraten bezeichnen ihn als Faschisten. Könnte er nach einem Sieg versuchen, ein Diktator zu werden? Oder könnte der Sieg ihn milde machen?

Lee: Er würde wahrscheinlich den Bezug zur Realität komplett verlieren und alles tun, um an der Macht zu bleiben.

Könnte er einen Atomschlag gegen den Iran befehlen, um seine Macht zu demonstrieren?

Lee: Bei Trump ist nichts ausgeschlossen.

Was muss Kamala Harris in diesen letzten Tagen vor der Wahl tun, um Trumps Rückkehr an die Macht zu verhindern?

Lee: Dass sie auf Donald Trumps psychische Defekte hinweist, ist gut. Aber sie kann es nicht nur als politisches Problem darstellen. Sie muss den Amerikanern klarmachen, dass Donald Trump schwer krank ist und dass dies sehr gefährlich werden kann, wenn er wieder im Weißen Haus sitzt.