Washington/Brüssel. Der Transfer der F-16 in die Ukraine ist im Gang, heißt es beim Nato-Gipfel. Die Flugzeuge ändern den Krieg. Der Kreml ist nervös.
Für die Ukraine gibt es nach Monaten verzweifelter Abwehrkämpfe gegen die russischen Angreifer wieder Grund zur Hoffnung. Zwar haben russische Truppen zuletzt ihre Angriffe im Donbass verstärkt, aber größere Fortschritte bleiben aus – die Offensiven der letzten Wochen brachten allenfalls minimale Geländegewinne. Jetzt bekommt der ukrainische Abwehrkampf einen neuen Schub aus dem Westen: Die ersten Kampfjets vom Typ F-16 aus Nato-Staaten treffen in der Ukraine ein – jene Maschinen, um die Präsident Wolodymyr Selenskyj seit zwei Jahren dringend bittet und die eigentlich schon vorigen Sommer die letztlich gescheiterte Gegenoffensive unterstützen sollten.
Der Transfer von F-16-Jets sei bereits im Gange, kündigten die USA, die Niederlande und Dänemark in einer gemeinsamen Erklärung am Rande des Nato-Gipfels in Washington an. „Das Übergabeverfahren für diese F-16 ist jetzt im Gange, und die Ukraine wird diesen Sommer einsatzbereite F-16 fliegen“, hieß es in der Erklärung. „Aus Sicherheitsgründen können wir zum jetzigen Zeitpunkt keine weiteren Einzelheiten bekanntgeben.“
Ein symbolträchtiger Sprung nach vorn, für Selenskyj eine dringend erhoffte Erfolgsmeldung. Die Lieferung der F-16 werde die Moral der Ukrainer stärken, analysiert die Londoner Denkfabrik Institute for Strategic Studies. Aber bringt sie auch die Wende im Krieg?
Ukraine-Krieg: Erwartungen an F-16-Kampfjets sind groß
Eine Vorhut ist, wenig beachtet, bereits im Land. 50 ukrainische Spezialisten für die Betreuung der Maschinen am Boden – Mechaniker, Waffenexperten, Servicetechniker – haben ihre Ausbildung in der dänischen Skrydstrup Air Base abgeschlossen. Der Großteil von ihnen ist zurück, um die Flugplätze für die Ankunft der ersten Maschinen vorzubereiten, wie der dänische Luftwaffenkommandeur Jan Dam berichtet. Wann die Kampfjets jetzt genau ankommen, wird geheim gehalten, nur der Ablauf ist klar: Als Erstes fliegen F-16 aus Dänemark ein, im Herbst folgen Maschinen aus den Niederlanden, bis Jahresende auch erste Flugzeuge aus Belgien und Norwegen. Zunächst dürfte eine Staffel von allenfalls 20 Maschinen zur Verfügung stehen, später sollen es insgesamt 60 Flugzeuge, bis 2028 dann 85 Maschinen aus den vier Ländern werden.
Die Erwartungen sind groß: Die F-16 ist zwar seit ihrem Ersteinsatz 1979 in die Jahre gekommen, aber immer wieder modernisiert worden – aus dem Jagdflugzeug wurde eines der weltweit am häufigsten eingesetzten Mehrzweckkampfflugzeuge, das aktuell von zwei Dutzend Nationen genutzt wird. Wendig sind die Maschinen und schnell, sie fliegen mit Überschall bis zu 2100 Kilometer in der Stunde. Für die ukrainische Luftwaffe, die sich bislang auf MiG-29- und Su-27-Jagdflugzeuge aus Sowjetzeiten stützt, bedeutet die Lieferung nicht nur eine Vergrößerung, sie bekommt endlich auch eine neue Plattform für die Nutzung westlicher Waffentechnologie: Die Kampfjets können das gesamte Spektrum amerikanischer und europäischer Luft-Luft- und Luft-Boden-Raketen tragen. Neuere Elektronik wird die Jets mit den westlichen Luftabwehrradaren wie dem Patriot-Raketensystem verbinden. Das stärkt die Verteidigung, etwa gegen russische Marschflugkörper, deutlich.
