Lypzi. Hoch, hoch in den Nachthimmel: Ohne die sirrenden Drohnen läuft im Krieg nichts mehr. Doch auch diese Geräte kommen an ihre Grenzen.
Der Geländewagen rumpelt über Feldwege, am Wegesrand tauchen in der Dunkelheit die Schatten zerbombter Häuser und Gehöfte auf. Der Fahrer und Vladyslav schauen konzentriert auf die staubige Piste. Es könnte sein, dass die Russen Minen gelegt haben. Beide Soldaten wirken angespannt. Der Fahrer hat kein Nachtsichtgerät, die Lichter des Autos sind an. Ein leichtes Ziel für Angriffe aus der Luft. Das Funkgerät knarzt, Vladyslav gibt eine Losung durch. Aus einem Gebüsch treten zwei Soldaten, rote Lampen leuchten auf. Es geht zügig zu Fuß weiter, der Himmel ist wolkenlos, der halbe Mond scheint hell. Einige Hundert Meter weiter tauchen die Männer wieder in ein Gebüsch ein, die Trümmer einer Ruine knirschen und poltern unter den Stiefeln. An einem kleinen Gebäude stoppen sie, eine Tür öffnet sich. „Herzlich willkommen“, sagt ein Soldat. Die Stellung der Drohneneinheit ist erreicht.
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Irgendwo bei Lypzi in der Provinz Charkiw im Nordosten der Ukraine. Am 10. Mai haben die russischen Streitkräfte in der Region eine Offensive gestartet. Sie wollen ihre Artillerie wieder in die Reichweite der zweitgrößten Stadt der Ukraine vorrücken, eine Pufferzone ausbauen, um russische Siedlungen und Städte vor ukrainischem Beschuss zu schützen und ukrainische Truppen von den Frontabschnitten im Osten und Süden abziehen. Den ukrainischen Verteidigern ist es gelungen, ihren Ansturm zu stoppen. Die Gefechte sind enorm verlustreich für beide Seiten. Unter den Einheiten, die im Nordosten kämpfen, ist auch die Khartiia-Brigade. Einer ihrer Drohnentrupps hat seit mehreren Wochen Stellung in einer verlassenen Siedlung wenige Kilometer entfernt von der Front bezogen.
Krieg in der Ukraine: Es ist eine todbringende Arbeitsteilung
Drinnen ziehen die Soldaten ihre Schutzwesten und Helme aus. Es ist hier relativ sicher. Die Decke ist aus Stahlbeton, einen Volltreffer würde sie allerdings nicht aushalten. Aber dann wäre auch Schutzausrüstung zwecklos. Das kleine Gebäude ist mit Decken blickdicht versiegelt. An den unverputzten Ziegelmauern lehnen Sturmgewehre, stehen Wasserflaschen und Konserven. Von der Decke hängt eine nackte Energiesparlampe. Es riecht muffig und nach Schweiß. Zwei Soldaten schlafen fest auf schmuddeligen Matratzen. Auf Tischen neben dem Eingang stehen zwei Tablets, daneben Akkus, die über zwei große Energiestationen aufgeladen werden. Auf Kisten liegen kleine Mavics-Drohnen aus chinesischer Produktion mit vier Propellern. Eine graue Katze döst in einem Stuhl.
Bevor sie wieder arbeiten können, müssen die Soldaten ein wenig warten. Der Weg zur Stellung ist gefährlich. Ständig sind hier russische Drohnen in der Luft. Um ihn sicherer zu machen, haben sie einen Störsender eingeschaltet, der feindliche Maschinen abhalten soll. „Die Lage hier ist sehr hart, die Russen drücken die ganze Zeit und versuchen unsere Positionen zu infiltrieren “, erklärt Vladyslav. Er ist 28 und der Kommandeur der Einheit. Die Aufgabe seiner Männer ist es, die Gegend ständig zu beobachten und Feindbewegungen zu melden. „Wir geben die Informationen an unsere FPV-Piloten weiter. Die machen dann ihre Arbeit.“ Es ist eine todbringende Arbeitsteilung. FPV-Drohnen sind Kamikaze-Maschinen, die mit Sprengstoff beladen ins Ziel gesteuert werden.
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Drohnen-Piloten in der Ukraine: „Es gelingt nicht immer, die Feinde aufzuhalten“
Nach zwanzig Minuten ist der Störsender ausgeschaltet. Die Soldaten schieben einen Akku auf eine Drohne, der Pilot macht sich bereit. Einer der Männer trägt das Gerät nach draußen. Sirrend steigt es in den sternenübersäten Himmel. Nachts ist die Arbeit für sie anstrengender. Es ist schwieriger, den Feind aufzuspüren, die Verbindung zwischen der Kontrollstation und der Drohne ist schlechter. Erschwert wird die Arbeit jetzt auch durch die Sommerhitze, die halten die Drohnen nicht immer aus.
