Washington. Beim Wahlkampf-Aufreger schlechthin hat sich der republikanische Kandidat in die Sackgasse manövriert. Es könnte ihn den Sieg kosten.
Donald Trump passt politische Standpunkte einem einzigen Prinzip an: Opportunität. Was Erfolg verspricht vor Publikum A, wird propagiert, ungeachtet der juristischen Machbarkeit und Mehrheitsverhältnisse. Dreht sich der Wind, wechselt der republikanische Präsidentschaftskandidat die Position und behauptet vor Publikum B das Gegenteil.
Trump in der Sackgasse
Beim Wahlkampf-Aufreger Abtreibung – neben Inflation und illegaler Einwanderung das drängendste Thema der Amerikaner vor der Wahl – hat sich der 78-Jährige in die Sackgasse manövriert. So sehr, dass es ihn nach Ansicht von Analysten gegen Kamala Harris den Sieg kosten kann. Er vertritt eine Position, die von einem überwältigenden Teil der Amerikaner abgelehnt wird.
Ausgangspunkt: 2022 hatte der von Trump persönlich mit einer erzkonservativen Schlagseite versehene Oberste Gerichtshof in Washington gegen vehemente Proteste das bis dahin 50 Jahre lang landesweit geltende Recht auf Abtreibung kassiert. Seither bestimmen die 50 Bundesstaaten individuell über Schwangerschaftsabbrüche.
Ergebnis: Ein Flickenteppich. 14 Bundesstaaten arbeiten de facto mit Totalverboten. Ärzte, die das ignorieren, riskieren Gefängnisstrafen. 27 Bundesstaaten haben teils schwere Restriktionen eingeführt. Schwangere müssen oft Hunderte Meilen in einen liberaler gestimmten Nachbarstaat reisen, um eine „abortion” durchzuführen.
Das führt zu Tragödien. Die 28-jährige Amber Nicole Thurman aus Georgia starb im Krankenhaus im Gefolge einer medikamentös eingeleiteten Abtreibung an Organversagen. Weil Ärzte aus Angst vor Strafverfolgung bei einem Eingriff an ihrer Gebärmutter viel zu spät medizinische Not-Standardhilfe leisteten. In einem unter die Haut gehenden Wahlwerbespot der Demokraten sagte Ambers Mutter: „Meine Tochter ist tot, weil Donald Trump das getan hat.“
Trump soll bei Wahlsieg landesweites Abtreibungsverbot durchsetzen
Trump dagegen lässt sich seit der von ihm choreografierten Intervention des Supreme Courts von religiös motivierten Anti-Abtreibungs-Aktivisten feiern. Sie hatten bereits 2016 maßgeblich zu seinem Wahlsieg beigetragen. Die Klientel will jetzt mehr. Trump soll mit konservativen Mehrheiten im Kongress ein landesweites Abtreibungsverbot durchsetzen.
Ein Ansatz, der völlig unpopulär ist. Umfragen weisen aus, dass konstant zwischen 60 und 70 Prozent der Amerikaner Abtreibungen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt befürworten. Und zwar auch in erzkonservativen Regionen wie Kansas oder Kentucky. Dort kassierten Abtreibungsgegner zuletzt bei Volksentscheiden herbe Niederlagen. Weitere Schlappen sind programmiert. In South Dakota, Arizona, Colorado, Florida, Maryland, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada und New York sind am Wahltag eigene Referenden über das Thema Abtreibung angesetzt.
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Kamala Harris will anders als Donald Trump Abtreibung national einheitlich bis zur 22. bis 24. Schwangerschaftswoche legalisieren, sollte der Kongress ihr ein solches Gesetz zur Unterschrift vorlegen. Harris und andere Top-Demokraten skandalisieren, dass Trump auf dem Rücken von Frauen den Willen von religiösen Extremisten durchsetzen will.
Trump versucht das Verlierer-Thema durch Ignorieren und Lavieren aus der Welt zu schaffen. Erst sympathisierte er mit einer nationalen Fristen-Regelung, die Abtreibungen bis zur 15. Woche erlaubt. Umgehend griffen ihn evangelikale Fundamentalisten wie die Aktivistin Lila Rose an. Sie warf ihm Verrat am uneingeschränkten Schutz des ungeborenen Lebens vor. Trump zog zurück.
Weil sein neuer Heimat-Bundesstaat Florida besonders restriktiv vorgeht (Verbot von Abbrüchen ab der 6. Woche), was am 5. November Gegenstand eines Volksentscheids sein wird, musste Trump aus der Deckung kommen. Er warb für deutlich längere Fristen. Und für Ausnahmen, wenn das Leben der Mutter gefährdet ist oder Vergewaltigung oder Inzest vorliegen.
Diesmal war die Gegenbewegung der politisch-religiösen Rechten noch heftiger. Tony Perkins, Präsident des einflussreichen „Family Research Council“, attestierte Trump einen gefährlichen Schlingerkurs, der ihm Stimmenverluste bescheren könnte. Prompt drehte Trump bei. Er werde im November für die Beibehaltung des 6-Wochen-Diktats stimmen, erklärte er. Seine Begründung: Man müsse den Demokraten etwas entgegensetzen, die das Töten von Embryonen noch im neunten Monat beziehungsweise sogar nach der Geburt propagieren würden. Was nicht stimmt.
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Zuletzt setzte sich Trump in die Nesseln, als er sich zum Frauen-Helden aufschwang. „Frauen werden glücklich, gesund, selbstbewusst und frei sein. Sie werden nicht mehr über Abtreibung nachdenken“, sagte er im umkämpften Bundesstaat Pennsylvania. Begründung: „Weil ich euer Beschützer bin.” Wenig später veröffentlichte seine Frau Melania ihre Biografie und trat darin vehement für ein uneingeschränktes Alleinbestimmungsrecht für Frauen bei der Abtreibungsfrage ein.
Sie befindet sich damit in völliger Übereinstimmung mit Kamala Harris, die auf jeder Kundgebung das Thema „abortion” in den Mittelpunkt stellt und dabei auch auf prominente Hilfe setzt. In Texas trat kürzlich Pop-Superstar Beyoncé neben Harris auf - „als Mutter, der eine Welt am Herzen liegt, in der wir die Kontrolle über unsere Körper haben”.
In demokratischen Kreisen wird darin erinnert, das 53 % der Wählerschaft weiblich ist und die Wut über Trump immens. Margaret Hubbard, eine Demokratin aus Pennsylvania, sagte dieser Zeitung. „Eine Leiche hat mehr körperliche Autonomie als Frauen in den Vereinigten Staaten von Amerika. Das wird Donald Trump zu spüren bekommen.”