Ukraine: Westliche Militärs warnen vor Illusionen
Aus Sicht von Nato-Militärs wäre viel gewonnen, wenn die F-16 die russischen Maschinen auf Distanz halten könnten, die bislang die enorm zerstörerischen Gleitbomben auf Charkiw und andere ostukrainische Städte richten. „Wenn wir diese Flugzeuge weiter weg von der Front drängen können, wäre das ein Wendepunkt“, sagt auch der ukrainische Luftwaffengeneral Serhii Holubtsov. Die Kampfjets sollen ebenso die iranischen Shahed-Kamikaze-Drohnen abfangen oder russische Kampfhubschrauber vertreiben, die bislang den ukrainischen Bodentruppen schwer zu schaffen machen. Die Reichweite für Angriffe auf das russische Militär würde deutlich erhöht – vor allem die Krim ließe sich auf diese Weise mit Präzisionswaffen flächendeckend erreichen.
Dennoch warnen westliche Militärs vor Illusionen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagt über die F-16: „Ein einzelnes System kann die Situation auf dem Schlachtfeld nicht ändern.“ Der dänische Luftwaffenkommandeur Dam fordert: „Wir brauchen mehr Realismus. Die F-16 werden bestimmt einen Nutzen haben, aber sie werden nicht der Gamechanger – nicht in den kommenden Monaten.“ Dazu fehlt es vorerst auch an Piloten: Deren Ausbildung ist ein großes Nadelöhr. Die ersten Piloten haben das Ende des Trainings erreicht, bis Jahresende werden aber wohl erst 20 Piloten in der Ukraine einsatzbereit sein – obwohl eine multinationale Koalition die Ausbildung in Großbritannien, dann in Dänemark, Frankreich, Rumänien und den USA übernommen hat.
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Die Kapazitäten sind begrenzt, die Schulung ist komplex, eigentlich dauert sie 18 Monate. Damit die Jets auf dem Schlachtfeld effektiv eingesetzt werden könnten, müsse die ukrainische Luftwaffe langfristig gestärkt werden, mit der richtigen Bewaffnung und trainiert für komplexe Kampfaufträge, sagt Luftwaffenkommandeur Dam. „Meine Empfehlung: Bevor man an riskante Missionen geht, sollten sie erst gut vertraut mit dem Maschinen sein.“ Eine Studie der US-Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS) erinnert daran, dass Israels Luftwaffe zum Beispiel nach der Auslieferung erster F-16-Maschinen elf Monate lang geübt habe, bis sie erste erfolgreiche Luftangriffe gegen den Irak flog: „Es braucht Zeit und Erfahrung, um die Fähigkeiten aufzubauen, die für den effektiven Einsatz eines komplexen Kampfflugzeuges erforderlich sind.“
Ukraine-Krieg: Die F-16 machen Russland nervös
Ein großes Risiko bleibt die russische Luftverteidigung, vor allem das Abwehrsystem S-400, das den F-16 schnell gefährlich werden könnte. Von Einsätzen tiefer in russischem Territorium raten westliche Militärs daher vorerst ab, auch wenn die Ukraine schon seit Monaten gezielt immer wieder Flugabwehrsysteme der Russen zerstört. Ein Nachteil der Kampfjets ist, dass sie lange, gut ausgebaute Start- und Landebahnen brauchen: Der Lufteinlass des Triebwerks ist zu tief angebracht, deshalb können etwa Kieselsteine angesaugt werden und die Maschinen beschädigen, auch das Fahrwerk ist vergleichsweise empfindlich. Die Stützpunkte dürften zu Hauptzielen russischer Angriffe werden wie jetzt schon zum Beispiel die Luftwaffenbasis Starokostjantyniw zwischen Kiew und Lwiw. Als Reaktion baut die Ukraine Flugplätze weit verteilt im ganzen Land aus – was die Wartung allerdings erschweren wird.
Überlegungen, die Kampfjets außerhalb der Ukraine auf Nato-Gebiet zu stationieren, hat Russlands Präsident Wladimir Putin frühzeitig torpediert: Er droht der Nato mit Krieg. Wenn die F-16 von Drittstaaten aus eingesetzt würden, „werden sie natürlich zu einem legitimen Ziel für uns, wo auch immer sie sich befinden“, sagt Putin. Russland ist nervös, denn die F-16 markieren den Umstieg der Ukraine auf eine natokompatible Luftwaffe – ein Schritt, der die russische Angriffsfähigkeit langfristig massiv schwächen wird, auch über den Krieg hinaus. Die Nato kann sich weiteren Nutzen erhoffen, wie die Analyse der US-Denkfabrik CSIS betont: „Es bietet sich die einzigartige Gelegenheit, Informationen zu sammeln, wie wirksam die alliierten Flugzeuge gegenüber russischer und iranischer Ausrüstung und Taktik sind.“
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