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Sie decken von hier aus mit Soldaten einer anderen Einheit, die nicht weit entfernt Stellung bezogen hat, zehn Kilometer der Frontlinie ab. „Wir entdecken jeden Tag Feinde, die versuchen, in unsere Positionen einzudringen. Es gelingt nicht immer, sie aufzuhalten“, sagt Vladyslav. Serhii, der Drohnenpilot, starrt auf den Monitor seines Controllers, mit vorsichtigen Fingerbewegungen justiert er den Kurs der Drohne. Auf dem Bildschirm zieht die Landschaft in Grautönen vorbei. Kraterübersäte Felder, dazwischen Waldstücke. Immer wieder stoppt der Soldat die Drohne, zoomt Details heran.
Ukraine-Krieg: Drohnen haben inzwischen sehr viele Aufgaben
Kein Krieg in der Geschichte war so transparent wie dieser Krieg. Beide Seiten setzen Tag und Nacht Tausende Drohnen ein, die jeden Quadratmeter der Kampfzonen nahe der Front überwachen. Größere Truppenbewegungen sind unbemerkt nicht mehr möglich. Mit jedem Monat des Krieges werden neue Innovationen entwickelt. Auf ukrainischer Seite sind es häufig die Soldaten selbst, die die Drohnen effizienter machen. Manche der Ruhestellungen jenseits des Kampfgeschehens gleichen Elektrowerkstätten, in denen Soldaten die Frequenzen handelsüblicher Drohnen modifizieren und die Maschinen mit Sprengkörpern zu tödlichen Waffen zusammenbauen, die präziser sind als die alte Artillerie. Vladyslav und seine Männer haben die Akkus ihrer Überwachungsdrohnen verbessert.
Drohnen legen Minen, werfen Granaten in feindliche Stellungen, werden in gepanzerte Fahrzeuge gesteuert, versorgen die eigenen Soldaten in den lehmigen Schützengräben-Systemen mit Munition, Nahrung und Wasser. Hightech trifft auf Ersten Weltkrieg. Als sie vor einigen Monaten im Serebryansky-Wald an der Ostfront gekämpft haben, konnten sie eine russische Einheit ohne Artillerieunterstützung nur mit FPV-Drohnen und Minen aus der Position heraustreiben. „Das war ein großer Erfolg“, sagt Vladyslav. Er ist sicher: „Die Drohnen werden sich schnell weiterentwickeln. Sie werden autonomer werden. Militärs aus der ganzen Welt beobachten sehr genau, was hier geschieht.“
Ukraine-Krieg: Hier ist es etwas sicherer – aber auch Drohnen-Piloten sterben
Die Drohnen allein werden aber nicht den Krieg entscheiden. Wie alle ukrainischen Soldaten fürchten auch die Männer in dieser Stellung die schweren Gleitbomben, die die Russen seit einigen Monaten massiv einsetzen, räumt ihr junger Kommandeur ein. „Die sind sehr demoralisierend. Sie zerstören Positionen und die Hoffnung.“ Vielleicht, hofft er, können die westlichen F16-Kampfjets, die nach und nach geliefert werden sollen, diesen Waffen etwas entgegensetzen.
Nach einer halben Stunde landet die Drohne von Serhii, eine zweite Drohne ist bereits in der Luft. Ein anderer Soldat übernimmt. Sie sind hier immer vier, fünf Tage im Einsatz, bevor sie ausgewechselt werden. Schlafen, arbeiten, manchmal finden sie Zeit, auf ihren Smartphones Filme zu schauen. Serhii ist 30, er kämpft seit dem Beginn der russischen Invasion vor zweieinhalb Jahren. „Ich bin ein bisschen müde, aber wir müssen weitermachen und unser Land verteidigen. Das ist unsere Aufgabe.“ Er ist froh, dass er nicht ganz vorne in den Schützengräben ist, hier ist es etwas sicherer. Aber auch Drohnen-Piloten sterben. Am Tag zuvor ist im Raum Lypzi ein junger Soldat einer anderen Einheit durch eine von einer russischen Drohne abgeworfenen Granate getötet worden. Oleksandr wurde 33 Jahre alt.
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Nach drei Stunden ist es Zeit für den Aufbruch. Die Morgendämmerung bricht bald heran. Die Soldaten schalten wieder den Störsender ein. Die Männer, die in der Stellung bleiben, sind jetzt für zwanzig Minuten blind.